Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Miserikordias Domini, 19.04.2015

Predigt zu Johannes 10:11-16, verfasst von Leise Christensen

In unserem modernen Leben begegnen wir nicht vielen Hirten. Die Hirten der Vergangenheit kennen wir nicht mehr richtig. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht doch ein ziemlich festes romantisches Bild von dem hätten, was ein Hirt eigentlich ist. Ein Hirt ist einer der auf einer selbstgemachten Flöte spielt wie David, er kämpft gegen die gefährlichen Tiere, vor denen er seine Schafe schützt, und er trägt lächelnd und mit sonnenbrauen Augen seine Lasten. Und wir kennen die netten Bilder von Jesus als dem Hirten. Viele von uns sehen, wenn Jesus uns das Hirtenbild vorhält, einige dieser alten naturalistischen Bilder, ganz Idyll, die einst in vielen Häusern hingen. Bilder, wo man Jesus mit einem seine Lämmer im Arm sieht, mit dem Hirtenstab in der einen Hand, zum Schutz vor den bösen Wölfen, aber die übrigen Schafe scharen sich um ihn fast mit einem Lächeln um den Mund. So ist das Hirtenbild oft für uns, und so sehen wir es oft auf vielen alten Altarbildern. Aber das ist eigentlich merkwürdig, denn Hirten spielen in unserer Gesellschaft ja keine Rolle mehr. Es gibt einige Freizeithirten auf der staatliche Heide, aber das ist auch alles. Außerdem ist die Schafzucht in Dänemark längst durch die Schweinezucht abgelöst – man müsste eigentlich vielleicht mehr Altarbilder finden, wo man Schweine stehen sieht um den modernen Haustierhirten, den Schweineproduzenten. Aber das ist trotz allem doch für uns schwer vorstellbar, dass Jesus sagen würde: Ich bin der der gute Schweineproduzent – denn Schweinefleisch war ja im Judentum verboten. Und Jesus war bekanntlich Jude. Eher könnte man sich vielleicht vorstellen, dass das Hirtenbild in die digitale Wirklichkeit übertragen wird, so dass Jesus sagt: Ich bin der gute Webmaster, der eure Hompages hütet. Aber nein, so reden wir nicht. Wir verbinden noch immer etwas mit dem alten Hirtenbild. Aber was eigentlich? Wir kommen nicht darum herum, das, dass die mehr süßlichen Beschreibungen des lieben Jesus, der gerade mit seinen Locken geföhnt vom Frisör kommt mit dem süßen Lamm auf dem Arm, noch immer trotz aller modernen Zustände eine Rolle spielt. Und man kann sich selbst fragen, warum das so ist, denn im Grunde hat diese Vorstellung nicht sehr viel mit der Beschreibung des guten Hirten zu tun, die wir bei Jesus selbst finden. Jesus weiß ja sehr wohl, dass die Arbeit des Hirten meist gefährlich ist, denn sie besteht meist darin, für Leib und Leben der Schafe zu kämpfen, wenn der Wolf und andere Raubtiere sie bedrohen. Aber der Hirt soll nicht nur für das Leben und Gedeihen der Herde kämpfen, er soll sie auch auf dem rechten Weg führen, und das kann sich als ein schwierigerer Kampf erweisen als selbst der heftigste Kampf mit Wölfen und Löwen. Diese Darstellung Jesu als Hirten hat zweifellos früher den Menschen viel über die väterliche Fürsorge Gottes gesagt. Dass Gott seinen Menschen nahe ist, was auch geschieht. Dass Gott bei uns bleibt, wenn das Dasein bedroht ist, wenn der Weg steinig wird und schwierig. Wenn die Generationen vor uns dieses Bild vom Hirten als dem der seine Schafe bewacht und beschützt, liebten, so zweifellos deshalb, weil man sich damals abhängig fühlte. Abhängig von seinem Gott und Schöpfer und an ihn gebunden. Naja, eben hier denken die meisten modernen Menschen anders. Denn es ist schön und gut, dass Jesus uns beschützen will, wenn Böses geschieht, und dass er bei diesem Versuch starb, aber dies, dass wir von Gott abhängig sein sollen, und dass er uns auf den rechten Weg führen soll, damit können wir nicht viel anfangen. Denn wenn es etwas gibt, das wir gerne wollen, so dies, dass wir selbst über uns bestimmen wollen. Wir wollen selbst bestimmen, wo wir hin sollen. Wir