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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Judika, 22.03.2015

Predigt zu Lukas 1:26-38 (dänische Perikopenordnung, in DK ist dieser Sonntag Mariae Verkündigung), verfasst von Michael Brautsch

Wie war Jesus als Kind oder als junger Mann? Wir wissen es nicht, und doch glauben wir so viel, dass er vollkommen Mensch war wie auch vollkommen Gott, und als Menschenkind hat er natürlich auch Fragen gestellt, sich etwas ausgedacht, und neugierig auf das gehört, was seine Mutter erzählen konnte. Vielleicht hat sie davon erzählt, wie sie damals Besuch vom Erzengel Gabriel bekam. Und mit einer Mischung von Freude und merkwürdigem Wiedererkennen hat er den Bericht von damals gehört …

Damals, als seine Mutter vom Heiligen Geist erfüllt war und dieser den Keim für Christus legte, den Samen für ihn, Jesus Christus, und seine Mutter auserwählt war unter allen Frauen der Erde ein Tempel Gottes zu sein, der Mensch, der den Sohn Gottes gebären sollte. Er hat zu ihren Füßen gesessen, und sie hat ihm in die Augen gesehen und ihm erzähl, dass sie so erschrocken war, aber dass der Engel gesagt hatte: „Fürchte dich nicht!“ Und Jesus hatte gelacht und die Erzählung seiner Mutter unterbrochen: „Natürlich sollst du dich nicht fürchten, Mutter, das war ja nur eine Botschaft von Gott, und dann kam ich ja…!“

Und Maria hat ihm erzählt: Damals, als er im Stall geboren wurde, da hatten die Engel auch die Hirten besucht und gesagt: „Fürchtet euch nicht!“, aber das ist leichter gesagt als getan, wenn nun Gott sich bei den Menschen zeigt. Und der Knabe Jesus hat sich in Freude und Stolz über seine Mutter gefreut, denn natürlich sollte sie und niemand anders seine Mutter sein.

„Und was geschah dann?“ – hat er weiter gefragt. Und sie hat ihm erzählt: Da es offenbar nicht anders sein konnte, da es also bestimmt war, dass eben sie und niemand anders diesen Segen empfangen sollte, da beugte sie ihr haupot vor dem Engel und dem Heiligen Geist und sagte: „Dein Wille geschehe, Gott“.

Und der Knabe Jesus hat sicher gedacht, dass dies die ganz richtige Antwort war und dass man Gott überhaupt nicht anders anreden sollte, wenn er um ein Stück Arbeit bittet: „Dein Wille geschehe“. Und als Erwachsener hat er zusammen mit den Jüngern beobachtet, wie die Schriftgelehrten und Scheinheiligen Gott anrufen und mit all ihren guten Werken prahlen. „Lehre uns, richtig zu Gott zu beten“, haben die Jünger dann zu ihm gesagt, und da hat er wohl an seine Mutter gedacht, die mit gebeugtem Haupt und ausgebreiteten Armen vor dem Boten Gottes nur stammeln konnte“ „Dein Wille geschehe“.

„So sollt ihr für euch selbst beten“, sagte Jesus und lehrte und die Bitte des Vaterunser: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“.

Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ist an vielen Stellen in der Bibel wie das Verhältnis zwischen Bräutigam und Braut beschrieben. Wenn wir eine Hochzeit in der Kirche besuchen, betonen wir unseren Glauben daran, dass wir vor dem Angesicht Gottes stehen und ihn um den Segen bitten, im Alltag wie an Festtagen. Und was man von der Freundschaft und der Liebe zweier Menschen sagen kann, gilt auch für den Segen Gottes.

Wenn Gott im Segen sein Angesicht über uns leuchten lässt, drängt er sich nicht in unser Leben hinein, aber er ist nahe und spricht gute Worte. Er drängt sich nicht auf, um Platz in unseren Herzen zu gewinnen, sondern erhebt sich Angesicht und wartet darauf, dass wir den Rücken aufrichten und seinen Blick erwidern. Er liebt uns unter allen Umständen, denn wir sind seine Kinder, in seinem Bilde geschaffen. Er erhebt sein Angesicht auf uns und versucht ganz vorsichtig, das Beste, was wir einander geben können, aus uns hervorzulocken. Das ist die Liebe von Gott, von der wir leben sollen, und in seinem Segen sollen wir einander als von Gott Gesegnete sehen und brauchen.

Ich glaube, Maria hat dem kleinen Jesus von der Begegnung mit dem Engel erzählt, wie man nun von einer solchen Begegnung erzählt – denn wie sieht ein Engel aus? Und ich glaube, dass sich Jesus gefreut hat, über seine Mutter und im Heiligen Geist über seinen himmlischen Vater. Wie wenn alle anderen Kinder fragen, wie sich ihre Eltern gefunden haben und was weiter geschah, als sie einander annahmen und Eheleute wurden. Denn Maria begegnet Gott als eine Braut, die ihrem Bräutigam empfängt.

