Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Lätare, 15.03.2015

Predigt zu Johannes 12:20-26, verfasst von Ulrich Kappes

„Es waren aber einige Griechen, unter denen, die herauf gekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.“

„Griechen“ gehen zum Tempel hinauf. Sie gehen mit den anderen. Am Pilgerfest sind alle gleich, die geborenen Juden und die zum Judentum übergetretenen Griechen.

Dieses Hinauf - Gehen war gleichzeitig ein Akt des Hinter- Sich – Lassens. Man stieg den Tempelberg hinauf. Man ließ etwas Altes „unten“.

Wollen wir mit den „Griechen“ die Worte Jesu verstehen, geht das nicht, ohne dass wir von uns selbst Abstand nehmen.

Jesus sagt „den Griechen“ und den Jüngern:

„Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“

Vor Jesus liegt der schreckliche Gang ans Kreuz. Er nennt ihn „Verherrlichung“. Es ist zu fragen, wie ein qualvoller Tod am Kreuz eine „Verherrlichung“ sein kann. – Wie kann das gemeint sein?

Der Kreuzestod, auf den Jesus zugeht, reißt ihn in die Tiefe. Die Furchtbarkeit des Todes und diese Art zu sterben, werden im Johannes-Evangelium nicht kaschiert. „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“ Die Folie hinter diesen Worten ist der grausamste aller denkbaren Tode.

Das Todesgeschehen wird von seiner inneren Seite her in einem Bildwort erklärt.

Ein Weizenkorn fällt in die Erde. Dort „stirbt“ es. Es zerbricht. Es ist nicht mehr. Aus den zerbrechenden Einzelteilen wachsen der Weizenhalm und die Ähre, die ein Vielfaches an Körnern gegenüber dem ursprünglichen Korn trägt.

Das Weizenkorn wird nicht verbrannt und seine Asche der Erde zugeführt. Nein, es stirbt in der Tiefe selbst.

Das Bild vom Weizenkorn macht deutlich, was das Sterben Jesu ist. Es entsteht etwas Neues und bisher nicht Vorhandenes in der Welt. Dieser Tod ist ein Ereignis, das die Geburtstätte der Gemeinde ist. Aus seinem dahin „gesäten“ Leib erblüht und erwächst seine Gemeinde.

Handelt es sich mit dem Predigttext um einen Hymnus auf Jesus? Zunächst ja, dann aber folgt nach dem Weizenkorn-Gleichnis der Satz: „Wer mir dienen will, der folge mir nach.“ D. h. Wer mir wirklich nahe sein will, der folge mir in meinem Weg an das Kreuz nach.

Das ist eine unglaubliche Wendung. Das Sterben am Kreuz, der Weg des ausgestreuten Weizenkorns in die Erde, ist ein Weg, den Jesus vorausgeht, aber gleichzeitig erwartet er, dass die Seinen ihm darin nachfolgen. Zugespitzt gesagt: ‚Ich lasse mich kreuzigen und ihr sollt euch auch kreuzigen zu lassen. Ich sterbe und ihr sollt auch sterben. Ich werde eingesenkt in die Erde und ihr sollt auch in einen Raum eingesenkt werden, wo euer Ich stirbt.’

Haben diese Worte eine Chance, in uns einzugehen und Teil unserer Lebens zu werden?

Wollen wir an uns arbeiten, uns „kreuzigen“ und Schluss machen mit dem, von dem wir wissen, dass es Gott nicht gefällt?

Der Maler Albrecht Dürer hat 1498 ein sehr eigenwilliges Bild über die Erzählung „Herkules am Scheidewege“ gemalt. I1I Nach der Sage suchte Herkules nach seiner Lebensform. Der Weg gabelte sich. Zwei Frauen traten ihm entgegen. Die eine sagte zu ihm, sie sei die Glückseligkeit, ihre Feinde aber nennen sie „Lasterhaftigkeit“. Die andere Frau nannte sich „Tugend“. Sie war bekleidet, während die „Glückseligkeit“ nackt war.

Dürer malte das Bild so, dass die unbekleidete „Glückseligkeit“ links unten ihr Spiel mit einem Centaur treibt, halb Pferd, halb Mensch und auf dem Kopf die Hörner eines Bockes. Die andere Frau steht rechts im Bild. Sie schwingt einen Knüppel in die Richtung der buhlenden Glückseligkeit. Herkules steht rückwärtig zum Betrachter. Er versucht seinerseits mit einem Baumstamm den Schlag der Tugend auf die Glückseligkeit abzuwenden. So viel ist klar: Den richtigen Weg zu finden, ist bei Dürer anders als in der Sage, viel verzwickter als diese oder jene Weggabelung zu wählen. Es geht nicht ohne erbitterten Kampf.

