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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Palmsonntag, 29.03.2015

Der leidende Superstar
Predigt zu Johannes 12:12-19, verfasst von Sven Keppler

  1. Liebe Gemeinde,

im letzten Schulgottesdienst ging es auch um den Einzug in Jerusalem. Die Kinder hatten dieselben geflochtene Palmblätter bekommen wie Sie. Mit ihnen sollten sie Jesus zujubeln wie einem Superstar.

Vor dem Gottesdienst hatten die Kinder in den Klassen überlegt: Was erwarte ich von einem echten Superstar? Von einem, den ich richtig gut finde. „Ich hoffe, dass er mir etwas Tolles schenkt – zum Beispiel ein Superauto,“ sagte ein Schüler. Ein anderer fand: „Er soll gepflegt und sauber sein und gute Manieren haben.“ Wer hätte das gedacht?

Bei manchen Kindern wurde die Sehnsucht sichtbar, dass jemand mal ganz für sie da ist: „Wenn ich einem Superstar begegne, stelle ich mir vor, dass er Zeit mit mir allein verbringt.“ Oder ein Mädchen: „Ich möchte, dass er nur für mich singt, tanzt oder schauspielt.“

Andere wünschten sich lauter Tugenden: Ein Superstar soll nett und gerecht sein, Geld an Arme abgeben, nicht angeben, nicht kommandieren, keine schlimmen Wörter benutzen. Der letzte Schüler brachte es auf den Punkt: „Er soll ein guter Mensch sein.“

Dann kam ein Jesus in die Kirche. Die Kinder jubelten mit den Palmblättern. Danach habe ich sie gefragt, warum sie ihm denn zugejubelt hätten. Ein Junge sagte: „Damit er die Römer aus dem Land wirft.“ Viele wussten gar nicht so genau, warum sie gejubelt haben: „Die anderen haben doch auch, da habe ich mitgejubelt.“ Und eine Schülerin sagte: „Weil er macht, dass die Toten aufstehen.“

Vielleicht waren die Erwartungen beim tatsächlichen Einzug Jesu in Jerusalem ja ganz ähnlich. Ich lese den Predigttext aus dem 12. Kapitel des Evangeliums nach Johannes [Joh 12,12-19].

 

  1. So wie Johannes die Geschichte erzählt, jubeln die Menschen aus zwei Gründen: weil Jesus ein König ist und weil er den Tod überwinden kann.

Jesus kommt hinein nach Jerusalem wie bei einer Krönungszeremonie. Als Salomo zum König gesalbt wurde, da ritt er zuerst zu einer Quelle vor der Stadtmauer. Dort wurde er zum König von Israel gesalbt. Danach zog er auf einem Maultier wieder hinein in die Stadt. Das Volk blies in die Posaunen und rief: „Es lebe der König Salomo.“ So steht es im 1. Buch der Könige.

Und so erzählt auch Johannes, dass Jesus unmittelbar vor dem Einzug nach Jerusalem in Betanien gesalbt wurde. Von Maria, der Schwester des Lazarus. Lazarus, der Kranke, zu dem Jesus gerufen worden war. Der gestorben war, bevor Jesus bei ihm ankam. Und den Jesus aus dem Tod zurückgeholt hatte ins Leben.

Das war für die Menschen das entscheidende Ereignis. Sie strömten herbei, um Jesus zu sehen, der die Macht hat, Tote wieder lebendig zu machen. Und sie wollten Lazarus sehen, an dem dieses Wunder aller Wunder geschehen war. Beim Einzug Jesu in Jerusalem erzählen sie von diesem Wunder. Und Johannes schreibt: Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Und Jesus zog ihnen auf dem Esel entgegen, wie einst Salomo auf dem Maultier – auf dem Weg zur Krönung.

Was mag einem Mann oder einer Frau in der Menge durch den Kopf gegangen sein? Sie sieht einen Menschen auf dem Esel reiten. Gut 30 Jahre alt, einfach gekleidet. Hört von dem Wunder an Lazarus. Der Reiter ist also fähig, Gestorbene wieder lebendig zu machen?!

Vielleicht kann er ja auch andere wieder lebendig machen, überlegt der Mann oder die Frau in der Menge. Vielleicht denkt sie an ihre alte Mutter. Vielleicht an ihr krankes Kind. Vielleicht auch an sich selbst. Diese Frau ist ein Mensch, wie die Kinder aus der Schule. Natürlich denkt man an sich, wenn man einem außergewöhnlichen Menschen begegnet. „Ich möchte, dass er Zeit ganz mit mir allein verbringt.“ „Ich möchte, dass er nur für mich singt.“

Vielleicht wünschen sich die in der Menge ja gar nicht, dass Jesus nur für sie da ist. Ein Superauto wünschen sie sich bestimmt nicht. Dass Jesus die Römer vertreibt? Vielleicht. Wer weiß, was von so einem König zu erwarten ist? Aber bestimmt hoffen sie, dass Jesus die Toten aufweckt und der Tod seinen bedrohlichen Schrecken verliert.

 

III. Und doch, liebe Gemeinde, etwas stimmt nicht bei dem Jubel in Jerusalem. Etwas fehlt. Die Menschen haben ja recht: Jesus war ein König auf dem Weg zur Krönung. Jesus hatte die Macht, Menschen dem Tod zu entreißen. Und es ist ja auch richtig, all das auf sich selbst zu beziehen: Was ginge mich Jesus an, wenn er nicht auch mein König wäre? Mein Retter?

Und doch stimmt etwas nicht bei dem Jubel. Was wird aus dem Jubel werden, fünf Tage später? Der König wird tot sein. Der mit der Macht über den Tod – wird selber gestorben sein. Der Jubel verstummt.

