Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Osternacht, 05.04.2015

Wer den Spalt erkennt, erkennt das Leben
Predigt zu Matthäus 28:1-10, verfasst von Ulrich Kappes

Beide Frauen im Evangelium heißen „Maria“ und tragen damit den Vornamen der Schwester des Mose: Mirjam - in der lateinischen Fassung: „Maria“.

„Im Sklavenhaus Ägypten“ war in Finsternis und Nacht das Passahmahl gefeiert worden. Ein Volk hatte sich danach auf den Weg gemacht und war vor dem Pharao geflohen. Es hatte durch das Wunder der geteilten Wasser die Finsternis hinter sich gelassen und den Morgen eines ganz neuen Lebens erreicht. Mirjam singt nach dem Durchzug durch das Schilfmeer das Lied vom Übergang.

Diese alte Erzählung, die wir heute in der dunklen Kirche des Osternachtsgottesdienstes hörten, wirft ihr Licht auf das Osterevangelium und leitet uns an, zu verstehen, was Ostern ist.

 

Maria aus Magdala und, wie es heißt, „die andere Maria“ gehen allein zum Grab. Nach den Texten der antiken Geschichtsschreiber Josephus und Tacitus war es verboten, einen Gekreuzigten zu bestatten. I1I Darüber hatten sie sich mit ganz wenigen hinweg gesetzt. Nun wollten sie nach dem heimlich Bestatteten sehen und machen sich darum in der Morgendämmerung auf den Weg.

 

So kann man – etwas pathetisch – sagen, dass die beiden Marien hier „Menschen der Dämmerung“ sind, des Ungeklärten und Ungewissen: ‚Was wird mit dem Grab sein, vor das Pilatus Soldaten stellte? Werden sie uns verjagen oder ins Gefängnis stecken?’

Ihre Liebe oder ihre Pietät gegenüber Jesus ließen sie das wegwischen und gehen.

 

Ich meine, dass es eine Ähnlichkeit zwischen den beiden Marien und uns gibt. Wir sind nicht Menschen der Nacht und ohne Gott. Es ist aber auch alles andere als licht und hell in unserem Glauben. Und weil es nicht licht und hell mit unserem Glauben ist, ist auch in unserem Leben vieles ungeklärt, eben im Dämmerschein. Soll sich das ändern, dann muss Licht in uns hineingetragen werden oder besser: wir müssen das Licht in uns einlassen.

 

Was die beiden Marien sehen und erleben, war schockierend.

Anstatt des Grabsteines, vor dem sie beten oder nachdenken oder weinen wollten, sehen sie das leere Grab. Soldaten, von denen zu erwarten war, dass sie sie barsch weg schickten, lagen ohnmächtig am Boden. Die Dämmerung ist sozusagen aufgerissen durch die Gestalt des Engels, hell und weiß wie ein Blitz vom Himmel. Er sagt: „Fürchtet ihr euch nicht!“

Anders als der Engel zu Weihnachten ganz allgemein sagte: „Fürchtet euch nicht!“ heißt es hier: „Fürchtet  ihr euch (aber) nicht!“

Haben diese Engelsworte den Frauen die Furcht genommen? Gingen sie verändert und verwandelt vom Grab weg? – „Fürchtet ihr euch nicht!“

Man muss skeptisch sein. Am Schluss der Erzählung stehen die Worte: „Und sie gingen schnell vom Grabmal weg  mit Furcht und großer Freude.“

Was heißt das?

Es heißt zunächst, dass die Furcht geblieben ist. Der Engel konnte sie nicht beheben.

Dann muss man weiter fragen:

Kann ein Mensch denn beides gleichzeitig: „Furcht und große Freude“ haben?

Aufs erste heißt die Antwort: Es ist doch so, dass wir uns entweder fürchten oder freuen, aber beides geht nicht zusammen.

Hält man aber einen Moment inne und denkt weiter nach, dann ergibt sich die Frage: War es doch so, wie es geschrieben steht: Die Furcht war  nicht weg, hinzu kam aber eine große Freude? Sie waren irgendwie gespalten.  Soll man Ihr Inneres beschreiben, so gab es neben der Furcht etwas, das stärker war: „eine große Freude“.  Sie waren hin – und hergerissen. Die Erscheinung des Engels und seine Worte lösten Furcht in ihnen aus und – ohne dass man das theoretisch trennen kann -  brach eine große Freude in ihnen auf.

 

Ich meine darüber hinaus, dass die Frauen wohl als eine Art Spiegelbild vor unseren Augen stehen. Das Spiegelbild gibt wieder, was für uns gilt. Sind wir nicht auch Menschen eines teils, teils? Wir kennen die Furcht zur Genüge, aber es ist nicht so, dass es nur Furcht in uns gäbe. Es gibt bei den meisten von uns wohl beides.

Der Punkt aber, auf den das Evangelium hinausläuft, ist, dass nach Ostern die Furcht nicht gleichgewichtig neben der Freude steht, sondern die Freude verhindert, dass die Furcht alles erfüllt und uns beherrscht. Das fest zu halten, heißt der Aufforderung nach zu kommen: Fürchtet ihr euch aber nicht!

