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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Miserikordias Domini, 19.04.2015

Wie die Schwarmintelligenz entsteht
Predigt zu Johannes 10:11-16, verfasst von Manfred Mielke

Liebe Gemeinde,

Vogelschwärme faszinieren mich. Wenn Hunderte, ja Tausende von Einzelvögeln gemeinsam ihre Flugkünste am Himmel zeigen, bin ich begeistert. Noch näher dran war ich bei einem Fischschwarm, beim Tauchen im Ozean. Plötzlich bildet der Schwarm eine dunkle Fläche, sofort danach ist er fast unsichtbar. Mit der dunklen Fläche nach oben tarnen sie sich gegen Raubvögel, mit der glitzernden Seite tarnen sie sich vor Raubfischen. Jeder macht auf die Sekunde genau das Gleiche. Ein Schwarm ist intelligent.

An Land sind Herden viel bodenständiger. Jesus nimmt als Beispiel eine Schafherde und deren Verhältnis zum Hirten, vor allem, wenn sich vieles ändert. Jesus meint sich selbst und unser Verhältnis zu ihm. Er meint durchaus deinen Glauben, wenn Du entdeckst: „Mein Gott ist ja für mich wie ein Guter Hirte!“ Er meint aber auch die Veränderungen in der Herde, wenn der Hirte Neuland betritt. ZB, wenn er seine Herde durch eine Schlucht zu einer Quelle führt.

Jesus geht also von sich aus, wenn er sagt: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Leiharbeiter, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, denn er ist ein „Mietling“ und kümmert sich nicht um die Schafe.

Ich bin der gute Hirte und … ich lasse mein Leben für die Schafe. Andere Schafe habe ich auch noch, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. (Johannes 10, 11-16 i.A.)

 

Liebe Gemeinde,

die Bibel schwärmt von den Hirten, die ihren Job gut machen in ihren Schaf- oder Ziegenherden. Die ihre Herden barmherzig weiden und ertragreich vermarkten. Weit darüber hinaus gibt es aber den einen Hirten, der mehr tut, als Wolle und Fleisch seiner Tiere zu nutzen. Dieses „darüber hinaus“ verwandelt ihn und die Herde. Jesus stellt sich als dieser wahre Hirte vor mit dem Merkmal, dass er sein eigenes Leben hingegeben hat.

Gänzlich anders handeln die Leiharbeiter, deren Horizont nicht größer ist als ihre Lohntüte. Sie galten damals als typisches Beispiel für Halunken. Wer einem „Mietling“ seine Herde anvertrauen mußte, stand kurz vor dem Ruin. Dieses ärgerliche Bild eines Bauern, der seine Tiere verwahrlosen lässt, oder eines Herrschers, der sein Volk ruiniert, hat Künstler unterschiedlich angeregt.

So hörten wir vom Propheten Hesekiel, wie Gott die damaligen Könige abstraft und wütend und behütend eingreift. Er kündigte an: Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden…; ich will sie weiden, wie es recht ist. (V.16)

Was aber, wenn die Herde selbst - ohne den guten Hirten - den Aufstand gegen die schlechten Hirten wagt? George Orwell schrieb 1945 die Fabel „Die Farm der Tiere“ („Animal Farm“). Darin organisieren die Tiere den Aufstand gegen den miserablen Farmer. Fast alle Leser waren sich sicher: Orwell beschreibt die Zustände in Russland unter dem Zaren während der Oktoberrevolution. Die Schweine bilden die Herrscherschicht, sie bedienen sich der bissigen Hunde, um die Schafe ausbluten zu lassen.

30 Jahre später hat die britische Band „Pink Floyd“ die Rollen anders verteilt (LP „Animals“, 1977). Die Hunde sind dabei die Obrigkeit, die Schweine sind die Moralapostel, die am schlimmsten versagen. Doch im Ergebnis bleiben die Schafe die dumme Masse. 

Um das anzuprangern hat Pink Floyd ein großes Schwein anfertigen lassen und mit Helium gefüllt. Es sollte zwischen zwei Schornsteinen fotografiert werden. Im zweiten Anlauf aber rissen die Seile, der Ballon stieg 6 km hoch hinauf, bedrohte den Flugverkehr und stürzte auf einen Stoppelacker. Die Befreiung vom Schweinesystem gelingt also nicht wirklich. Jeder von uns hat da so seine Erfahrungen.

Der Sänger Roger Waters schreit daraufhin Psalm 23 als Schmähruf. Er klagt den Hirten an, seine Schafe in der Schlachtbank selbst an den höchsten Haken zu hängen. Und er klagt die Schafe an, sich danach auch noch zu drängeln. Wer von uns erfuhr nicht solche dunklen Schatten und tiefe Täler im Glauben.

