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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 03.04.2015

Predigt zu Markus 15:20-40 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anders Kjærsig

Karfreitagsstimmungen

Den Tod, dem bin ich als Junge begegnet.

Aber nur als Stille bei jemandem, den ich gern hatte.

Der Tod – der ist mir stets nahe.

Aber wir führen keine Gespräche miteinander,

weder am hellichten Tage, noch, wenn die Sterne leuchten.

Wir wissen es nur beide, dass der andere da ist.

Mehr ist nicht nötig. Wir werden uns wohl treffen.

 

Dieses Gedicht von Morten Nielsen stellt nur kühl, klar und ohne Umschweife fest, dass der Tod eine Tatsache ist, um die wir nicht herumkommen. Hier sind keine Fragen, keine sehnsuchtsvollen Rufe oder Seufzer. Bis auf weiteres schiebt er ihn von sich: Wir werden uns wohl treffen.

Ausgehend von Nielsens Gedicht könnte man ja fragen: Wie kann man sich eigentlich der Kreuzigung nähern, ohne dass dies entweder in Dogma½tik endet oder in Banalität? Die Frage ist wesentlich. Christus selbst wurde gekreuzigt, aber nach drei Tagen stand er auf von den Toten, damit der Tod nicht das Letzte sein soll im menschlichen Dasein – aber was will das bedeuten? Wie verstehen wir die Worte, und welche Bedeutung hat das für einen Menschen? Wie kann man von der Kreuzigung reden, so dass es Sinn macht?

Ich möchte im Folgenden zwei unterschiedliche Stimmungsbilder darstellen, die mehr oder weniger ausdrücklich auf das Geschehen von Karfreitag bezogen sind. Die Stimmungsbilder stammen aus der Literatur, nicht zuletzt von zwei Autoren, für die die Angst, die Einsamkeit, der Tod und der Schmerz wesentlich sind für ihre Produktion.

Erst der moderne Lyriker Søren Ulrik Thomsen, dann der Symbolist Johannes Jørgensen.

Søren Ulrik Thomsen:

Bleib bei uns, der Tag sich neiget

Mein Gott, kehre bei uns ein!

Bleib, wenn die Lichter verlöschen,

Das Dunkel bricht herein.

 

Diese Worte sind die erste Strophe eines Abendliedes des dänischen Dichters Ingemann, sie stehen als Einleitung zur ersten Gedichtsammlung Søren Ulrik Thomsens aus dem Jahre 1981 City Slang. Die Worte Ingemanns bringen kurz und klar das zum Ausdruck, worum es in der Gedichtsammlung geht. Die Einsamkeit, die Abwesenheit, die Angst, die Finsternis und der Tod sind die Stimmungen, die der Dichter aufnimmt und aus denen er sich herauszuschreiben versucht. Sie suchen nach Worten, die mit uns sein und uns beschützen können, wenn die Finsternis aus den Schleusen der Nach quillt und der Tod uns umfängt und uns zu vernichten droht.

Man spürt Karfreitag in mehreren der Gedichte. Die Finsternis hat die Macht, sie streckt ihre Arme in die Straßen der Stadt, ja in den Körper hinein und macht alles wüst und leer. In dem Gedicht „Über den Himmel“ bewegt man sich zurück vom Leben und dem Licht zu dem Tod, der unweigerlich eintrifft. Langsam merkt man den Körper und die Tage fortsegeln und im leeren Raum verschwinden. Das Gedicht klingt so:

Über den Himmel segelt mein Auge über das Auge segelt mein Licht über das Licht segelt mein Wind über dem Wind segelt meine Hand über die Hand segelt meine Haut über meine Haut segelt mein Puls über den Puls segelt mein Blut über das Blut segeln mein Tag und meine Nacht über den Tag und die Nacht segeln meine Jahre über die Jahre segelt mein Tod.

Das Licht, das das Auge am Himmel sieht, folgt ihm den ganzen WQeg in den Körper und die Finsternis, vom Globalen zum Lokalen. Es ist das Kreuz des Lebens für jeden Menschen, dass der Tod auf uns wartet und die Jahre dahinschwinden, und plötzlich ist alles vorbei. Das ist die Einsicht, die das Gedicht zum Ausdruck bringt. Einerseits erfährt man den Tod ga½nz körperlich, andererseits erinnert man sich an das L;icht, das vom Himmel strahlt.                                                                                                                                                                                                                                                                   

In dieser Spannung zwischen Licht und Finsternis, zwischen Tag und Nacht, zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod merkt man das Evangelium. Es hält am leidenden Christus am Kreuz fest, aber wohlgemerkt mit dem Licht vom Ostermorgen in der Erinnerung. Wir sind also nicht allein, nicht einmal im Tode dürfen wir wir selbst sein. Christus ist uns vorangegangen und hat ein Licht angezündet, so dass die Finsternis und die Zerstörung weichen müssen.

Das ist die Grunderzählung, die die Gedichte Thomsens aufnehmen. Auch wenn das Leben dem Tode entgegensegelt, und die Gedichte Thomsen halten uns beim Tode fest, ist der Tod nicht das Letzte. Da ist etwas, das größer und stärker ist,

In einem anderen Gedicht ohne Titel merkt man indirekt, dass es das christliche Licht ist, an das gedacht wird. Das sieht man nicht nur am Himmel, sondern trifft auf die Erde und wohnt in der menschlichen Welt:

Die Finsternis weht aus einem Loch im Himmel

die Finsternis fährt zusammen

das Licht strahlt aus einem Spalt unter dem Arm

das Licht stürzt auf die Erde.

