Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 05.04.2015

Nur Furcht und Zittern?
Predigt zu Markus 16:1-8, verfasst von Stefan Knobloch

Ostersonntag, Fest der Auferstehung, Tag der Halleluja-Klänge. Und die Jahreszeit begleitet uns dabei schwungvoll. Alles ist wie ein Aufruf: Vertraut dem Leben! Und das zwei Wochen nach dem grauenhaften Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 üben den französischen Alpen? Auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf? Die Bestürzung und Betroffenheit über diesen Absturz war weltweit zu spüren. Wir können das nicht beiseiteschieben und heute mit ungebrochener Stimme Halleluja singen. Und wenn wir auf die Osterbotschaft von heute hören, auf das Osterevangelium nach Markus, dann müssen wir das auch nicht. Es ist eine Botschaft, die im Entsetzen der Frauen hängenbleibt.

 

Da sind die drei Frauen, Maria von Magdala, eine weitere Frau namens Maria und eine Frau namens Salome, die alle drei Jesus von Galiläa nach Jerusalem gefolgt waren und ihn am Kreuz sterben sahen. Sie sind die Ersten, die sich am Morgen nach der Sabbatruhe auf den Weg zur Grabkammer Jesu machen. Öle für die Salbung des Leichnams haben sie sich besorgt. Sie sind unterwegs in Gedanken unfassbarer Trauer. Das Einzige, was in dieser Morgenstunde aufging, war die Sonne. Im Leben der drei Frauen ging nichts auf. Zu der Trauer, die sie lähmte, kam der riesige Stein, der ihnen den Zugang zum Bestatteten verwehrte. Sie konnten nicht einfach an das Grab herantreten, wie wir das können. Der Zutritt war verwehrt. Der Zutritt zum Toten. Das wussten sie, und doch waren sie auf dem Weg zu ihm.

 

Der Stein! Liegt nicht bei jedem Todesfall zwischen den Hinterbliebenen und den Verstorbenen ein schwerer Stein? Liegt nicht in diesen Tagen ein schwerer Stein auf der Stadt Haltern in Nordrheinwestfalen, auf ihren Familien und auf den Schülern des dortigen Gymnasiums? Sie suchen die Erinnerung, sie suchen die Nähe zu den aus dem Leben Gerissenen. Und finden leichter die Nähe zueinander, in Gesten der Solidarität, in Gesten der Trauer als die Nähe zu den Toten. Wer wird den Stein wegwälzen, fragen die drei Frauen, tiefgebeugt, ja gebrochen vom Verlust des Herrn. Im Licht der aufgehenden Sonne aber wagen sie es, ihren Blick zu erheben. Und siehe da: das Grab ist offen. Der Zutritt zum Toten ist möglich.

 

Sie treten ein. Und erstarren. Entsetzen befällt sie. Da sitzt einer in hellem weißem Gewand. Man möchte sich wundern, warum die Frauen nicht sofort panik- und fluchtartig die Grabkammer verlassen. Es kommt dazu, dass der Mann sie anspricht: Bitte, fallt nicht in Starre und Entsetzen! Das ist das erste, was er zu ihnen sagt. Dann sagt er zu ihnen: Jesus sucht ihr. Er sagt nicht: den Toten. Er sagt: den Gekreuzigten. Vom Toten kann er nicht sprechen, denn das ist er nicht. Der Gekreuzigte ist er. Und der ist auferstanden! Hier ist er nicht. Hier ist lediglich der Ort, wo sie ihn bestattet hatten.

 

Seid nicht erstarrt, war das erste, was der Mann zu den Frauen sagte. Dann folgt seine Aufforderung: Los, sagt den Jüngern, und vor allem dem Petrus, dass Jesus, der Auferstandene, euch nach Galiläa vorausgeht. „Euch“, sagt der Mann. Er schließt die drei Frauen in den Jüngerkreis ein. Dort, in Galiläa, werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.

 

Erst die Aufforderung, nicht zu erschrecken vor dem Mann in der Grabkammer. Diesem Schreck halten die Frauen noch stand. Dann aber die Aufforderung, den Jüngern die Nachricht zu überbringen: der Herr ist auferstanden. Das war für die Frauen zu viel. Jetzt überfiel sie mit aller Gewalt Zittern, Angst und Sprachlosigkeit. Sie rennen hinaus. Sie sind das dreifache Opfer ihrer Angst, ihres Außer-sich-Seins und ihrer Furcht. Und sie sagen niemandem etwas.

