Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 11.11.2007

Predigt zu Matthäus 22:15-22, verfasst von Peter Skov-Jakobsen

Wir wissen nicht genau, wer diese Herodianer waren, aber vermutlich waren sie Anhänger des Herodes Antipas, eines der Söhne von Herodes dem Großen. Unter gewöhnlichen Menchen war es damals so, dass man schauderte, wenn von dieser Familie die Rede war. Eínes wusste man jedenfalls von ihr, nämlich dass ihr Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit nicht am Herzen lagen. Sie wollten nach Gutdünken schalten und walten - Ehre und Wohlergehen ihrer eigenen Familie stand für sie obenan. Sie benutzten oft alle möglichen religiösen Ideen, strategischen Ausfälle, Schlauheit, um sich selbst Sicherheit zu schaffen; Wohl und Wehe des Volkes aber ging sie nichts an, meinten sie. Sie praktizierten eine Schreckensherrschaft schlimmster Art.

             Deshalb steckt nichts Unschuldiges in der Frage des Tages an Jesus: "Ist's recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt, oder nicht? Das ist keine akademische Frage, keine en-passant-Frage, es handelt sich keineswegs um eine lose Diskussion über etwas, das interessant ist.

             Es sind die Handlanger der rohen Macht, es sind die Brutalen im Lande, die sich an Jesus heranmachen und ihm mit schmeichelnden Augen und schlauen Worten einen Bissen vorwerfen in der Hoffnung, er würde unvorsichtige Worte von sich geben.

             Sie wissen sehr wohl, dass sie sich mit ihren Zeitgenossen überworfen haben, diese Herodianer, - sie wissen sehr wohl, dass sie sich des Landesverrats schuldig gemacht haben - vielleicht wissen sie auch, dass es sehr schnell mit ihnen aus sein kann, wenn sie ihre Macht nicht mit Brutalität anwenden.

             Ein jeder Mensch, der Machtausübung beobachtet, hat auch das ganz elementäre Wissen: wenn man die Aufmerksamkeit der Menschen auf andere Dinge lenken kann, auf andere Entwicklungen und Einflüsse, wenn man ihre Aufmerksamkeit zerstreuen, sie vielleicht sogar zu innerer Uneinigkeit bringen kann, dann lässt sich Platz für Ungeheuerlichkeiten schaffen - oder richtiger gesagt, die Willkürlichkeit der Herrschenden bleibt unentdeckt. Heutzutage nennen wir das "Spin" - eine Disziplin, die so wichtig ist, dass man darin sogar den Doktor machen kann.

             Hätten sie an jenem Tage Jesus dazu vermocht, etwas Dummes zu sagen, dann hätte sich die Volksmenge vielleicht an ihm vergriffen - dann hätte er womöglich als Landesverräter dagestanden, dann wäre er der Ausbeuter gewesen.

             Aber so ging es nicht. Er ließ sich nicht mit ihnen ein! Er entlarvte sie, und niemand zweifelte daran, dass sie ihm eine Falle hatten stellen wollen. Er sollte als der Feind des Volkes dastehen. Er sollte dastehen als einer, der Recht und Gesetz verabscheute.

             Alle wussten jetzt, dass sie es waren, die den Interessen der Besatzungsmacht dienten.

             Alle hassten diese Münzen mit dem Bild des Kaisers. In Israel meinte man, man trüge zur Anbetung des Kaisers bei, wenn man mit diesen Münzen bezahlte - und so fühlte man, dass man gegen das erste Gebot verstieß, nämlich dass man nicht andere Götter anbeten durfte.

             Jesus befreite sie von diesem Schrecken. Es war, als sagte er an jenem Tage, dass es doch nur ein Bild sei. Das Bild könnten sie doch einfach an seinen Urheber zurückgeben. Sie könnten dem Kaiser einfach sein eigenes Porträt wieder zurückgeben. Sie sollten doch nicht glauben, man könnte seine Freundschaft mit der Ewigkeit aufrecht erhalten, wenn man es nur unterließ, bestimmte Dinge zu tun - wie sie ja auch nicht glauben sollten, dass man sich bei Gott so ohne weiteres verdient machen könnte, wenn man nur die religiösen Vorschriften einhielt. Es sei nicht so einfach, wie sie sich das manchmal wünschten.

             Ich kenne den Grund nicht, aber die Menschen sind anscheinend immer der Versuchung ausgesetzt gewesen zu meinen, dass es bestimmte Dinge gäbe, bestimmte Rituale, die man einzuhalten hätte, und dann würde sich schon alles finden - auch dann, wenn man sich weder mit seinem Herzen noch seinen Gedanken engagierte. Es gibt die Vorstellung, wenn man bloß die Traditionen befolgen würde, dann würde es nicht ganz schief gehen können. Aber es gibt solche und solche Traditionen - wir haben alle die Erfahrung gemacht, dass wir Sätze, die sinnlos sind, vor uns hinplappern - und wir haben wohl auch erfahren, dass unverständliche Worte plötzlich Sinn bekamen, weil wir hinreichend oft über sie nachgedacht haben.

             Eine Tradition ist eine überlieferte Geschichte. Wir erzählen sie immer wieder, und wir fahren damit fort, weil es Sinn schafft und Leben schenkt. Wir feiern die Geburtstage unserer Kinder auf eine bestimmte Weise, wir feiern Heiligabend auf eine bestimmte Art und Weise, und wo das aufrichtig geschieht, da ist es, wie wenn jedesmal etwas hinzugefügt wird; aber all das, was man bereits erlebt hat, klingt weiterhin als richtig und wahr mit.

