Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostermontag, 06.04.2015

Predigt zu Lukas 24:13-35, verfasst von Th.-M. Robscheit

Vorbemerkung: Es werden im Gottesdienst Liedzettel verwendet. Wenn es einen Mittelgang gibt, wird auf der einen Seite Version a & auf der anderen Version b ausgeteilt, aber so, dass die Betreffenden den Unterschied nicht merken. Die Blätter können auch schon auf den Plätzen liegen.

Auf der Vorderseite ist das Gesicht 1) abgedruckt, Variante a aufrecht, Variante b um 180 ° gedreht.

 

Auf der letzten Seite sind neun Punkte abgedruckt, so dass jeweils drei nebeneinander und drei untereinander mit gleichem Abstand zu sehen sind (Man könnte die äußeren Punkte verbinden und es entstünde ein Quadrat mit einem Punkt in der Mitte) Dazu die Aufgabe: Beginnen Sie in einem der Eckpunkte und zeichnen eine gerade Linie mit zwei Knicken so, dass sie durch alle Punkte verläuft.

 

 

Friede sei mit Euch von Gott unserem Vater, Christus unserem Bruder und dem Heiligen Geist, der uns Leben schenkt!

 

Was, liebe Gemeinde, sehen Sie vorn auf Ihrem Liedblatt? Ein Gesicht, richtig. Können Sie das beschreiben (erwartungsgemäß werden die gegensätzlichen Antworten kommen)?

 

Wie kann das sein? Ein Versehen beim Druck? Heben Sie Ihr Blatt doch mal hoch, so dass es auf der anderen Seite des Ganges zu sehen ist. Das Bild ist gleich & doch auch anders.

Drehen Sie Ihr eigenes Liedblatt doch mal auf den Kopf!

Ja, sie haben Recht! Das Bild ist bei manchen Liedblättern auf dem Kopf gestellt! Aber es ist das selbe Bild! Eine ganz simple optische Täuschung. Unser Gehirn versucht die hellen und dunklen Flächen in Beziehung zu setzen. Es greift dabei auf unsere Erfahrungen zurück, auf Muster, die wir gespeichert haben und vervollständigt damit das von den Augen Wahrgenommene. Das machen wir bei jeder Zeichnung gänzlich unbewusst. Unser Gehirn sortiert und verarbeitet Eindrücke anhand unserer Erfahrungen. Bei dem Bild auf unseren Liedblättern erkennen wir sofort ein Muster und machen die Schublade „Gesicht“ auf. Ohne dass wir es merken, setzt unser Gehirn auch voraus, dass das Gesicht aufrecht ist, also Mund unten, Augen weiter oben. Damit engen wir aber die Wirklichkeit ein, blenden ein Stück Realität einfach aus.

 

So geht es uns Menschen häufig und das ist nicht unproblematisch! Alle Anwälte, Richter und Polizisten können ein Lied davon singen: „Knallzeugen“ drehen sich zu einem Unfall, wenn sie ihn hören, um. Aus dem dann Gesehenen rekonstruieren sie den Hergang und sind sich sicher das auch beobachtet zu haben. Menschen können in der Dämmerung nur noch schwarz-weiß sehen, dennoch legen sich auch unter schlechten Lichtverhältnissen viele auf eine Autofarbe fest usw.

Es ist für uns wichtig, Muster in unserer Umgebung zu erkennen, sie helfen uns, in der Welt zurecht zu kommen. Doch sobald Dinge passieren, die nicht in dieses Muster passen, werden sie völlig ausgeblendet!  Sie können sich das nicht vorstellen? Doch, glauben Sie mir. Es gibt beispielsweise einen Film, in dem spielen ein paar weißgekleidete und ein paar schwarzgekleidete Jugendliche mit zwei Bällen. Sie als Zuschauer sollen zählen, wie oft sich die Weißgekleideten den Ball zuspielen. Eine wirklich simple Aufgabe, die von fast allen richtig gelöst wird. Allerdings fast niemandem fällt auf, dass während dieser Szene eine schwarzer Affe durchs Bild läuft und tanzt.