 

So endet das Evangelium am heutigen Ostersonntag? Sollen wir darauf besserwisserisch mit einem dreifachen Halleluja antworten? In der Haltung: Jesus lebt. Alles in Ordnung? Will uns die innere Anlage dieses Evangelium wirklich das in erster Linie mitteilen? Ganz offensichtlich nicht.

 

Die Botschaft in der Grabkammer ist eingebettet in einen Kontext, in dem sie einfach nicht vernommen werden kann. Oder sollten wir abgemildert sagen: in dem sie nicht einfach vernehmbar zu machen ist? Das Einzige, was an diesem Morgen „aufgeht“, ist die Sonne. Die Frauen aber sind ganz beim Toten und bei dem Stein, der sie von ihm trennt. Wie überhaupt den Toten herankommen? Der Stein verwehrt das. Im Licht der ersten Sonne erheben sie ihre Augen und sehen: das Grab ist offen. Der Zugang zum Toten ist frei. Ihnen ist der Zugang zum Toten frei. Wie ist das bei uns? Dann der Mann in der Grabkammer. Dem halten sie in ihrem Erschrecken noch stand. Was sie aber endgültig überfordert, wovor sie Reißaus nehmen, das ist seine Botschaft: der Tote lebt! Diese „Osterbotschaft“, wie wir heute sagen, versetzt sie in einen Zustand der Starre. Sie sind überfordert. Zittern, Furcht, Schweigen.

 

Sie gingen zu einem Toten! Und werden mit der Auferstehung des Toten konfrontiert. Ist vielleicht diese Überforderung der Frauen die eigentliche österliche Botschaft an uns? Müssen nicht auch wir zulassen, uns einzugestehen dass uns Ostern überfordert? Es überfordert unsere Vorstellungskraft. Wir kommen an diese Botschaft wissend nicht heran. Mit Wissen ist hier nicht zu operieren. Vielleicht aber mit einer Hoffnung, mit einem Vertrauen, das uns zu der Hoffnungsoption führt, dass in der Osterbotschaft, respektlos gesagt, kein Bluff vorliegt, sondern etwas, dem wir nicht gewachsen sind. Genau so war es bei den Frauen. Sie laufen davon, in Zittern, Furcht und Schweigen. Sie brauchen Zeit, viel Zeit, Zeit der Verarbeitung, um sich aus der Erinnerung und aus der Erfahrung mit Jesus allmählich dafür zu öffnen, was ihnen in der Grabkammer gesagt worden war: Ihr sucht Jesus. Sucht den Lebenden! Sucht den Auferstandenen! Einfach war das für sie nicht. Einfach ist das auch für uns nicht.

 

Wir brauchen Zeit, die Glaubenszeit unseres Lebens, mit ihrem Auf und Ab. Wir dürfen, wenn wir so sagen wollen, begründeter maßen der Botschaft von der Auferstehung vertrauen. Wir werden sie dabei nie durchschauen. Wir können nicht sagen, genau so und nicht anders verhalte es sich mit ihr. Das Vertrauen in sie aber wächst weniger im Prozess theoretischer Gedankengänge. Es wächst eher in unserem Bemühen, im Leben aufzustehen. Aufzustehen, wenn wir gegen eine Wand gelaufen sind, wenn andere uns verlassen, uns stehen gelassen, uns alleine gelassen haben. Oder indem wir anderen helfen, aufzustehen, die nicht mehr weiterkönnen. Wenn wir uns also an dem orientieren, wovon das Matthäusevangelium in Kapitel 25 spricht: Armen zu Essen zu geben, Kranke zu pflegen, Nackte zu kleiden, Gefangene zu besuchen. In solchen Gesten steht unser Leben auf. In solchen Gesten wächst unser Glaube an den Auferstandenen.

 

Uns soll an diesem Osterfest die Sonne des Evangeliums aufgehen. Ihr Licht soll auf unser Leben fallen. Zuletzt werden dann nicht Furcht und Zittern bleiben, sondern unser Lebensversuch aus der Kraft des Auferstandenen. Nehmen wir heute also das Halleluja in den Mund. Überschreiben wir unser Leben mit diesem Halleluja!



Prof.em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)