Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Miserikordias Domini, 19.04.2015

Der Hirtenblick
Predigt zu Johannes 10:11-16, verfasst von Ralf Reuter

Der Hirtenblick. Die Mutter, die ihre Kinder sieht. Damit ihnen nichts passiert. Sie sieht mit dem Herzen. Gibt ihnen Raum zur Entfaltung. Merkt, wenn den Kleinen etwas auf der Seele liegt. Spricht es liebevoll an.

Einen Hirtenblick haben gute Unternehmer, Menschen, die einen Betrieb, ein Büro, eine Kanzlei leiten. Sie kennen die Mitarbeitenden als Menschen, kennen mehr von ihnen als nur ihre Leistung. Haften persönlich. Kümmern sich.

Auch Pastoren wird dieser Blick nachgesagt, oder gefordert. Hirte sein. Ansprechbar, engagiert, hütend. Entwicklungen sehen, inklusiv arbeiten, nachgehen, wieder zusammenführen.

Hirte sein, ein Urbild des Menschlichen. Stark, wunderbar, himmlisch. Auch realistisch, heute noch tragend? Können Menschen in dieses Bild hinein schlüpfen? Und ihre Mitmenschen sich unter diesem Blick wohlfühlen?

Von Jesus wird als dem guten Hirten erzählt. Wir kennen viele seiner Geschichten und Begegnungen mit Menschen. Unter seinen Augen haben sich die Menschen angenommen gefühlt. Sind himmlisch angesprochen und wieder zurecht gebracht worden.

Wie geht das menschlich? In seiner Nachfolge, Hirte, Hirtin sein, wie er einst, so die in seinem Geist handelnden Menschen zu ihren Mitmenschen? Führt uns das Hirtenbild ins Leben hinein?

Bei Johannes sagt Jesus: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Kann dies als Lebenseinsatz gedeutet werden? Das Leben nutzt sich in den erfüllenden Aufgaben, im Einsatz für andere ab. Mit der Elternschaft, dem Beruf, dem täglichen Sorgen bis zum weltweiten Einsatz.

Hirte sein heißt dann: Nicht weggehen bei einem behinderten Kind. Nicht das Unternehmen verkaufen, wenn die Aufträge wegbrechen. Nicht die Gemeinde verlassen, wenn es unterschiedliche Auffassungen gibt. Sondern Verantwortung tragen.

Kein Mietling sein, der wegläuft, wenn der Wolf kommt. Bleiben in den Verbindungen, die man sich vertraut gemacht hat. Nicht nur auf die eigene Karriere schielen, nicht ausbeuten. Anfechtungen und Krisen als Chancen sehen.

Man braucht gar nicht weiter denken bis zum Martyrium, zum realen Sterben für seinen Glauben, um zu erkennen, wie quer das Hirtenbild zu unseren gesellschaftlichen Lebensbildern liegt. Quer zur Wellnesskultur, zur Jugendorientierung, zu den Ellbogen und dem persönlichen Optimieren.

Für mich ist der gute Hirte ein Osterbild, durch den Karfreitag hindurch gegangen und gekreuzigt worden. Ein Bild, das dem wahren Leben mit seinen Brüchen und Fragmenten näher kommt als viele andere. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Er nimmt dieses Leben auf und wandelt es.

Der Hirtenblick ist kein Helikopterblick eines Elternteils, das sein Kind als Verwirklichung des eigenen Lebens braucht und daher zum Erfolg treibt. Es ist der Blick von Gott her, wie ihn dieser Jesus lebt, der in jedem Menschen ein einzigartiges Geschöpf Gottes sieht und sein Leben will.

Der Hirtenblick ist der Blick dessen, der sich berufen lässt in Aufgaben, um als Gottes Mitarbeiter an und für diese Welt mitzuarbeiten. Der sein Alter und seine Abnutzung als Zeichen eines echten und lebensnahen Einsatzes deutet, als genutzte Zeit, als Hingabe.

Der Hirtenblick ist kein Blick nur eines Pastors, einer Pastorin in der Gemeinde, es ist der Blick aller Glaubenden. Sich gegenseitig mit diesem Hirtenblick wahrnehmen, so kann doch nur Achtsamkeit und Barmherzigkeit gehen.

Jesus sagt bei Johannes: Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Sich gegenseitig Hirte und Hirtin sein ist nur möglich im Rückbezug auf Gott. Auf den Glauben, in dem ich selber vom Hirtenblick gesehen und gehalten werde.

Erst von hier wird auch die ganze Dimension deutlich. Es ist die Einbindung auch von anderen Religionen zum Leben auf dieser Erde. Und das Mitnehmen, das Führen bis ins ewige Leben, das in Gottes Händen sein und bleiben.

Mit dem Hirtenblick, der sieht und lassen kann, der schützt und Raum gibt, der kennt und anerkennt. Einem himmlisch geschenkten Blick für diese Welt. Mit engagierter Gelassenheit Mutter und Vater sein, in kreativer Passivität (Gerhard Wegner) Wirtschaft und Gesellschaft steuern, und spirituelles Führen und Leiten in der Kirche mit allen Glaubenden einüben. Der Hirtenblick.



Pastor Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

(zurück zum Seitenanfang)