folgen dem Hirten gerne, solange er uns auf den Weg führt, denn wir selbst gehen wollen. Aber sobald der Hirt ruft und pfeift, dass wir auf dem falschen Wege sind und einen anderen Weg einschlagen sollen, ist es uns gar nicht recht. Denn das wollen wir nicht, wir wissen jedenfalls selbst am besten, wo wir hinwollen, deshalb entlassen wir den Hirten, auch wenn es der liebe Gott selbst ist. In diesem Zusammenhang wird man sicher auch den einen oder anderen beleidigt sagen hören: Ja, ich habe Gott nicht gewählt, warum soll ich darein finden, dass er selbst mein Hirte sein will? Ich bin nicht von ihm abhängig, ich kontrolliere mein Leben selbst. In Dänemark haben wir ein viel besprochenes und verhasstes Gesetz (nein nicht das Steuergesetz), ein Gesetz, das wir das „Jante-Gesetz“ nennen, ein Gesetz, in dem der Dichter Sandemose unseren nationalen Charakter sah. Das ist ein Gesetz, das in seinem Wesen besagt: Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist. Du sollst nicht glauben, dass du etwas so gut kannst wie die anderen. Das ist ein Gesetz, das man in vielen Zeitungen und Illustrierten findet, ein Gesetz, von dem sich die meisten Dänen distanzieren. Wir sollen gerade daran glauben, dass wir etwas sind. Und das ist ja richtig. Aber aus dem hässlichen Gesetz: Glaube nicht, dass du etwas bist, ist in aller Stille und unbemerkt etwas anderes geworden, so dass es nicht mehr so klingt, wie Sandemose es ursprünglich formuliert hat. Du sollst nicht glauben, dass du etwas bist – dieses Gesetz ist unmerklich dahin verändert: Keiner kann mehr als andere, niemand weiß mehr als andere, es gibt kein Fachgebiet, wo das, was ich persönlich fühle, nicht genauso große Bedeutung hat, wie das, was andere wissen. Wir sind alle zu Experten geworden in unserem eigenen Leben – und manchmal auch dem der anderen. Es ist, als käme es nicht mehr infrage, dass andere mehr wissen als wir. Jemandem zu folgen und zu vertrauen, weil sie besser Bescheid wissen – das ist nichts für uns. Wenn wir z.B. krank sind, bedeutet das, was der Arzt sagt, genauso viel oder so wenig wie das, was von einem gesagt wird, der Karten legt oder an Horoskope glaubt oder Erdstrahlen misst. Alles ist gleich richtig und gleich wichtig, wenn wir es so in uns fühlen. Deshalb tun wir uns schwer mit Autoritäten – seien das nun Ärzte, Lehrer, Pastoren, Politiker oder andere. Und das ist ja gut und schön – wenn nur all diese Selbstbestimmung und Selbstgenügsamkeit mit seinen eigenen Gefühlen nicht dazu führte, dass wir den Hirten vergessen, dass wir Gott vergessen. Denn es mag ja sein, dass wir Gott nicht in unser Leben gewählt haben und selbst Mittelpunkt unseres Lebens sind, aber Gott hat uns gewählt. Er ist der Hirte, und wir sind die Schafe – und hier können wir zumindest dafür dankbar sein, dass Jesus nicht gesagt hat, er sei der gute Schweineproduzent. Wir sind die Schafe, für die gekämpft wird. Wie ein Schaf sein erfordert keine besonderen Fertigkeiten oder leuchtende Vorzüge oder Qualifikationen. Es geht nur darum, sich abhängig zu wissen. Die Erkenntnis zu wagen: Das Größte und Innerste im Dasein beruht, wenn es darauf ankommt, nicht auf meinem kleinen Ich, meinem Einsatz, Vermögen und Erfolg im Dasein. Das Größte und Innerste, was durchs Menschenleben trägt, können und sollen wir weder leisten oder auf die Beine stellen noch tief in uns fühlen. Nein, es wird uns geschenkt. Es wird uns gegeben – aus der Hand Gottes und der Mitmenschen. Das spricht wohl nicht unmittelbar unseren Drang an, alles im Dasein selbst zu leisten. Aber das wird uns im Christentum gesagt: Jesus ist Hirt für uns alle, weiße wie schwarze Schafe. Und das ist nicht wenig. Wir sollen es wagen, das zu glauben. Amen.



Lektor Leise Christensen
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: lec(at)km.dk

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