 

Soweit Søren Ulrik Thomsen.

Johannes Jørgensen

Wer das Schwert zieht, wir durch das Schwert sterben.

Leer ist Bethlehem – und der Stern erloschen.

In diesen Worten ist nicht viel Hoffnung. Das Licht ist auch verschwunden und verstummt. Die Worte stammen von dem dänischen Lyriker Johannes Jørgensen, der sich in mehreren seiner Gedichte mit dem Tod und der Finsternis beschäftigt. Vor allem in seinem Spätwerk seit den 40‘er Jahren. Das gilt u.a. für die Gedichte „Die längste Nacht“ und „Jetzt ist die große Finsternis gekommen“.

Die Karfreitagsstimmung ist in diesen Gedichten mit der Erfahrung der Weltkriege verbunden und dem Bösen, das das Lebendige vernichten will. In der ersten Strophe desletzten Gedichts heißt es:

Nun ist die große Finsternis gekommen.

die das ganze Rund der Erde bedeckt –

ein Meer von Nacht, bodenlos.

Nun ist die große Finsternis gekommen.

Das Bild vom bodenlosen Meer der Nacht ist grausam. Es lässt uns in einer Welt zurück, in der das Licht und das Leben verloschen sind. Hier sind die Menschen sich selbst und ihren zufälligen Entschlüssen überlassen. Im Gegensatz zu den Gedichten Søren Ulrik Thomsens, der sich mitten in Finsternis und Tod an das Licht erinnert, sind die Gedichte Johannes Jørgensens reine Abwesenheit von Licht und Leben. Die Gedichte erinnern im Großen und Ganzen an nichts, sie bitten und beten und fordern und verlangen. Sie glauben nicht an ein Licht und ein Leben – deshalb schreien sie danach. Man merkt den Schmerz und die Ferne in einem Gedicht mit dem Titel „Karfreitag“:

Herr, sie sagen: Du gingst für uns in den Tod,

dass in deinem Namen Erlösung ist von aller Not –

siehst Du denn nicht, o Gott, die Erde brennt,

der Tod pflügt die Erde mit seinem Pflug –

die Welt, die Du so reich und schön geschaffen hast –

dass Unkraut den Weizen erstickt auf Deinem Feld,

und das Reich des Lichts wird zur Beute der Finsternis.

 

Siehst Du denn nicht unsre Qual, die niemals endet?

Ach schläfst Du, wie Du im Schiff schliefst?

Herr steh auf und zeig dich in Deiner Macht!

 

Erklang da eine Stimme von den Bergen der Ewigkeit?

„Ihr habt meine beiden Hände gekreuzigt“ …

 

Der Schrei und die Desillusion sind ganz deutlich. Die Erde brennt, und der Tod pflügt die Erde mit seinem Pflug – das Reich des Lichts wird Beute der Finsternis. Da ist keine Hoffnung und keine Erwartung, keine Träume, dass sich die Dinge zum Besseren wenden. Nicht einmal Gott kann etwas tun. Ihm haben die Menschen ja die Hände gebunden, so dass er nicht helfen kann.

Die Stärke des Gedichts liegt in dem Kontrast zwischen den menschlichen Beschuldigungen und dann der Antwort Christi. Und es sind viele Anschuldigungen. Das Gedicht verwendet das persönliche Fürwort „Du“ ganze sieben Mal. Sieben Mal geht der Mensch mit Christus ins Gericht: Siehst Du denn nicht, schläfst Du, stehst Du nicht auf, heißt es in einer Mischung von Klage und Verzweiflung.

Im Gegensatz zu Thomsen, der sich an das Licht erinnert, ist das Gedicht Jørgensens eine Bitte darum, dass Gott da sein muss, auch wenn man ihn nirgends finden kann und er nicht imstande ist, sich zu bewegen. Die Antwort von den Bergen der Ewigkeit ist nämlich doppelt. Dass die Antwort aus der Ferne kommt, „Ihr habt meine beiden Hände gekreuzigt“, ist trotz allem eine Antwort und eine Stimme, die mitten in der Finsternis vertraut und beschützend wirkt.

Das ist wie ein Kind, das weint und nach seinem Vater ruft, und der Vater antwortet von weit weg. Auch wenn das Kind nicht hören kann, was der Vater sagt, kann es seine Stimme hören. Das genügt. Wenn nur die Stimme und die Tonlage eine Wärme durch den Raum strömen lässt, ganz gleich wie hart und barsch die Worte nun sind. Wäre da niemand, der dem Kind antwortete, ginge es in kurzer Zeit zu Grunde.

Das gilt auch für das Gedicht Jørgensens. Die Stimme Gottes erklingt mitten in der Angst und der Leere. Dort, wo Christus am allermeisten ganz allein ist, kommt er den Menschen zu Hilfe. Das Kreuz ist die Stimme des Todes, aber die Sprache selbst ist die Stimme des Lebens und der Auferstehung, die somit auf den Ostermorgen hinweist.

Ich möchte mit Grundtvig schließen. Auch wenn er der Dichte der Auferstehung ist, kann er uns auch im Tode und im Schmerz festhalten. Und er kann dies, weil er den Schmerz und den Tod kennt und weiß, dass es Bereiche im Leben gibt, über die man nicht Herr ist:

Dies Geheimnis deines Kreuzes

glaub ich, Herr, kraft deines Geistes!

Hilf, will m ich der Feind verderben!

Reich mir deine Hand im Sterben!

Sprich: „Wir gehen ins Paradies“!

Amen.



Pastor Anders Kjærsig
DK 5792 Årslev
E-Mail: ANKJ(at)km.dk

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