Am 1. Advent war der Einzug in Jerusalem schon einmal Predigttext. Da konnten wir den Blick ganz auf die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen lenken. Auch deshalb war es ja nicht verkehrt, heute zu Beginn des Gottesdienstes ein Adventslied zu singen [EG 1].

Aber heute müssen wir uns fragen: Was hat es mit diesen Hoffnungen auf sich? Warum greifen sie zu kurz? Warum können sie nicht bestehen, wenn der Blick auf den Gekreuzigten geht?

 

  1. In der Nacht auf Karfreitag wurde Jesus vom römischen Machthaber verhört, von Pontius Pilatus. Auch Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus verneinte nicht. Sondern er sagte rätselhaft: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Es lohnt sich, genau hinzuhören. Er sagt nicht: Mein Reich ist nicht in dieser Welt. Dann wäre alles ja ganz einfach. Es hieße: Mein Reich ist im Himmel. Deshalb ist der Kreuzestod nur eine Durchgangsstation hinein in mein wirkliches Reich.

Aber so ist es nicht. Jesus sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Das heißt: Ich beziehe meine Macht nicht aus dieser Welt. Ich habe meine Würde nicht von der Welt. So wie die Römer und die anderen weltlichen Machthaber. Sondern ich habe meine Würde und meine Macht von Gott. Meine Königswürde und meine Macht über den Tod.

Jesus könnte deshalb genau so gut sagen: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Und meine Macht über den Tod ist nicht von dieser Welt. Das ist von großer Bedeutung, wenn wir uns fragen: Welche Hoffnungen dürfen wir eigentlich auf Jesus richten?

Die Auferweckung des Lazarus hat gezeigt, dass Jesus sehr wohl Macht in dieser Welt hat. Seine Salbung in Betanien, die Huldigungen der Menschen – alles das ereignet sich in dieser Welt. Jesus ist nicht bloß ein Himmelskönig, der über den Engeln thront. Sondern er ist machtvoll mitten in dieser Welt.

Aber er ist es auf eine ganz eigene Weise. Auf eine Weise, die vor dem Blick auf das Kreuz bestehen kann. Bei Jesus gehören Leid und Erlösung untrennbar zusammen. Königtum und tiefste Erniedrigung. Hoffnungslosigkeit und neue Hoffnung. Der Sieg über den Tod und das Sterben.

Wer nur die eine Seite sieht, der kann Jesus nicht verstehen. Wer nur den machtvollen Jesus sieht, wer nur sieht, dass Jesus den Lazarus auferweckt hat und dass ihm wie einem König gehuldigt wurde, der sieht etwas Richtiges. Aber er sieht nur die Hälfte. Und wer nur den Leidenden und Gekreuzigten sieht, der sieht nicht einmal die Hälfte. Beides gehört zusammen.

Warum? Das ist das Geheimnis von Karfreitag und Ostern. So, wie es von den Jüngern in unserem Text heißt: Das verstanden sie zuerst nicht, aber als er verherrlicht war, da dachten sie daran.

Offenbar musste es so sein, dass Jesus im Leiden gekrönt wurde. Offenbar musste es so sein, dass der Gottessohn selber sterben musste, um den Tod für uns alle zu überwinden. Gott will den Tod überwinden, der uns von ihm trennt. Er wollte es offenbar nicht einfach so tun, dass er uns wie Lazarus wieder lebendig macht. Vielleicht wäre das ein Leben geworden, dass doch wieder nur von dieser Welt ist.

Stattdessen wollte Gott sterblich werden wie wir. Und uns dann mit Jesus hineinnehmen in ein neues Leben. In ein Leben, das dann eben nicht von dieser Welt ist. Ein Leben, das über diese Welt hinausweist. Und das deshalb in dieser Welt zu einer Quelle von neuem Lebensmut werden kann.

 

  1. Beides gehört zusammen. Dafür sind die Palmblätter ein schönes Symbol, die sie am Eingang bekommen haben. Es sind Streifen von getrockneten Palmblättern, die aufgeschnitten und getrocknet wurden.

Ich habe die Schülerinnen und Schüler gefragt, wofür diese Palmblätter wohl gut sind. Die meisten fingen gleich an, damit zu wedeln. Mit den Palmzweigen kann man wedeln und dadurch zum Ausdruck bringen, dass man einem Menschen huldigt und ihm zujubelt.

Aber ein Junge – natürlich ein Junge – hatte noch eine andere Idee. „Man kann das auch als Peitsche nehmen,“ sagte er. Und er hat ja recht. So wie ein Messer immer zugleich Werkzeug und Waffe ist. So wie Pharmakon gleichzeitig Arznei und Gift bedeutet. So ist auch dieses Palmblatt beides: Ein Zeichen von Freude und Jubel, aber auch eine Erinnerung an die Geißelung und Misshandlung Jesu.

Deshalb gehört auch beides zum Palmsonntag: Der Jubel und die Freude über den königlichen Jesus – und die Trauer über sein Leiden. Die Erinnerung an die Auferweckung des Lazarus – ebenso wie an den Kreuzestod.

Ich möchte Sie zu einer Zeichenhandlung einladen [kann ggf. mit dem Gang zum Abendmahl verbunden werden]. Kommen Sie bitte nach vorn in den Altarraum. Nehmen Sie die Palmblätter mit, als Zeichen, dass auch Sie Jesus als König die Ehre erweisen. Und legen Sie sie ab vor dem Kreuz. Als Erinnerung daran, dass Leiden und Erlösung bei Jesus zusammengehören. Untrennbar, aber mit einem klaren Ziel. Das Ziel ist das neue, das österliche Leben. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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