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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 02.04.2015

Predigt zu Matthäus 26:17-30 (dänische Perikopenordnung), verfasst von Anne-Marie Nybo Mehlsen

Eine Reisemahlzeit ist uns gar nicht fremd. Wir haben ja Fast-food und Kaffee-to go und wissen alles über die schnelle Mahlzeit unterwegs und beim Aufbruch. Aber die Reisemahlzeit, bevor wir wirklich auf Reisen gehen, hat etwas andere Töne. Da ist eine Stimmung von Aufbruch, rastlos, unruhig, aber da ist auch ein Verweilen beim Abschied und eine Nahrung für den Weg, der vor uns liegt.

Die Reisemahlzeit aß das jüdische Volk mit einer Anweisung von Gott selbst: Nehmt ein fehlerfreies Lamm! Kein Discount hier, nur prima Rohwaren. Streicht das Blut des Lammes auf die Oberlatte der Tür, und der Engel des Todes wird vorüber gehen!“ Vorübergang heißt pessach auf Hebräisch, daher das nordische Wort „påske“ und das deutsche Ostern, das wie das englische Easter allerdings auch an die Auferstehung erinnert mit der Anspielung auf den Sonnenaufgang im Osten. Weiter im Süden und in Italien heißt es wiederum Pasqua.

Schließlich sagte Gott: nach dieser Reisemahlzeit in aller Hast sollt ihr aus Ägypten und der Sklaverei auswandern, wandern als freie Menschen zum neuen leben, das vor euch liegt.

Zur Erinnerung an diesen Auszugessen Jesus und seine Jünger an diesem Abend. Bis Jesus das Brot nimmt und den Wein nach der Mahlzeit und alles neu macht. Und mit zu Tische, als er dies tut, sitzt Judas, der ihn verriet.

Verrat ist ein altes Wort, heutzutage selten, weil niemand das gerne beim Namen nennt. Es bedeutet verraten sein und selbst Verrat begangen zu haben. Jemand anderes denen ausgeliefert haben, die das Schli8mmste wollen. Oder denen, die es wissen sollten. Das erste, was verloren geht, ist das Vertrauen, wenn es vorhanden war. Das nächste ist der Respekt. Es fällt schwer, einen Menschen zu respektieren, der Verrat begangen hat. Aber die, die verraten wurden, verlieren auch etwas von sich selbst, denn eigenartiger Weise nimmt das Selbstvertrauen Schaden, wenn man verraten wird. Etwas von der Schuld nimmt man auf sich. Es ist eine Schaande, verraten zu werden – merkwürdig, aber wahr.

Nun geschieht es trotz allem nicht jeden Tag, dass wir einander dem Tode ausliefern, wie Judas dies tat. Weir befinden uns wohl nicht in einem Streit, haben niemanden, der uns verhaften, aufhängen oder wegwerfen will. Aber wir kennen Verrat. Wir kennen das, ausgeliefert zu werden und selbst ausgeliefert zu haben, aus unserem Alltag. Der tiefe Schmerz ist spürbar, wenn dies geschieht. Mobbing ist ein kleines Beispiel aus dem Alltag. Mobbing ist die Kunst zu verraten, auszuliefern und auszugrenzen. Das können Erwachsene wie auch Kinder.

Judas geht, er hat seinen Job zu machen, aber erst nimmt er am letzten Teil der Mahlzeit teil. Hier ist kein Skandal, kein Türenknallen, kein lauter Streit, nur eine Feststellung, und dann ein einsamer Mann, der weggeht, bereit, seinen dreckeigen Job zu machen.

Judas ist einsam – ungewöhnlich einsam, sein Geburtstag ist dem Vergessen anheimgefallen, eine ein unerwünschtes Ereignis. Wieder eine Feststellung, denn für Judas ist sein Verrat unerträglich, er erhängt sich. Man könnte vielleicht versucht sein zu glauben, dass Judas der sei, der verraten wurde. Er kann seine Schande nicht ertragen, als Täter entlarvt worden zu sein, dass Jesus ihn von sich weist. Wir haben gelernt, Sympathie für den Täter zu empfinden …. Woher haben wir das wohl gelernt? Instinktiv wollen wir gerne Judas vor den Konsequenzen dessen schützen, was er tut.

Aber es ist an der Zeit, dass wir auf das hören, was am Tische geschieht. Es ist höchste Zeit, weil wir selbst dabei sitzen zu Hause oder in der Kantine, morgens, mittags und abends sitzen wir mit dabei. Essen vielleicht deshalb so viele von uns allein, unterwegs?

Jesus sagt, dass einer von ihnen ihn verraten wird – und alle fühlen sich getroffen und fragen, ob sie es sind. Wenn Jesus sagt, was geschehen wird, haben sie sich längst daran gewöhnt, dass es stimmt. Hellsicht, göttliche Klarheit – nenne es, was du willst. Man stellt es nicht infrage, wenn es einem begegnet.

Vielleicht kennen die Jünger nur sich selbst und wissen, dass jedem von ihnen, in einem bedrängten Augenblick, einem Moment der Schwäche, nicht garantiert zu trauen ist. Sie trauen sich selbst nicht ganz. Gleichen sie einem, den du kennst?

Sie fühlen also mit mehreren mit dem gleich, was Judas schließlich tut. Schicksalsschwere Worte fallen, dass es besser wäre, wir wären nie geboren. Das klingt vielleicht als einsam, eine Verbannung in unseren Ohren. Das sagt alles über unseren Begriff von Gerechtigkeit, aber kein Wort von dem, was da tatsächlich geschieht.