             Bei epochalen Gelegenheiten nehmen wir die Kinder mit in die Kirche, damit sie getauft werden - hier konfirmieren wir auch und markieren den Übergang von der Jugend in das Dasein als Erwachsener - hier bezeugen wir, dass Menschen miteinander die Ehe eingehen - und wir beweinen unsere Toten. Wir kommen mit bestimmten Erwartungen, dass hier die Tradition gefordert ist und Sinn schaffen und die Worte, die Gefühle und die Musik liefern muss, die dem, was wir erleben, Platz schaffen.

             Aber die Tradition kann auch verraten - und das tut sie, wenn sie weder Gedanken noch Gefühle hervorbringt. Wenn sie nur zu einem "Lirum-larum-Löffelstiel" wird, dann sind das nur Worte, die herumfliegen und ein wenig von sich hermachen, die aber niemand in sich aufnimmt.

             Jesus behauptete an jenem Tage ihnen gegenüber, es gebe kein Ritual, kein Gebot, kein Gesetz, das ihre Gegenwart, ihr Nachdenken, ihr Einleben nicht erfoderte. Das Leben sei nicht automatisch - auch nicht mechanisch.

             Der Mensch ist im Bild Gottes geschaffen und ist deshalb allzeit gefordert, sich zu dem Dasein, das wir leben, zu verhalten. Es gibt kein Fazit.

             Hier in der Kirche erinnern wir uns gegenseitig immer wieder daran, dass es kein Fazit gibt; aber das macht dann auch nichts; denn Gott ist! Gott ist auf einzigartige Weise im Leben gegenwärtig. Es mag wohl sein, dass wir uns an alle diese Geschichten über Jesus von Nazareth gewöhnt haben und deshalb ihre Herausforderung nicht mehr wahrnehmen; aber in den meisten religiösen Traditionen ist es nahezu blasphemisch, von einem Gott zu reden, der so nahe an die Menschen herantritt, wie Christus es tut. Man kann das einfach nicht ertragen! Gott hat erhaben und unerreichbar zu sein und hat sich nicht in menschlichen Angelegenheiten auf der Erde zu zeigen und zu gebärden.

             Aber das ist es nun, woran wir glauben: Gott näherte sich der Erde mit einer Liebe, die sich eben nicht von denen distanziert, die alle verabscheuten, nicht von den Kranken, den Unterdrückten, den Armen. Wir glauben daran, dass Gott sich bei dem Menschen zeigt, der weit weg ist, sowohl für die anderen als auch für sich selbst, - bei dem Menschen, der fast vergisst menschlich zu sein. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist nun die Erzählung von der Frau, die zwölf Jahre lang den Blutfluss hatte und von den andern verabscheut wurde. Es gab nichts, was man ihr nicht zugetraut hätte. Man tuschelte oft über sie; sie war eine von denen, die man nicht einmal ansieht, wenn man an ihnen vorbeigeht. Und das Schlimmste war, dass die Frau deren Abscheu sich zueigen gemacht hatte. Sie hatte keinerlei Selbstvertrauen. Sie existierte wohl nicht mehr, weder in den Augen anderer, noch in ihren eigenen Augen.

             Sie hatte sich eines Tages in der Menschenmenge befunden, als er vorbeikam, dieser Jesus, und sie hatte sich gedacht, er würde sie sicherlich nicht sehen wollen, und er würde sicherlich nicht mit ihr sprechen wollen; aber sie konnte heimlich sein Gewand berühren, denn es war, als ob Leben in ihm war.

             Verstohlen berührte sie seine Kleidung. Er fuhr nicht fort; sondern er hatte bemerkt, dass jemand sie berührt hatte. Seit dem Tage wissen wir, dass wir von einer Liebe reden, wir reden von dem Gott und dem Jesus, der sogar den Menschen bemerkt, der nicht einmal sich selbst wahrnimmt - der alle Selbstachtung verloren hat und weder in seinen eigenen Augen noch in denen der andern existiert.

             Wir sprechen von dem Gott, der uns nicht durch Einhaltung von Ritualen und Fazitmentalität erreicht; sondern der uns mit Liebe, Barmherzigkeit, Milde, Geduld mitten im Leben erreicht - und der, uns betreffend und für uns, wünscht, dass wir dem Leben nicht mit schlauen Fragen ausweichen, sondern es wagen, hinauszugehen und dem Kaiser, was des Kaisers ist, zu geben und nie zu versäumen, Gott das Leben zu geben.

             Wir sprechen von dem Gott, der uns die Augen öffnet und uns veranlasst, die Richtung zu ändern, wenn wir versucht sind, unsern Mitmenschen Schaden zuzufügen. Wir sprechen von Gott, der sich nicht in Systemen und Traditionen fangen lässt, sondern der sich allzeit in das Herz der Glaubenden legt und uns dahin führt, dass wir das Beste für die Welt wollen, denn wir wissen, dass das Ganze mit dem Feuer der Liebe steht und fällt, und wir glauben, dass die Liebe im Bund mit dem Geist die Überhand in der Welt gewinnen wird und Recht und Macht Hand in Hand wird gehen lassen. Wir leben in der Hoffnung und dem Vertrauen auf das Himmelreich der Liebe, das Jesus für uns aufschloss.

Amen

 



Pastor Peter Skov-Jakobsen
København K, Dänemark
E-Mail: pesj(at)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)