Sind wir fähig, bereit und willig, den Weg des Weizenkorns zu gehen, an der Stelle der Weggabelung einen alles andere als verlockenden Weg zu gehen? Das ganze genetische Erbgut, das wir haben, steuert auf die andere Straße zu.

Der von Jesus vorgezeigte Weg ist Selbstaufgabe oder Selbsthingabe für andere. Gemeint ist nicht eine Art Selbstfindung, eine Art Selbstverwirklichung. Das Bild vom sterbenden Weizenkorn ist Sterben für die anderen. Das Weizenkorn selbst hat nichts davon.I2I

Wie ist das möglich, mit Jesus den Weg des sterbenden Weizenkorns – und sei es einige wenige Male – zu gehen?

Der sich an unseren Predigttext anschließende Vers stellt auf den ersten Blick alles vorher Gesagte in Frage. Jesus sagt, nachdem er vom Tod als seiner Verherrlichung sprach, urplötzlich: „Jetzt aber ist meine Seele erschüttert. Was sage ich? Vater, errette mich aus dieser Stunde.“ - „Gethsemane“ ist mitten im Johannesevangelium da.

Jesus betet, oder muss man sagen: schreit, ‚Vater, errette mich! Ich bin erschüttert, durcheinander, so aufgewühlt, dass ich den Weg nicht gehen kann.’

Wie werden wir fähig, von uns abzusehen und uns für andere, für eine Aufgabe im Dienst des Mitmenschen hinzugeben? Wie ist es möglich, am Scheidewege zu stehen und den Weg liebender Selbstlosigkeit zu wählen?

Der einzig mögliche und gangbare Weg dazu liegt in dem eben genannten Bibelwort, das dem Weizenkorn-Wort folgt: ‚Vater, errette mich! Lass mich die Fesseln, die mich an mich selbst binden, abstreifen können. Hole Du mich hier heraus!’ I3I

 

Dieser Text ist seit alters Text des Sonntags Lätare. Hier wird, so man es hat und kann, das Antipendium gewechselt und ein rosafarbenes aufgehängt. Mitten in der Passionszeit singen wir „Jesu, meine Freude“. Ich kenne einen Pfarrer im Erzgebirge, der hat zu Lätare ein Kinderlied gedichtet: Lätare, Lätare - die Stare, die Stare.“ Scharen von Kindern und Eltern sind fröhlich an diesem Sonntag. Der Gipfel der Passionssonntage ist mit diesem 4. Passionssonntag überschritten.

Lätare ist nicht Karfreitag. Lätare heißt: Freue dich! Das ist fest zu halten, ganz fest.

Das Evangelium, die frohe Botschaft dieses Evangeliums für uns ist, dass es einen Pfad zu einem Leben des sterbenden Weizenkorns gibt, um auf ihm anderen zum Segen zu werden. Dieser Pfad besteht darin, Jesus und sein Kreuz mit aller Inbrunst vor Augen zu haben und wie er, den Vater um einen Willen zu bitten, der auf den Weg der Liebe führt. Man kann in Abwandlung eines Wortes von Helmut Gollwitzer sagen: Des Gebet ist die Tür zu dem Weg der Liebe. I4I

Alles rosarote Worte, im Kern aber eine Illusion?

Am 9. April 1945, vor siebzig Jahren, wurde Dietrich Bonhoeffer durch den Tod am Galgen hingerichtet. Der Lagerarzt von Flossenbürg war Zeuge dieses Geschehens. Er schreibt.

„Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“ I5I

Niemand weiß, was Bonhoeffer an inneren Kämpfen in der Nacht zum 9. April durchgemacht hat. Niemand weiß, was Bonhoeffer betete. Aber jeder erkennt in dem Arztbericht, dass er in großer Würde starb. Sein Weg zum Galgen kann verdeutlichen, was es heißt, auch im Sterben Gott zu verherrlichen. So wurde auch Bonhoeffer ein Weizenkorn - Ungezählte Menschen wurden und werden in ihrem Glauben durch ihn bestärkt.

 



Pfarrer Ulrich Kappes
Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

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