 

Ich möchte, um uns das eben Gesagte zu veranschaulichen, auf das Altarbild des Isenheimer Altares von Matthias Grünewald hinweisen, I2I das viele kennen, jenes Kunstwerkes, das nach den Worten des Theologen Paul Tillich, keinen geringeren Verdienst hat als dass es „half, den Geist der Reformation zu verbreiten und ein (neues) Christusbild zu schaffen“. I3I

Schaut man auf den Isenheimer Altar, so sieht man eine höchst realistische Darstellung der Kreuzigung. Das Martyrium des Gekreuzigten  wird in seiner ganzen Brutalität dargestellt.

Mit einem übergroßen Finger zeigt Johannes der Täufer auf den sich vor Schmerzen windenden Christus. Zu seinen Füßen stehen Johannes und Maria, die Mutter Jesu. Sie werden von der Macht des Elends förmlich zur Seite gebogen. Auf der Erde kniet Maria Magdalena und ringt mit den Händen. Es ist alles grün und grau und schwarz.

Ist es das? Ist so das Leben von Eltern, die ihre Kinder an jenem schwarzen Dienstag, dem 24. März verloren haben.

Das Bild hing ursprünglich in einem Sterbesaal für Pestkranke.

Es besteht aus zwei Tafeln. Das sieht der Betrachter nicht auf den ersten Blick. Zu Ostern werden sie nach außen geklappt. Danach sieht man den Auferstandenen wie einen Blitz so weiß, umgeben von einem gelben und roten Heiligenschein. Es ist ein Spiel der Farben und der Schönheit, das einen hinreißt.

 

Wer an das Kreuzigungsbild ganz nah heran geht, der entdeckt einen Spalt, der dort entsteht, wo die beiden Tafeln in der Mitte zusammen kommen. Er zerschneidet das Bild des Schreckens. Durch diesen winzigen Spalt leuchtet ganz schwach das Bild hindurch, dass sich hinter der Kreuzigungsszene befindet, das Oster- und Auferstehungsbild. Nur ein Spalt ist da, ein Spalt, der inmitten des Kreuzigungsbildes gefunden werden muss und der Betrachter ahnt -  mehr als dass er es sieht  - den in Weiß und Rot gehaltenen Heiligenschein und den Körper des Auferstanden, weiß wie ein Blitz. Der Spalt ist der entscheidende Bote inmitten des Schreckensbildes: Das hier ist nicht das Letzte. Es kommt und folgt das ganz Andere, Schöne und unbeschreiblich Herrliche. Mehr als einen Spalt gibt es nicht und nur der intensive Betrachter nimmt ihn wahr. Er ist der Spalt der Tür zu einer anderen Welt.

 

„Fürchtet ihr euch nicht!“ sagt der Osterengel.

Wir feiern dieses Osterfest und sind  alle noch erschüttert von dem Flugzeugunglück in den französischen Alpen am Dienstag, d. 24.März. Wie unbeschreiblich verzweifelt ein Mensch sein kann und gleichzeitig wie unglaublich rücksichtslos, dass er 149 Menschen mit sich in den Tod reißt, stellte dieses Ereignis vor unsere Augen. Was ist der Mensch? Wozu ist er fähig?

Daneben haben nicht wenige persönliche Gründe, die Zukunft zu fürchten und können das auch zu Ostern nicht einfach wegschieben.

Wie zu den Frauen sagt uns der Osterengel: Fürchtet ihr euch nicht.

Fürchtet ihr euch nicht, weil ihr wisst, dass zu Ostern das Schilfmeerwunder von einst erneut geschah: Es ist EINER aus der Furcht und der Finsternis des Leidens und des Todes zum Leben hindurch geschritten. Darum ist EINER da, der euch begleitet aus dem Weg des Sklavenhauses  in die Freiheit. Der Morast und der Schlick und der Schlamm, den es im Leben zu durchschreiten gilt, bleibt. Es gibt aber einen Großen und Starken, der mit euch geht.

 

Wir feiern die Osternacht, damit jede und jeder von uns erleben möchte, dass die Nacht der Angst nicht bleibt, dass es einen Spalt gibt, der die zukünftige Welt durchscheinen lässt. Wie sich die dunkle Kirche allmählich erhellte, so ist unser Leben: Jetzt noch trüb und dunkel genug, wir haben aber IHN und mit IHM die Hoffnung auf eine Welt, die leuchtend gelb und rot und unsagbar schön ist.



Pfr. em. Dr. Ulrich Kappes
Luckenwalde
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

Bemerkung:
Zusätzliche Medien
I1I Nach Andrea Bieler, Die Nacht der Leidenschaften, Pred. med. z. St., in: Pastoraltheologie, 104. Jahrgang, 2015/2, Göttingen 2015, 210-215, S. 214.
I2I Übernommen von Helmut Schwier, Festliche Provokation und Riss in unserer Wirklichkeit, Pred. med. z. St., in: Pastoraltheologie, 100. Jahrgang, 2011, 2011/2, 227-232, S. 230.
I3I Paul Tillich, Systematische Theologie, Band III, Stuttgart 1963, S. 229.



(zurück zum Seitenanfang)