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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 03.05.2015

Heute Ruhe finden?
Predigt zu Matthäus 11:25-30, verfasst von Stefan Knobloch

So und sooft beginnen die Evangelien mit der uns manchmal schon ermüdenden Formel: „in jener Zeit…“ Also in der Zeit des Auftretens Jesu. Das ist meist eine vor die Texte gesetzte Formel, die uns helfen soll, uns in die Zeit Jesu zu versetzen. Das heutige Evangelium aber beginnt tatsächlich wörtlich mit diesem „in jener Zeit“, aber eben nicht im Sinn einer bloß allgemeinen Zeitangabe, also im Jahre 30 n. Chr. oder so. Im heutigen Evangelium handelt es sich um eine qualifizierte Zeitangabe, die richtiger gesagt, eine qualifizierte Inhaltsangabe ist. Es ist die Angabe, dass in Jesus, in seinem Leben, in seinen Worten und in seinem ganzen Auftreten den Menschen Gott in seiner ganzen geheimnisvollen Wirklichkeit begegnet. Und zwar in einer Weise, dass er ihnen mitten in ihrem Leben entgegenkommt und mit ihrem Leben zu tun hat. Er ist es, der ihr Leben liebt, dem an ihrem Leben liegt, der ihr Leben in die richtigen Bahnen lenken will. So jedenfalls spricht Jesus von Gott. So tritt Jesus auf.

 

Aber es ergeht ihm wie so vielen Propheten vor ihm. Er wird nicht verstanden, er findet kaum Gehör. Unserem Evangelium voraus geht, dass eine Reihe von galiläischen Städten Jesus die kalte Schulter gezeigt hatte. Orte wie Chorazin, Betsaida und Kafarnaum. Die dachten wohl, da mag einer wie Jesus auftreten, aber was den umtreibt, das ist nicht unsere Sache. Das musste Jesus verkraften. Er erkennt, so stellt es das Matthäusevangelium dar, an diesem Misserfolg hintergründig die Handschrift des Vaters. Jesus preist seinen Vater, weil und dass es so gekommen ist. Der Vater selbst führe Regie, indem er den gebildeten und arrivierten Leuten der damaligen Gesellschaft verborgen hielt, sie nicht erkennen ließ, wer ihnen in Jesus begegnete. Bezeichnenderweise lässt das Matthäusevangelium Jesus zu seinem Vater sagen: Du hast das den Gebildeten verborgen gehalten. Macht es sich hier das Evangelium nicht etwas zu leicht? Hätte es nicht wenigstens in knappen Sätzen andeuten müssen, was mit dem das und mit dem alles gemeint sei? Indem das Evangelium es bei dem schlichten das belässt, hebt es erst recht das verborgen Geblieben sein dessen hervor, was Jesus ihnen bringen wollte.

 

Inhaltlich bezieht sich dieses das sowohl zurück auf das vorausgehend erzählte Auftreten Jesu in den galiläischen Städten Chorazin, Betsaida, und Kafarnaum. Andererseits auch auf das, was wenige Sätze später folgt und was dabei die Gebildeten schon nicht mehr erreicht. Aber auch das den einfachen Leuten Offenbarte verbleibt zunächst in einer Zone der Unkenntlichkeit.

 

Jesus verlässt die direkte Anrede zu seinem Vater. Er spricht weiter in dürrer Allgemeinheit, ohne schon inhaltlich etwas vorzugeben, was das das und das alles entschlüsseln würde. Alles hat mir mein Vater gegeben, sagt er. Und auf die Spur zu diesem alles bzw. zur vollen Erkenntnis dieses alles kommt der Sohn über den Vater, und der Vater über den Sohn sowie auch jeder andere über den Sohn. So können wir den Satz des Evangeliums frei übertragen: Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn, und der, dem es der Sohn offenbaren will. Damit aber ist inhaltlich noch immer nicht entschlüsselt, was das das und was das alles ist.

 

Darauf bewegt sich das Evangelium erst jetzt zu. Eingeleitet durch einen klaren Impuls aus dem Munde Jesu: Auf, Leute, bewegt euch! Hört auf mich, kommt zu mir, lasst euch ansprechen! Ihr, die ihr kaputt seid, die ihr euch vom Leben überfordert fühlt, die ihr nicht mehr könnt, die ihr am liebsten alles hinschmeißen würdet. Ja, genau ihr, die von Misserfolgen, von Verlusten, von Zurücksetzungen, von Demütigungen, von struktureller Ungerechtigkeit und von so Vielem Belesteten. Hier macht Jesus einen Punkt, ja, einen Doppelpunkt. Hier löst er endlich das das, das alles auf. Das, was ich euch vom Vater bringe, euch offenbare, ist: Ruhe. Gönnt euch Ruhe. Ihr könnt aufatmen. Es ist Luft nach oben. Licht am Ende des Tunnels. Ich nehme euch die Last, ja, die Lasten des Lebens ab.