Weil Jesus nicht geht und nicht Judas vom Tisch verweist, sondern die Gemeinschaft aufrechterhält, obwohl etwas ganz anderes gespielt wird. Judas geht mit Essen im Magen – Reiseproviant. Eine geistige Ration ungewöhnlicher Art. Eine Brücke über den Verrat, das Versagen und die Einsamkeit des Täters, eine Brücke quer über den Abgrund - auch den Abgrund, in den Judas fiel.

Einsam ist der Mann, der hinausgeht, von Gott verlassen ist er wohl in seinem Gefühl der Bitterkeit – ja wer weiß? Da sind viele denkbare Motive: Der Mann ist vielleicht eifersüchtig oder enttäuscht – oder er ist dabei, einen Beweis dafür zu erzwingen, dass Jesus wirklich der Messias, der Sohn Gottes ist, indem er ihn zum Handeln zwingt. Mitten in dem Ganzen scheint das ein Teil des Planes zu sein – und also auch der Sinn Gottes – und wir verstehen gar nichts.

Kommt dir das fern vor und etwas wie die Handlung in einem Film, so ist das verständlich. Wer kann es ertragen, an der Stelle von Judas zu sein? Oder, wenn man so will, an einer anderen Stelle in diesem Bericht? Aber wir sind schon dort.

Wir wollen keine Täter sein, sondern sehen uns mehr als Opfer der Untaten anderer – und hier vor der Untat des autoritären Predigers in der Mitteilung, dass es sich so verhält. Her gehen ich und du und tun unser Bestes und werden allzu oft von dem rücksichtslosen Treten und Trubel anderer getroffen. Und dann sollen wir hier darauf hören, dass wir Täter sind, Verräter, und die Vergebung der Sünden empfangen. Und ist es nicht vielleicht das, wovon das Abendmahl handeln mit all dem Blut und Fleisch und dem Niederknien?

Nein – nur solange, wie wir an unserer eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit festhalten, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Rache, Vergeltung, Bereuen. Das ist unser eigenes System. Unsere eigene Vorstellung davon, dass die Rechnung aufgehen muss.

Gott tut etwas anderes. Das letzte Opfer ist gebracht, und das ist nicht noch ein blutiges Opfer für einen grausamen, rachesüchtigen Gott. Es ist Gott selbst, der ins Leben geht, in die Finsternis und die Begegnung mit Bosheit und Niedertracht. Er begegnet dem nicht mit Rache, Strafe und Vergeltung, sondern mit – Liebe. Man muss es entschuldigen, ich hatte mir eigentlich nicht gedacht, dieses Wort in der Predigt zu verwenden, es ist so verschlissen. Aber es ist nun mal das Wort, das die Sache trifft. Vergebung handelt eben genau davon, nicht Rache zu üben, nicht Vergeltung zu fordern, sondern sich stattdessen den Konsequenzen des Bösen in den Weg zu stellen. Vergebung heißt eine Brücke bauen zum neuen Land auf der anderen Seite und auf der Gemeinschaft bestehen.

Und ja, gewiss gibt es Dinge, die sich nicht so einfach vergeben lassen. Da sind zerstörtes Leben und verkrüppelte Menschen. Hier sind fünf und sieben nicht gleich, denn Gott sieht sehr wohl den Unterschied zwischen Gut und Böse.

Gott allein kann das zerbrochene Leben heilen, die Opfer wieder aufrichten, und deshalb ist Vergebung Gottes Wunder, wenn es geschieht, dass neues Leben, neue Gemeinschaft hervorbricht. Deshalb sind Brot und Wein auch ein Zeichen dafür, dass wir stets auf dem Wege sind, es ist eine Mahlzeit auf dem Wege zur Vollendung. Das ist ein Liebeszeichen, eine Hingabe zwischen Gott und uns. Wir erhalten seine Kraft, seine Aufgabe, seine Verheißung, dass Leben geheilt und vollendet wird. Wir gehen erneuert von hier, als neue – und hoffentlich liebevollere – Täter und Täterinnen. Wir sind gesandt, Brücken zu bauen und die Konsequenzen des Bösen und des Verrats mitten im Alltag zu mildern.

Judas, der Verräter, hat uns etwas gelehrt: Dass das Lebens verwundbar ist und dass es geschützt werden muss, umhegt, geliebt – und dass es nicht ausgeliefert und weggeworfen werden darf.

Judas geht mit Essen im Magen – Reiseration. Eine geistige Ration ungewöhnlicher Art. Eine Brücke über Verrat, Versagen und die Einsamkeit des Täters, eine Brücke über den Abgrund, auch den, in den Judas fiel.

Einsam ist Judas, von Gott verlassen und vielleicht verloren, als er dem Leiden ein Ende machte. Ganz dort draußen, wo unsere Augen den Toten in der Finsternis nicht mehr sehen können, ganz dort draußen ging Jesus und holte Judas und alle anderen Verlorenen. Davon handelt der morgige Karfreitag. Es macht keinen Sinn, Jesus den Erlöser zu nennen und weiter darauf zu bestehen, selbst die Arbeit machen zu wollen, gut genug zu sein oder zu werden, gerechtfertigt von eigener Vortrefflichkeit. Eds macht dagegen Sinn, dass Gott selbst dorthin ging um die Niedergeschlagenen, die Opfer aufzurichten, um eine Grenze zu setzen für all das, das nicht Liebe ist. Die Liebe aber fließt dafür hier frei im Brot und Wein. Amen.



Pastorin Anne-Marie Nybo Mehlsen
DK-4100 Ringsted
E-Mail: amnm(a)km.dk

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