Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 11.11.2007

Predigt zu Lukas 18:1-8, verfasst von Elisabeth Tobaben

1.    Er erzählte ihnen ein Gleichnis, um ihnen zu sagen, dass man allezeit beten müsse und nicht nachlassen dürfe:
2.    „In einer Stadt lebte ein Richter, der Gott nicht fürchtete und auf keinen Menschen Rücksicht nahm.
3.    In derselben Stadt lebte auch eine Witwe, die immer wieder zu ihm kam und sagte: „Verschaff mir Recht gegen meinen Gegner!"
4.    Lange wollte er davon nichts wissen. Dann aber sagte er sich: Ich fürchte zwar Gott nicht und nehme auf keinen Menschen Rücksicht;
5.    Trotzdem will ich dieser Witwe zu ihrem Recht verhelfen, denn sie lässt mich nicht in Ruhe. Sonst kommt sie am Ende noch schlägt mir ins Gesicht!"
6.    Und der Herr fügte hinzu: Bedenkt, was der ungerechte Richter sagt.
7.    Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern zögern?
8.    Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?

Liebe Gemeinde!
Ob es das ist, was die Predigten Jesu so spannend und aufregend macht, dass er oft so unerwartete Beispiele bringt und so provozierende Geschichten erzählt?
Sie sagen von ihm: Er predigt mit Vollmacht, und nicht wie die Schriftgelehrten.
Er nimmt Vorfälle, die alle kennen und Umgangsformen aus dem Alltag, und dann spitzt er sie oft genug so zu, dass die Zuhörerinnen und Zuhörer erschrecken; Selbstverständlichkeiten stellt er auf dem Kopf, sodass alle erstarren, manche auch verärgert und wütend sind.

In diesem Gleichnis -und das finde ich allerdings schon ziemlich ungewöhnlich- macht Jesus einen „ungerechten Richter" zum Protagonisten.
Ein ungerechter Richter - das ist ja schon ein Widerspruch in sich, denn wenn ich Rechtsbeistand brauche und mir einen Anwalt nehmen muss, da kann ich ja wohl zumindest erwarten, dass er sein Bestes tut, um mir zu meinem Recht zu verhelfen bzw. das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, sonst sollte er den Auftrag besser ablehnen und mich gar nicht erst vertreten sollen.
Dieser Richter hat offenbar keinen besonders guten Ruf in der Stadt, er wird in der Parabel schon als einer beschrieben, der gottlos und menschenfeindlich ist, der auf niemanden Rücksicht nimmt.
Sowas spricht sich doch auch herum.
Wird sich überhaupt noch jemand an ihn wenden in seiner Not?
Es kann gut sein, dass dieser Richter auch bestechlich ist und gegen ein entsprechendes „Trinkgeld" auch schon mal das gewünschte Urteil fällt.
Daraus folgt, dass Arme, die ihm nichts zustecken können und weniger Einflussreiche wie etwa Frauen keine Chance haben bei ihm.
Wer also sowieso schon zu denen gehört, die jeder mit Füßen treten kann, der wird damit noch mehr an den Rand gedrängt.

Nun kommt es zu einer interessanten Begegnung zwischen diesem
ungerechten Richter und einer Frau, die in derselben Stadt lebt wie er, eine Witwe.
Wer weiß, vielleicht war sie noch sehr jung, Mädchen wurden ja mit 13, 14 Jahren verheiratet damals.
Sie kommt als Klientin in einer Rechtssache zu ihm, es wird vermutlich um eine Finanz- oder Erbangelegenheit gehen, die ein einzelner Richter damals in Israel allein entscheiden konnte.
Als Ehefrau war sie das Eigentum ihres Mannes gewesen, nun war er tot, und sie „gehörte" ihrem ältesten Bruder.
Wer weiß, vielleicht wollte sie sich nicht abfinden mit dieser ‚Selbstverständlichkeit'? Gar einen Anspruch auf das Erbe ihres Mannes geltend machen, um nicht auf Almosen angewiesen zu sein sie mit ihren Kindern?
Unerhört!
Sie fühlt sich übervorteilt, ihr wird etwas vorenthalten oder sie wird nicht richtig bezahlt, und nun will sie nichts als ihr Recht!
Jedenfalls: sie zieht sich keineswegs brav zurück und lässt sich abwimmeln, nachdem ein erster Versuch erfolglos war und wartet und wartet, bis der Richter geruht, ihren Vorgang  nochmals aufzugreifen!
Hartnäckig bleibt sie „dran", steht immer wieder bei dem ungerechten Richter auf der Matte und stellt ihre Forderungen, bis der schließlich der Nerven verliert.
„Witwen und Waisen" stehen in der Bibel immer wieder als Synonym für Hilflose und Notleidende, die auf die Unterstützung der Familie und der Dorfgemeinschaft angewiesen waren und sich nicht selbst versorgen oder gar allein hätten existieren können.

Diese Witwe ist nun völlig untypisch!
Wieder und wieder kommt sie und lässt sich nicht zurückdrängen auf die Rolle des „Veilchens im Moose, bescheiden, sittsam und rein".
Sie nervt!
Und - völlig überraschenderweise hat sie gerade damit Erfolg!
Nun hat der Richter aber nicht etwa eingesehen, dass ihr zusteht, was sie fordert oder hätte plötzlich sein Mitgefühl entdeckt, nein, er will sie schlicht loswerden, und hat einfach keine Lust mehr auf das ewige Gequengel.
„Ohh, nicht die schon wieder!" sagt er sich. „Da sorge ich doch lieber dafür, dass sie ihr Recht kriegt, wenn sie mich bloß in Ruhe lässt!"