 

Wie? So billig soll das sein, was Jesus Der Menschheit bringt? So möchten wir ungläubig einwenden, geradeso wie die Menschen in Chorazin, Betsaida und Kafarnaum. Ich verschaffe euch Ruhe. In euer Leben sollen Ruhe, Sicherheit, Gewissheit, Zuversicht, Vertrauen einziehen. Wir könnten noch einmal erstaunt zurückfragen: Das soll der Kern der Botschaft Jesu für uns sein? Das soll der letzte Zielpunkt sein bei dem Prozess, bei dem der Vater den Sohn und der Sohn den Vater erkennt und was der Sohn anderen weitergibt? Darum soll es gehen? Um unser Leben? Sind wir in den Augen Gottes so wichtig? Soll es das wirklich sein? Kaum zu glauben.

 

Nach dem heutigen Evangelium aber ist es tatsächlich so! Wir dürfen das bei uns ankommen lassen. Zumal in unseren heutigen Tagen, wo viele den Eindruck haben, die Welt sei aus den Fugen geraten. Wo von so vielen Seiten die Schreckensnachrichten und Schreckensbilder auf uns einprasseln. Die Bilder von Menschen auf der Flucht vor Hunger, vor Terror, vor Gewalt, vor unmenschlichen Gewaltszenen, wie wir sie uns nicht vorstellen mochten. Staaten drohen zu zerfallen wie Syrien, Irak, Libyen. Hunderte, Tausende fliehen aus Somalia, Eritrea, Nigeria, Süd-Sudan, suchen die Rettung über das Mittelmeer und verlieren dabei auf schreckliche Weise ihr Leben. Zerbröselt vor der Wucht solcher Bilder das Wort Jesu, „Ich werde euch Ruhe verschaffen“ nicht wie altes Mauerwerk?

 

Allein mit frommen Anmutungen können wir uns hier offensichtlich nicht davonmogeln. Ganz schlüssig geht hier nichts auf, weder für eine Haltung, die alles ergründen und erklären will und sich der Illusion hingibt, letztlich alle Formen von Unrecht und Gewalt aus der Welt schaffen zu können, so wünschenswert das wäre, noch auch für einen noch so starken Glauben, der sich auf die Position zurückzieht, Gott mache das schon. Mit anderen Worten: Das Wort Jesu, ich werde euch Ruhe verschaffen, verheißt keine einfachen Lösungen. Und ist gerade darin ein erschließendes Wort, es erschließt eine Perspektive. An der überschäumenden, sich ausbreitenden Gewalt sozusagen staatenloser, noch dazu in letzter Zeit abstoßend religiös motivierter Gewalt, vor der die Menschen in Scharen fliehen, Frauen, Kinder, Alte, geht uns beängstigend auf, zu welcher Unmenschlichkeit fehlgeleitete Systeme und fehlgeleitete Menschen in der Lage sind. Dabei müssen wir anerkennen und zugeben, dass wir Tendenzen menschlicher Gewalt und Phantasien der Vernichtung von Feinden, von Fremdem selbst in den Grundschriften der großen Weltreligionen begegnen, des Judentums, des Christentums, des Islams. Sie sind Zeugen, dass sie, allgemein gesprochen, die Botschaft Gottes immer nur gebrochen durch die Prinzipien ihrer eigenen gesellschaftskulturellen Kontexte wahrgenommen und rezipiert haben. Aber das hat nicht verhindert, um es so bescheiden wie möglich zu sagen, dass diese Grundschriften voller Leuchtzeichen sind, die das Leben der Menschen auf eine helle Spur setzen. Auf eine Spur, die die Handschrift Gottes trägt.

 

Genau das lässt sich an dem Wort Jesu von der durch ihn geschenkten Ruhe, an der von ihm kommenden Beruhigung unseres Lebens ablesen. Das stülpt zwar nicht alle Lebensverhältnisse einfach um. Das beendet nicht einfach die Kämpfe der IS-Truppen. Das stoppt nicht den Exodus so vieler Flüchtlinge aus ihren Heimatländern. Aber es setzt ein Zeichen, dass Gott längst den Hebel umgelegt hat. Und zwar in uns selbst. Ihr könnt Ruhe finden für euer Leben. Es geht um unser Leben. Dabei steht nicht der moralische Appell im Vordergrund, so menschenoffen, so solidarisch, so selbstlos wie Jesus zu sein. Im Vordergrund steht die zugesagte Nähe, das zugesagte wirkliche Interesse Gottes an uns, die uns gewiss manchmal Mühe machen. Wir mögen sie manchmal für nicht wirklich real halten. Aber sie sind uns, und nicht nur uns, den Glaubenden, sondern allen Menschen zugesagt als Quelle der Ruhe, der Kraft, der Zuversicht, der Lebensfreude. Versuchen wir, dieses „Joch“ auf uns zu nehmen. Es ist ein Joch, das nach dem Wort Jesu, kein Joch ist.

 

  



Prof. em. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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