Jesus geht in dieser Sache einen gänzlich anderen Weg. Er bringt sich selber ein, und dadurch verändert er die Herde. Jesus macht sich selbst zum Schaf, und wird dadurch erst zum glaubwürdigen Hirten, der seine Herde umbaut.

Schafe gelten ja deswegen als dumm, weil sie einen angeborenen Reflex haben. Geht es einem Lamm an die Gurgel, erstarrt es „lammfromm“ und erduldet regungslos den Tod. Bei einem Schuldopfer wird dem Lamm vorher alle Schuld übertragen. So wird Vergebung anschaulich. Das Lamm ist tot, die Schuld ist weg, der „bußfertige“ Mensch ist frei.

Das hat Jesus alles vor Augen gehabt, als er gekreuzigt wurde. Aber für Gott war damit nicht alles beendet, nein, er auferweckte Jesus aus dem Tod. Das macht seinen Opfertod nicht wirkungslos, im Gegenteil, die Auferweckung führt zu einer ganz neuen Glaubensgemeinschaft.

Am Kreuz nahm Jesus die Rolle eines Opferlammes ein, aber durch seine Auferweckung wurde er zum „Guten Hirten“ einer neuen Herde, in der jeder von uns eine neue Lebensart erlernt. Am Kreuz ging es um die Vergebung aller Menschenschuld. An Ostern wurden wir zu einem Leben auferweckt, in dem uns der Auftrag gilt: „Schwärmt aus!“

Das verändert das Klima in unserer „Herde“. Wir drängeln nicht mehr zur Selbstaufopferung, sondern wir leben auf in einem neuen, befreiten Schwarm. Diese Wahrheit hat uns frei gemacht, sie macht uns lebensklug und hoffnungsstark. Wir sind gerettet hinein in eine neue Schwarmintelligenz. In eine neue Herde, die biblisch „Gemeinde“ genannt wird.

Ein Kennzeichen der neuen Herdenklugheit ist das Hörenkönnen. „Meine Schafe hören meine Stimme!“ sagt Jesus von daher. Ein weiteres Kennzeichen der Schwarmintelligenz ist das Verhalten den Wölfen gegenüber. Eine Wölfin war ja Leitbild der römischen Gewaltherrschaft. Wer sie angreift, wenn sie ihre Jungen säugt, wird von ihr zerfleischt. Jeder Christ, der nicht den gottgleichen Cäsaren opferte, erlitt die Todesstrafe.

Die neue Herdenklugheit der jungen Christenkirche bestand darin, keine Angst vor der „Zerstreuung“ zu haben. Sie wird sogar zur Überlebensstrategie in einer bedrohten Herde. Hat der Wolf ein Schaf gerissen, findet die Herde wieder zu sich zurück. Die kollektive Weisheit macht ja den christlichen Glauben so attraktiv.

Eine zusätzliche Herdenklugheit ist die Bescheidenheit. Sie akzeptiert Gottes Weite und verzichtet auf einen Alleinanspruch. Jesus sagt dazu: Andere Schafe habe ich auch noch, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.

Juden und Christen – zerfleischt euch nicht unter dem gottlosen Druck der Römer! Gott will nicht nur eine reinrassige Sorte in einem Pferch heranzüchten, er wird auch die Andersgläubigen herführen und integrieren. Doch weil wir Not und Tod überlebt haben, sagt uns unsere neue Schwarmintelligenz: Wir sind nicht die Einzigen. Wir werden nicht auf Kosten anderer die Wahrheit nur für uns behalten.

 

Liebe Gemeinde,

Weil der Hirte uns vorher errettet und entlastet, sind wir eine viel schlauere und lebendigere Herde. Weil der Hirte mit uns eins wird – „eine Herde und ein Hirt“ sind wir eine viel friedfertigere und wehrhaftere Herde. Der Gute Hirte widersteht zudem der Rolle eines Dompteurs. Der Gute Hirte ist ein charismatischer Hirte, der sein Können seiner Herde anvertraut. Auf dieses Ereignis steuern wir in wenigen Wochen zu. Es ist das Pfingstfest. Es geschieht wenige Tage nach dem Rückzug Jesu Christi per Himmelfahrt.

Der Gute Hirte begabt schon vorher jeden in seiner neuen Herde, selbst wagemutiger und weitsichtiger Hirte zu werden. So verwandelt der Gute Hirte Jesus Christus seine intelligente und begabte Herde, dass jeder aus ihr ausschwärmen kann und selbst Hirte wird. Heute ist ein guter Tag, an dem jeder von uns nachempfinden mag, was der nächste Schritt für ihn dabei ist. Amen



Pfarrer Manfred Mielke
D-51580 Reichshof
E-Mail: manfred.mielke@ekir.de

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