Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Okuli, 08.03.2015

Predigt zu Lukas 11:14-28 (dän. Perikopenordn.), verfasst von Marianne Frank Larsen

 

Johan Sletten steht im Badezimmer und studiert sein eigenes Gesicht im Spiegel. Er hat aus dem Krankenhaus nach Hause gehen dürfen, und er und Mai sind ins Sommerhaus gefahren in Värmland. In Linn Ullmanns Buch „Gnade“ 1 ist Johann sieben Mal gescannt und operiert worden wegen des Krebses, der sich in seinem Körper ausgebreitet hat. Sein Fall ist in Sitzungen besprochen und in Journalen beschrieben worden. Es ist, als gehöre sein Körper den Ärzten und Krankenschwestern. Es ist, als wäre er da zuhause. Aber an diesen Tagen har er frei, um den Frühling mit seiner Frau in Värmland zu genießen. Er hat keine Schmerzen. Aber er hat ein großes Geschwür an seiner einen Wange, das nicht verschwinden will. Und am ersten Morgen erwacht er mit einer Augenentzündung. Am Frühstückstisch streitet er mit Mai, weil sie nicht will, dass sie sich einen Hund anschaffen- Und er geht vom Tisch und schließt sich im Badezimmer ein, und dort steht er vor dem Spiegel und hofft, dass „dieses Unwesen, das sich in seinem Körper eingenistet hat und sein Leben verdunkelt hat, zugunsten langer, unveränderlicher Sonnentage weichen soll“ . Ein Glas Bier trinken. Lesen. Angeln. Neben Mai liegen, Hand in Hand mit Mai spazieren gehen, den Duft ihres Haares merken. Nur das will er gerne. Aber jetzt, wo er nachfühlt, hat er wohl etwas Kopfschmerzen. Und ihm ist auch übel. Und das macht ihn ganz von Sinnen. Er meinte, sich fortgeschlichen zu haben. Aber jetzt wird er eingeholt. Kein Wunder, dass die Evangelien von Dämonen reden. Denn so genau ist es, wie Johan Sletten und wir andere ernste Erkrankungen an unserem Körper erleben. Wie eine böse Macht, gegen die wir nichts ausrichten können. „Dieses Unwesen“, denkt Johan Sletten, „das in seinem Körper eingenistet hat und sein Leben verdunkelt hat“, und wir wissen wohl, dass es sich aus ärztlicher Sicht nicht um ein Unwesen handelt, aber genau so erlebt er sein Krebsleiden. Als ein Unwesen, einen Dämonen, der ihm die Macht nimmt. Als ihm an diesem Morgen übel wird, bringt ihn dies von Sinnen: dass etwas Fremdes, etwas Entsetzliches und Undenkbares mit ihm geschehen wird, dass etwas mit seinem Körper geschehen wird, das er nicht vorhersehen kann und auf das er sich damit auch nicht vorbereiten kann und das er auch nicht kontrollieren kann. Johan Sletten ist nicht mehr Herr im eigenen Haus. Bald bleibt nicht mehr als das Auto zu starten und zurück zum Krankenhaus zu fahren.

Johan Sletten erlebt seine Krankheit als ein Unwesen. Das könnten so viele andere ernsthafte Krankheiten an Leib und Seele gewesen sein, es könnte so gesehen auf der allgemeine Verfall gewesen sein, der mit dem Alter folgt, denn gemeinsam für Krankheit und Verfall ist das Erlebnis, dass etwas Fremdes sich in einem einnistet und dann mein Leben steuert und regiert und verpestet und begrenzt. Dann kann man nicht mehr ein kühles Glas Bier trinken, Angeln gehen, ein Buch lesen oder neben seiner Geliebten liegen, wovon Johann geträumt hatte. Letzten Endes kann das Fremde einem das ganze Leben ersticken, so dass nichts mehr vom Leben bleibt, das man geliebt hatte, und dem Menschen, der man einmal war. Und da kann man nichts, absolut nichts machen. Ja, man kann seinen Pillen nehmen, und im Übrigen tun, was der Arzt vorschreibt, aber Herr im eigenen Haus wird man nicht mehr. Herr ist plötzlich der Krebs, die Depression, die Lähmung, die Demenz, der Schmerz. Das nennen die Evangelien Dämonen. Sie haben viele Namen. In der Welt der Märchen verlieren die Dämonen ihre Macht, wenn man sie beim Namen nennt. So leicht geht es nie in der Welt der Wirklichkeit.

Der Dämon, der Johan und Mai dazu bringt, einander anzuschreien am Frühstückstisch, hat einen anderen Namen. Sie sollten sich eigentlich gefreut haben über beinen solchen Frühlingsmorgen in Värmland. Stattdessen ärgert sich Mai darüber, dass Johann von einem Hundewelpen fabelt. Vielleicht ein andermal, sagt sie, wenn es dir besser geht. Und dann wird Johan wütend und schreit sie an und geht vom Tisch, denn sie weiß ja genauso gut wie er, dass es ihm nie besser gehen wird. Keiner von beiden will es. Im Gegenteil. Aber sie sind nicht Herr darüber, was zwischen ihnen geschieht. Natürlich spielt wieder die Krankheit eine Rolle und zerstört die schöne Morgenstimmung, aber es ist auch ihre Irritation, Feigheit, fehlender Realitätssinn, fehlende Aufmerksamkeit, Angst – was sie aneinander vorbeireden lässt.