 

So erging es auch den beiden Männern auf dem Weg nach Emmaus! Sie können das, was vor Augen ist nicht erkennen, weil es nicht in ihr Weltbild, in ihren Erfahrungs- & Erwartungshorizont hinein passt. Jesus ist tot, sein Leichnam ist verschwunden! Soweit begreifen sie die Realität, dann aber ist Schluss. Selbst die Aussage der Zeuginnen gibt, die ihn, den Auferstandenen, gesehen haben, erreicht ihr Inneres nicht. Getreu der Erfahrung blendet das geschulte Gehirn der beiden Männer aus, was nicht sein kann: Also läuft Jesus nicht mit ihnen!

 

Und wir heute? Kann uns Ostern etwas bedeuten? Wenn doch damals die Zeugen, die, die alles auch real erlebt hatten, nichts wahrhaben konnten? Es sind ja nicht nur die Männer auf dem Weg nach Emmaus! Auch Maria Magdalena erkennt Jesus zunächst nicht und hält ihn für den Gärtner & Thomas glaubt seinen Freunden nicht! Was können wir dann schon von Ostern erwarten? Wir sind doch genauso in unseren Erfahrungen gefangen, wie damals die Menschen. Wir hören die Botschaft, aber uns fehlt der Glaube. Wir sehen eine Welt in Angst und Not, wo ist Christi Ostersieg? Sie hören, wenn Ihnen gepredigt wird: „Jesus lebt!“, Sie hören, wenn Ihnen gesagt wird: „Der Tod ist stärker als das Leben!“. Aber dringen die Worte soweit, dass sie in ihrer persönlichen Realität ankommen? Soweit, dass ihr Hirn es nicht einfach als Unmöglichkeit aussortiert?

Die Worte Jesu und die Worte der Frauen, die waren nicht stark genug, um bei den Jüngern tatsächlich das Herz für eine größere Realität aufzuschließen. Wie könnten es dann heute meine?

 

Es ist traurig, dass es Ostern gibt, aber niemand es begreift!

 

Ja, es ist traurig, wenn wir uns beschränken, Ostern mit unserem Verstand begreifen zu wollen; aber uns Menschen ist nicht nur der Verstand, sondern auch das Herz geschenkt! „Brannte nicht unser Herz...“, so die beiden Männer in Emmaus, als ihn plötzlich die Augen aufgehen. Wir können Ostern nicht erklären; wir eben sowenig, wie Jesus damals auf dem Weg nach Emmaus; aber wir können es erspüren, heute ebenso wie damals die Männer!

Für die Männer wurde Ostern erfahrbar, als sie am Abend innegehalten haben, um gemeinsam zu Essen.

Auch wir können Ostern erspüren! Es braucht nicht viel dafür. Das Vertrauen auf die Liebe Gottes und die Bereitschaft hin und wieder die Welt so zu sehen, als wäre alles neu für uns. Dort wo es uns gelingt nicht nur traurig auf das Unheil dieser Erde zu blicken und mit den Schultern zu zucken; dort wo wir uns nicht mit den eingetretenen Wegen und Erfahrungen festhalten, dort wo wir uns nicht mit dem Es-war-schon-immer-so zufrieden geben, dort kann Ostern sein. Dort kann Leben aus der erstarrten Kälte dieser Welt herausbrechen und uns wie den Jüngern einen Strahl des himmlischen Ostersieges in unsere so wenig himmlische Welt schicken!

Erlauben Sie Ihrem Herzen die Realitäts-Grenzen, die Ihnen Ihr Verstand setzt zu übertreten.

Vertrauen Sie darauf, dass die Welt größer ist, als wir es begreifen können!

 

Und der Friede Gottes, der größer ist, als wir es mit unserem Verstand jemals ermessen können, bewahre Eure herzen und Sinne im auferstandenen Christus! Amen

 

 

Ich möchte Sie einladen, Ihren Liedzettel mit nach Hause zu nehmen und am Nachmittag die kleine Aufgabe auf der Rückseite zu lösen. Kleiner Tipp: Sprengen Sie die Grenzen, die Ihnen Ihr Hirn mit seinem Wunsch nach Ordnung setzt!

 

1) im Internet u.a. unter: http://www.sylvia-online.de/Tauschup.html oder: http://www.ferienhaus-micki-tschechien.de/html/mix/optische-taeuschung/optische-taeuschung.html



Pfarrer Th.-M. Robscheit
Apolda & Kapellendorf
E-Mail: thm@robscheit.de

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