Heiraten heißt einander annehmen. Gott nimmt in uns, wie bei Maria, einen unvollkommenen und suchenden Menschen an. Er schenkt uns Freuden und hilft uns, unsere Bürden zu tragen. Uns anzunehmen. Er liebt uns, indem er uns annimmt. Und wir sind deshalb im Namen der Liebe schuldig, ihn anzunehmen, denn durch seinen Willen sind wir geschaffen.

Um die Liebe in einer Ehe bitten wir, dass sie reichen möge, „bis der Tod uns scheidet“. Die Liebe Gottes ist auch ein Annehmen, aber hier reicht die Liebe noch länger. Im Leben, durch den Tod und auf der anderes Seite des Todes bei Gott. Und daran glauben, sein Leben in diesem Glauben leben, das ist nicht leicht und unverpflichtend, denn wenn es unverpflichtend wäre, wäre es nicht Glaube.

Es gibt gute Gründe, Maria zu gedenken, denn mit dem Bild von ihr (dieser jungen Frau, die nach altem kirchlichen Glauben nicht mit Schmerzen gebar, sondern erst am Fuße des Kreuzes den Schmerz fühlte, als sie ihren Sohn am kreuz sterben sah), mit dem Bild von ihr folgen Nähe, einfühlende und bewundernde Blicke. Was dachte sie von alledem? Welchen Schmerz sollte sie tragen? Welche Ohnmacht hat sie nicht gefühlt? Wollen wir sie verstehen, müssen wir es mit der Kunst der Einfühlung versuchen.

Es ist ja relativ leicht, sich mit ihr zu identifizieren, denn sie ist ein Mensch. Ein Mensch wie du und ich, der freilich eine außergewöhnliche Aufgabe erhält, eine besondere Bürde und einen besonderen Segen. Ihr wollen wir gerne nähertreten. Ihr Erschrecken, ihre Furcht, ihr Entsetzen und ihre Verzweiflung kennen wir Menschen wohl. Und dann birgt sie die ganze Jesus-Geschichte. Sie hat ihn gekannt als die erste von Geburt an bis zu einem Tod. Sie musste mit all dem leben, und deshalb wandten sich die ersten Gläubigen an sie, um zu sehen, wie sie sich verhalten hatte.

In gewisser Weise war sie der erste Christ. Als das erste Oberhaupt empfing sie ihn, indem sie sich für den Heiligen Geist öffnete, ganz so wie du und mich es tun können. Maria ist vielleicht nicht so weit weg von uns, wie wir zuweilen glauben. Deshalb war sie mir Recht Gegenstand der Bewunderung, und alle möglichen Menschen haben hunderte von Jahren in ihr eine Glaubensheldin gesehen, einen Weg, auf dem man vielleicht Gott näher kommen konnte. Nicht notwendigerweise als eine Heilige, an die man sich wenden musste, um zu Gott zu kommen, aber als ein Vorbild, von dem man lernen kann.

Sie hat das Leben, die Wahrheit und die Freiheit vermittelt und die Glaubenden dazu gebracht, dasselbe in Jesus zu sehen. Maria ist ein Teil der Personengalerie des Glaubens, genauso wichtig wie die Jünger und die Apostel. Sie ist Mensch wie wir, und zugleich hat sie etwas ganz Besonderes. Wenn man die Maria der Ikonen sieht, ist sie fast immer dargestellt mit einem hingebungsvollen Blick auf Jesus, einfühlsame Hände, ein feiner Gestus, und ihre Bewunderung ist ansteckend für den, die der Ikone betrachtet.

Maria kann uns vor allem lehren, uns Gott zuzuwenden und uns seinem Willen zur Verfügung zu stellen. Und zugleich können wir von ihr die Kunst der Bewunderung lernen. Denn wir dürfen nicht vergessen, einander zu bewundern. Das ist die einfachste Art und Weise, Mensch zu werden. Es ist wichtig, dass wir einander Mut zum Dasein geben, und dazu, an Wahrheit und Freiheit in einer Welt zu glauben, in der so viel ist, das unsere Gedanken in die Finsternis führt. Wenn wir einander in Bewunderung sehen, als im Bilde Gottes geschaffen, dann sehen wir auch die Liebe und die Güte Gottes in den Händen und Augen der anderen.

Maria lehrt uns wirklich, dass immer Wahrheit auf Erden geboren werden kann – wenn man nur wagt, zu bewundern und zu lieben, und wenn man nur wagt, Gott raten zu lassen, und nicht immer seiner Tagesordnung und der dieser Welt zu folgen. Sie ist der Mensch, der deutlich macht, dass Gott und Menschen wirklich einander in die Augen sehen können und dass wir nicht aufgegeben sind, sondern geliebt. Amen.

 



Pastor Michael Brautsch
DK-2000 Frederiksberg
E-Mail: MWB(at)km.dk

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