Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 25.02.2007

Predigt zu Lukas 22:31-34, verfasst von Lothar Grigat

Liebe Gemeinde,

die Mahlzeit ist beendet; Brot und Wein haben am Tisch die Runde gemacht; das Passahmahl wurde gefeiert. Für Jesus war ganz offenbar das letzte Essen im Kreis seiner Freunde und Freundinnen sehr wichtig: „Mich hat sehnlich verlangt, das Passahmahl mit euch zu essen, bevor ich leide." Doch es sollte kein stilles und besinnliches Abendmahl werden!

Streit und Aufregung kamen auf, als Jesus unmittelbar nach den Einsetzungsworten auf den zu sprechen kam, der ihn an seine Verfolger verraten sollte und der noch mit am Tisch saß. „Und sie fingen an, untereinander zu streiten, wer von ihnen es wohl wäre, der so etwas tun könne." Und diese Auseinandersetzung löste noch einen weiteren Streit aus, nämlich darüber, wer von den Jüngern als der Größte und Zuverlässigste gelten könne.

Und da schaltet sich Jesus in die Diskussion ein. Für ihn zeigt sich Größe allein im schlichten Dienst. Von Ehrenplätzen und Machtpositionen hält er gar nichts. Da folgt dem lauten Streit betretenes Schweigen im Kreis der Getreuen. Und Jesus wendet sich einem unter ihnen ganz persönlich, ganz direkt zu. Nicht zufällig ist es Simon Petrus, denn dessen Name dürfte in der Debatte um den besten Mann wohl oftmals gefallen sein.

„Simon, Simon" - sehr betont, gar nicht beiläufig beginnt Jesus seine Anrede. Ganz ähnlich betont wurde auch Luther von einem Freund auf seine gefahrvolle Zukunft verwiesen: „Mönchlein, Mönchlein, du tust einen schweren Gang!" Mach dir nur ja nichts vor, mein lieber Simon, denn auch dir wird die klassische Hiobserfahrung nicht erspart bleiben, dass der Satan dich von Gott aus erbeten hat und dass er anscheinend mit jedem von uns machen kann, was er will. Du wirst erleben, dass wir von der Macht des Bösen durchgeschüttelt werden können - wie der Weizen im Sieb - und dass Gott sehr ferne zu sein scheint!

Und noch ehe der spontane Petrus etwas dazu sagen kann, fährt Jesus fort: „Ich habe aber für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre, und wenn du es erst einmal eingesehen hast, dass es Situationen gibt, in denen unser guter Wille und unser Selbstbewusstsein am Ende sind und wir nur noch von Gottes Gnade beziehungsweise von der Zuwendung anderer Menschen leben können, dann wirst du dich auch deinen Brüdern stärkend zuwenden können! Wer niemals schwach geworden war, der kann auch niemanden stärken! Unangefochtene Musterschüler werden selten gute Lehrer  für andere, Musterjünger ebenso. Treue ist Gnade, nicht Leistung, sowohl in der Ehe wie in der Gemeindearbeit; nicht Heldentum ist gefragt, sondern Ehrlichkeit und Offenheit; kein unerschütterliches Gelöbnis, sondern das Eingeständnis der eigenen Unvollkommenheit.

 

So weit ist Petrus allerdings noch nicht; noch glaubt er, keine Schwächen zeigen zu dürfen: „Herr, ich bin sogar bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen und in den Tod." Armer starker Petrus! Wie kann man sich so sicher sein! Jedesmal, wenn der Vers gesungen wird: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, lass fahren dahin...", dann verschlägt es mir, verschlägt es vielen Christen geradezu die Stimme. Oder ging es Ihnen eben anders? Ich glaube, das ist auch gut so, denn in diesen letzten Dingen sollten wir uns ausschließlich auf den verlassen, der gesagt hat: „Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Leute, die ihrer Sache allzu sicher sind, so wie dieser Petrus, die sind nicht zu beneiden.

