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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 05.04.2015

Predigt zu Markus 16:1-8, verfasst von Ulrich Wiesjahn

Liebe Gemeinde!

 

Ostern – was ist Ostern? Hören wir zu, wie es damals war! Hören wir so zu, als ob wir selbst dabei gewesen wären. Überwinden wir einmal allen Abstand zwischen damals und heute, dann werden wir verstehen, was Ostern bedeutet – für uns hier bedeutet.

 

Lesung von Markus 16,1-8

 

In diesem Bericht höre ich, liebe Gemeinde, lauter Inneres, das ich nachvollziehen kann. Denn auch mein Herz schlägt im Dunkeln und mein Gehirn arbeitet im Dunkeln und alle Sinne sind tief verborgen im Körper und mein Bewusstsein ist ein großes Geheimnis. Und sie alle will ich nun nach der Auferstehung befragen, um dann meinen eigenen abenteuerlichen Lebensweg zu gehen.

   Ich höre zuerst von der Liebe der Frauen, die Jesus dienten, dann von ihrer Treue, die sie ihm bis zum Kreuz gehalten haben, wenn auch nur von ferne, danach von ihrer Trauer und Pietät, als sie seinen Leichnam mit wohlriechenden Ölen salben wollten, und ganz zum Schluss von ihrem Erschrecken im leeren Grab. Das alles sind lauter innere Regungen, die ich selber kenne. Sie sollen mir verstehen helfen, denn sie sind in aller Dunkelheit stark und klar.

   Ich weiß wohl, dass sich die so genannte historisch-kritische Theologie an dem Thema „das leere Grab“ wund gerieben hat. War es wirklich leer? Und wenn ja, gilt das schon als Beweis für die Auferstehung? Seltsame Gedankenverrenkungen finden da statt, eine philologische Erbsenzählerei soll zu Erkenntnissen verhelfen, so als könnte eine Statistik eine Antwort auf unsere Lebensfragen geben.

   Ich also stehe nun mit den Frauen an einem offenen Grab und höre ihre Stimmen, vernehme aber auch ihr Schweigen. Ich fühle ihre ganze innere Spannung, höre ihr laut klopfendes Herz, ahne ihre Trauer und Treue und verstehe ihr Erschrecken, als sie das Grab offen und leer vorfinden und statt eines eingewickelten Leichnams einen sprechenden Engelsjüngling antreffen.

   Soll ich diesen Bericht nun auslegen, als wäre er ein ganz anderer als er ist, ein Märchen etwa? Es ist doch meine Geschichte. Und ich lebe doch wirklich.

   Worauf soll ich aufmerken? Auf das Hören und Sehen? Nun, ich soll erst einmal begreifen, dass alles ganz nah ist. Ostern folgte für die Frauen umgehend auf Karfreitag. Und auch mir ist es ein schöner und tröstlicher Gedanke, dass die Auferweckung so unmittelbar auf den Tod folgt, wobei ich ja schon vom Schlaf weiß, dass die Zeit darin keine Rolle spielt. Und so ist mir auch die Auferstehung ein fast körperliches Bild und Gefühl – wie überhaupt alles Denken und Glauben als tief verwurzeltes Gefühl da ist. Deshalb ist der schönste Ausdruck dafür die Musik, der Gesang.

   Fast wie im Rausch, so möchte ich sagen, ergreift mich da die Vorstellung, dass das Grab Jesu mein eigenes Inneres sei. Dann erlebte ich, dass es offen stünde und hell wäre und drei Frauen einträten, um den Toten in mir zu salben mit wohlriechenden Ölen. Doch sie fänden keinen Leichnam in mir. Sie sähen statt dessen einen Engelsjüngling, meinen Engelsjüngling, in einem lichthellen weißen Gewand und hörten ihn sprechen: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“ Und ehe sie erschrocken davonstürzen, hören sie noch die Worte: „Geht nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“

   Und ich, bleibe ich zurück? Aber wie? Immerhin ohne Leichnam. Hell ist es in mir, ganz hell. Soll ich nun auch nach Galiläa gehen, wo alles einmal angefangen hat? Wahrscheinlich muss ich es tun. Ich muss auch in meinem Leben wieder an den Anfang zurückgehen. Das hat mir Jesus immer wieder gesagt. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich gelangen.“

   Und nun wird mir auf einmal etwas klar: Den ich da nach der Auferstehung treffen werde, ist derselbe, von dem ich alles andere gehört und gelesen habe: von seinem Glauben, von seinen Heilungen, von seiner Vitalität, von seiner Intellektualität, von seiner Gefangennahme und von seinem grausigen Tod. Denn nach solch einem Leben lag der Tod genauso nahe wie seine Auferstehung. Solch ein Leben findet solch einen Tod und solch eine Auferstehung. Das ist eine göttliche Komposition, die ich verstehen, bewundern und glauben kann.  D i e s e r , so muss man betonen, ist auferstanden. Hier waltet eine Logik, die genauso hell ist wie alle sonstige Logik. Hier beginne ich auf einmal zu verstehen, was denn Leben ist.

   Was ist Ostern? So lautete am Anfang die Frage. Und die Antwort darauf heißt: Es ist das Leben, mein Leben. Und das beginnt immer wieder neu. Es beginnt und endet nicht.

                                                                                                                                        A m e n.

 

 



Ulrich Wiesjahn
Goslar
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