Denn auch diese Art von Dämonen, die uns einander verwunden lassen, haben viele Namen. Sollen wir sie in einem Namen benennen, so ist es die Selbstsucht. Sie ist es, die wie eine böse Macht hinter allen harten Worten steckt, die wie dann sagen, und all den Verletzungen, deren wir uns schuldig machen. Als wäre da jemand, der an den Strippen zieht, wenn wir uns selbst beschützen und nicht das tun, was wir hätten tun sollen. Ganz so wie Krankheit, ist Selbstsucht eine Macht, der wir nie ganz entkommen. Und sie regiert und verpestet und begrenzt unser Leben miteinander, und manchmal gelingt es ihr, es zu ersticken, so dass nichts von der Beziehung bleibt, die einmal als ein Glück begann. Oder so gesehen von dem Menschen, der man einmal war. Und man kann sein Bestes tun, um eine ordentliche Tochter, ein ordentlicher Sohn, eine ordentliche Mutter, ein ordentlicher Vater, eine ordentliche Ehefrau, ein ordentlicher Ehemann, ein ordentlicher Bruder, eine ordentliche Schwester, eine ordentlicher Freund, Kollege zu sein, das soll man ja, aber Herr im eigenen Haus ist niemand von uns Das Gute, das wir wollen, das tu n wir nicht. Das Böse, das wir nicht wollen, das tun wir. Der Dämon ist ein Fremdwort für eine ganz und gar bekannte Erfahrung.

Das Evangelium dieses Sonntags ist eine Erzählung von jemandem, der die Macht hat, die Dämonen auszutreiben. Eine andere Macht als das Wissen und Können der Ärzte, eine andere Macht als unser eigener guter Wille, der immer wieder zu kurz kommt. Der Dämon im Evangelium ist eine Krankheit, die den Kranken stumm gemacht hat, ihn in eine geschlossene Welt eingesperrt hat, außer Stande, sich selbst auszudrücken. Als Jesus den Dämon ausgetrieben hat, beginnt der Stumme zu sprechen, zögernd und versuchsweise, sich anderen Menschen mitzuteilen, zu fragen, zu antworten, sich zu erkennen zu geben, ja vielleicht beginnt er gar zu singen. Wo Dämonen unser Leben verfinstern, begrenzen und verpesten, macht Jesus genau das Gegenteil. Er bringt Licht hinein und setzt unser Leben frei. Gibt dem Stummen seine eigene Stimme und öffnet ihn für die Gemeinschaft mit anderen Menschen. Die Gemeinschaft, die von unseren warmen Stimmen getragen und geflochten wird. Man muss versteinert sein, um nicht zu sehen, dass der Finger Gottes mit im Spiel ist, wenn Jesus einen Menschen zur Gemeinschaft und Freude befreit und sein Leben neu beginnen lässt.

Selbst verwendet er das Bild: Solange der Starke gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt das Seine in Frieden. Das ist der Dämon im Körper von Johan Slette und in unserem Dasein, der unangefochten die Macht über uns behält. Wenn aber ein Stärkerer kommt und ihn überwindet, so nimmt er ihm seinen Harnisch und teilt den Raub aus. Jesus redet hier von sich selbst. Er beschreibt sich selbst im Bilde einer Kriegers, der der stärkste ist. Der eine, der die Macht hat, das Unwesen zu entwaffnen, die Dämonen, die bösen Mächte, die unser Leben verheeren. Wir haben eben gesehen, wie er dies im Leben des Stummen getan hat. Und wir werden seit dem sehen, dass er dies auch in einem Grab wie dem unseren tut. Mit dem Einsatz seines eigenen Lebens. Auf griechischen Auferstehungsikonen kann man Christus sehen, wie er die Lanze durch den Tod selbst bohrt. In dem altenglischen Lied kann man hören, wie Christus an die Pforten der Hölle klopft, einbricht und Schlagen zermalmt, Drachen zertritt und die Wölfe der Hölle bindet. An romanischen Kruzifixen sieht man ihn hängen, nicht als den leidenden Erlöser, sondern als den siegreichen König, der über den Tod und alles Böse gesiegt hat. Schon seit der Alten Kirche zieht sich das Motiv wie ein roter Faden durch das Christentum und versieht uns mit Bildern von der Macht, die in unser Leben kam, als Gott in die Welt kam – und in unseren Tod, als er in das Reich des Todes hinabstieg.

Alle Bilder sollen uns dasselbe gewiss machen: Da ist einer, der stärker ist. Einer, der die lebensschenkende, befreiende Macht des Schöpfers in seinen Worten und Händen hat und der ein für alle Mal das Unwesen besiegt hat, das unser Leben verfinstert. Allein mit seiner Macht im Rücken macht es Sinn, dass wir dem Teufel und allen seinen Werken und all seinem Wesen entsagen und nein sagen zu Selbstsucht, Krankheit und Tod. Das können wir nicht selbst. Das macht keinen Sinn. Das können wir, weil wir ihm gehören, der stärker ist. Stark genug, die Mächte zu entwaffnen, die wir nicht kontrollieren können. Das können wir nicht immer sehen. Und das können wir bestimmt nicht immer merken, ganz im Gegenteil. Aber wir können davon singen und es hören so oft wir wollen, und eben das sollen wir, das Wort Gottes „hören und bewahren“, weil es uns vergewissert, dass wir nicht den Dämonen gehören, auch wenn es so aussieht. Wir gehören ihm, der stärker ist. Und letzten Endes muss es vor ihm weichen, das Unwesen, das sich in unseren Körpern einnistet und unser Leben verfinstert. Vielleicht nicht jetzt, aber damit endet es - lange, unveränderliche Sonnentage. Amen.

 

 



Pastorin Marianne Frank Larsen
DK 8000 Aarhus C
E-Mail: mfl(at)km.dk

Bemerkung:
1. Deutsch München 2004


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