Doch Jesus macht ihn nicht lächerlich. Er hält Petrus keinen Vortrag über die Gefahren der Selbstüberschätzung. Er stellt nur sachlich fest: „Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, mich zu kennen..." Nichts weiter, kein Vorwurf, etwa in der Art: Ich weiß, du wirst mich noch bitter enttäuschen, sondern einfach: Du wirst dreimal abstreiten, mich zu kennen. Interessant ist dabei, finde ich, dass ausgerechnet jetzt, wo der Fels beginnt zu bröckeln, Jesus die Anrede wechselt und statt Simon den Ehrennamen „Petrus" - Fels wählt, liebevoll und ohne alle Ironie. Auch Stunden später, als der Hahn krähte, nachdem Petrus sich tatsächlich dreimal in aller Deutlichkeit von seinem Herrn distanziert hatte, da fällt kein negatives Wort. Jeder andere Freund hätte es wohl nicht lassen können, seine  Enttäuschung zu äußern: Na, habe ich es nicht gleich gesagt, dass man sich im Ernstfall nicht auf dich verlassen kann? „Der Herr aber wandte sich um und blickte Petrus an und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich."

Und uns erscheint es, als habe der Glaube des Petrus damit versagt, habe er aufgehört! Aber ich denke, hier wird erzählt: nein, er ist ihm erhalten geblieben, er wurde neu geboren in der Möglichkeit, weinen zu können! Der Felsenmann, der Starke, der Held, der in bester Absicht viel zu viel von sich verlangte, endlich kann er weinen! Bei fast jeder guten Therapie bedeutet es ja die heilsame Wende, wenn ein Mensch seine zwanghafte Selbstüberschätzung aus sich herausweinen kann. Jetzt erst wird er richtig sympathisch, dieser Petrus, der weinende Fels.  Nichts bleibt mehr vom starken Glaubenshelden, keine Spur mehr von Unfehlbarkeit. Geblieben ist ein menschlicher Mann, der weinen kann. Und damit einer, der mitfühlen kann, wenn es jemand einfach nicht fertig bringt, sein großartiges Christusbekenntnis im hitzigen Alltag durch zu halten. Das befreiende Eingeständnis seiner eigenen Unzulänglichkeit und dazu die Erfahrung, dass sein Herr ihn gerade deswegen und trotzdem zum Führer der Gemeinde bestimmt, die machen es dem Petrus endgültig klar, worum es in der Nachfolge Jesu in der Christengemeinschaft geht: nicht um das vielleicht sogar lautstarke felsenfeste Bekenntnis, sondern um barmherzige Zuwendung und Annahme; nicht um souveräne und absolute Kirchenleitung, sondern allein um die Stärkung der Schwestern und Brüder.

Und genau wie Petrus, so musste auch Paulus, der andere große Führer der Urgemeinde, zunächst schmerzhaft vom hohen Ross der eigenen Selbstgerechtigkeit und Selbstüberschätzung herunter fallen. Erst danach konnte er sagen: „Meine Schwachheit ist meine Stärke!" Und: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus."

Ich finde, das Missverhältnis zwischen unserem menschlichen Vermögen und der Größe unserer Berufung ist in dem kurzen Gespräch zwischen Jesus und Petrus einfach wunderbar zusammengefasst: der Lobpreis der göttlichen Gnade tritt an die Stelle jeder Verherrlichung von großen religiösen Persönlichkeiten! Wann war es nötiger, sich dies so deutlich bewusst zu machen, als gerade derzeit? Ich möchte also für heute schließen mit der ganz und gar nicht unkritischen Frage, wodurch sich eigentlich Kirchenleitende Persönlichkeiten heutzutage auszeichnen: durch Herrschaft oder durch Dienst? Und diese Frage stellt sich mir für meine eigene Kirche, aber auch die Geschwisterkirchen in gleicher Weise!

 

Und der Friede unseres Herrn bewahre uns heute und zukünftig, damit wir im Dienen den Weg Jesu zueinander gehen können. Amen.

Lothar Grigat
Dekan in Homberg (Efze)
Pfarrstr.12
34576 Homberg (Efze)

E-Mail: pfarrverein@ekkw.de

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