Ich finde diese Frau sehr beeindruckend, zumal ich denke, dass es damals auch nicht anders gewesen sein dürfte als heute, wo immer noch Frauen, die ihr Recht fordern, vertröstet und abgewimmelt werden, und bestenfalls als Mannweib mit Haaren auf den Zähnen bezeichnet werden.
Dazu kommt, dass das Wort, das Luther mit „Recht" übersetzt, auch mit „Rache" wiedergeben könnte, und das ist ja nun vollends unmöglich!
Eine Frau, die nicht nur nicht brav zurücksteckt und zufrieden ist mit dem, was ihr angeboten wird, sondern sich wie ein Mann rächen will an ihrem Gegner, das war nun schon mal überhaupt nicht vorgesehen!
Auch die Frau also -genau wie er Richter- ist ein skandalöses Beispiel!

Soweit geht es also um die Geschichte, wie sie so wie Jesus selber erzählt hat.
Nun ist natürlich auch noch interessant, in welchem Zusammenhang Lukas, der Evangelist, diesen Text erzählt, denn so haben wir ihn ja jetzt vorliegen in unserer Bibel, und so hat er in der Kirchengeschichte gewirkt.
Die Lage hat sich zugespitzt, zur Zeit des Lukas wartet die junge christliche Gemeinde sehnsüchtig darauf, dass Christus wiederkommen möchte, die Zeit wird lang und länger, die Bedrohung wächst - aber er kommt nicht.
Die Römer hatten den Aufstand in Jerusalem niedergeschlagen, und Kaiser Titus ließ den Tempel zerstören, ein besonderer Schlag, denn so war für die Juden nicht nur der Ort der Gebete und der Opfer verloren, sondern auch die Stelle, wo Hilfesuchende Unterstützung finden können.
Als Lukas das Gleichnis aufschreibt, gibt es diese Hilfsmöglichkeit auch für die  Witwe aus dem Gleichnis also schon nicht mehr.
Eine Zeit zerstörter Lebensgrundlagen und Glaubenshoffnungen.
Keiner weiß, wie es weitergehen soll, Resignation hat sich breitgemacht, Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung.
Das wird doch nie was!
Lukas entwirft eine Rahmenerzählung, die den Menschen helfen soll, gerade diese Resignation zu überwinden und sie einfach vor Gott hinzuwerfen.
„Er erzählte ihnen ein Gleichnis, um ihnen zu sagen, dass man allezeit beten müsse und nicht nachlassen dürfe..."
Das nun wieder klingt gar nicht so befreiend, sondern setzt ganz schön unter Druck.

Ich lernte sie beim Lauftreff kennen.
Wochenlang zogen wie einfach gemeinsam mit vielen anderen unsere Kreise, liefen stundenlang durch die Wälder und Wiesen des Weserberglandes und reden wenig.
Bis sie mich eines Tages als kirchliche Mitarbeiterin identifizierte und mitten auf einer wunderschönen Lichtung  zum heillosen Entsetzen der Gruppe einen Tobsuchtsanfall bekommt, der sich gewaschen hat. Sie schreit.
Alles wirft sie mir vor die Füße, was man ihr in ihrem esoterischen Zirkel, zu dem sie lange gegangen war, immer wieder abverlangt hatte.
„Es ging mir doch sowieso schon so schlecht," sagt sie, „meine Ehe war gescheitert, mein Sohn nach Australien ausgewandert, dann hatte ich noch meinen medikamentenabhängigen Vater im Haus, und als ich dann noch arbeitslos wurde und die Kleine so krank war, und als dann auch noch das Haus abbrannte..., aber ich musste  mir ja immer anhören, ich hätte bloß nicht genug gebetet und meditiert, sonst wäre das alles nicht passiert."
Zwischen lauter Himmelsschlüsselchen kauert sie nun hier auf der Wiese und weint und weint.
Ich schnappe nach Luft und bin nur noch entsetzt. „Wer erzählt denn bloß einen solchen grauenvollen Blödsinn?" frage ich.
Ein Hoffnungsschimmer in ihren Augen.
„Ich habe es doch aber selber geglaubt," sagt sie, „und immer mehr meditiert und gebetet, stundenlang jeden Tag, und schließlich gemerkt, dass ich meinem Leben immer weniger gewachsen war. Der Druck wurde immer größer. Ich hatte immer das Gefühl: ich bin ja doch selber schuld. Aber was hätte ich denn machen sollen??"

Wenn ich mir jetzt noch mal die Witwe vor Augen führe, die so nervig ist, und diesen Richter wieder und wieder dazu zu bringen versucht, ihr zu ihrem Recht zu verhelfen, leuchtet in ihrer Geschichte ein neuer Aspekt auf:
Gerade durch ihre endlosen Forderungen bringt sie den Richter dazu, sich völlig ungeplant zu verhalten.
Und Gott?
Ihr dürft ihn nerven, sagt Jesus, alles vor ihm auskippen und euch befreien von der Last, und er wird euch viel mehr geben als euer Recht:
Hoffnung und Zukunft,
Vertrauen und Glauben
die der Menschensohn bei euch sucht, wenn er kommt.
Amen.



Elisabeth Tobaben
Inselkirche Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)