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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Kantate, 03.05.2015

Jesu sanftes Joch
Predigt zu Matthäus 11:25-30, verfasst von Christoph Rehbein

Liebe Gemeinde,

Jesu Heilandsruf sind sie in der Bibel überschrieben, diese letzten drei Verse des Predigttextes. Mich persönlich bringen sie unmittelbar in die 70er Jahre zurück. Ich war in der Pubertät und ich war im CVJM. Letzteres half mir bei ersterem. Ich weiß gut, wie ich mich damals fühlte, mit 15 oder 16. Die Schule war oft wie ein zu schweres Joch. Die Erforschung des anderen Geschlechtes: spannend, aber manchmal auch mühsam. Der Lieblingsonkel meiner Kindheit: Plötzlich sprachen alle über sein Alkoholproblem. Auch das Elternhaus verlor mehr und mehr den Status einer heilen Welt.

Und im CVJM lasen wir in der Bibel. Dieser Heilandsruf erwischte mich und ging mir unter die Haut. Genau das wollte ich: Ruhe finden für meine durcheinandergewirbelte junge Seele. Ich war bereit, auf Jesus zu hören und zu ihm zu kommen. Sanftmut und Demut wollte ich lernen. Ich spürte: Mit dem Kopf allein durch die Wand komme ich schwer voran. Mit einer großen Klappe auch nicht: Wenn ich mich für weise und klug halte und so rede, als hätte ich immer alles im Griff. Jesu Worte gingen mir unter die Haut, weil sie mir gestatteten, ehrlich zu sein. Denn oft wusste ich nicht genau, was ich sagen sollte. Unsicherheit bestimmte mein Lebensgefühl.

Ich habe diese Verse damals auswendig gelernt, weil sie mir Ruhe gaben für meine Seele. Sie begleiten mich bis heute. Inzwischen bin ich einigermaßen raus aus der Pubertät. Und halte mich manchmal schon für weise, zumindest für lebenserfahren.

Darum möchte ich mich mit Ihnen zusammen auf den Weg machen, Jesus neu zu verstehen. Dieser Weg wird kein leichter sein. Denn Erwachsene sind nicht die Unmündigen, denen Gott sich öffnet. Den Einfältigen hast Du es offenbart, so übersetzt die Zürcher Bibel das Gebet Jesu. Den Lobpreis Gottes, der heute am Sonntag Kantate erklingt. Ich frage mich: Wie finde ich zurück zur Einfältigkeit? Wo ist der ganz einfache Zugang unter das sanfte Joch Jesu?

Das Abendmahl, das wir heute feiern, wird uns dabei helfen. Darauf vertraue ich. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Mit diesem Psalmvers laden wir zum Tisch des Herrn ein. In vielen englischen Kirchen tun das die Priesterinnen und Priester mit den eben gehörten Worten Jesu: Come to me, all who labour and are heavy laden, and I will give you rest. Take my yoke upon you, and learn from me; for I am gentle and lowly in heart, and you will find rest for your souls. For my yoke is easy, and my burden is light.

Könnte es nicht sein, liebe Gemeinde, dass es hier um das ganz Praktische geht? Einfach, einfältig zu vertrauen, dass genau das geschieht, wenn wir uns aufmachen, der Einladung Jesu zu folgen? Das was Dich und mich gerade jetzt mühselig durch das Leben stolpern lässt, das lassen wir im harten Holz der Kirchenbank zurück. Das womit ich beladen bin und was mir die Schultern hängen lässt, das nehme ich nicht mit nach vorn. Den anderen geht es ja genauso wie mir. Alle unsere Seelen rufen nach Erquickung. Alle sind wir eingeladen zu kommen. Und dann ganz sinnlich zu sehen und zu schmecken, wie freundlich der Geber dieser Gaben ist. Wie sanftmütig und von Herzen demütig. Da strömt neue Kraft in uns ein. Wenn wir das Brot – für uns gebrochen – gemeinsam verzehren. Und aus dem Kelch des Heils trinken. So dass der neue, der erneuerte Bund in uns Gestalt gewinnt.

Erquicken – das Wort ist aus der Mode gekommen. Es ist vielleicht auch missverständlich, denn quick heißt schnell. Dabei will Jesus das Gegenteil. Er will uns zu einer Pause verhelfen. Das Wort Pause kommt – war mir auch neu – aus dem Griechischen. Im Urtext steht an dieses Stelle das Wurzelwort dazu: anapauso.

Kommt her zu mir, ich will euch eine Pause geben.

Denn in der Ruhe liegt die Kraft. Da braucht es manchmal heilsame Unterbrechungen des hektischen Alltags. Auch am Wochenende kommst Du ja nicht leicht heraus aus dem Hamsterrad der Betriebsamkeit. Letzten Samstag um halb neun morgens stand ich an der Kasse eines Supermarktes und verstaute meine Einkäufe. Sie kennen das alle: An so einer Kasse entsteht manchmal Zeitdruck. Denn die Kassiererinnen sind fast immer schneller als die Kundschaft. Der Kunde nach mir wollte besonders quick sein. Und er stellte seine Waren sehr hastig auf das Laufband. Da passiert es: Ihm rutscht ein Becher Schlagsahne aus der Hand und macht den Supermarkt-Boden schön weiß und glitschig. Der Kassierer, gut geschult und so früh noch ungestresst, greift sofort zum Wischlappen. Bevor er aktiv wird, fragt er den Kunden noch ganz ruhig: „Darf ich fragen, warum Sie vier Becher Sahne auf einmal in die Hand nehmen?“ Der Kunde antwortet beschämt: „Sie haben völlig recht! Es tut mir leid. Es ist Samstag morgen und eigentlich habe ich Zeit.“ Ich denke: Mir hätte das gleiche passieren können. Stell Dir vor, Du hast Zeit und merkst es nicht.

Heute ist Sonntag. Und wir gönnen uns einen Moment Zeit, noch ein zweites Wort unseres Textes auf uns wirken zu lassen: Nehmt auf Euch mein Joch. Was meint Jesus damit, dass sein Joch sanft ist? Ein Joch, das die Köpfe von Zugtieren einzwängt, leuchtet als einladendes Bild nicht sofort ein...

Ich sehe das mit neuen Augen, seitdem ich mal einen Bauern nach dem Weg fragte. Das war im Urlaub, im ländlichen Südspanien. An einem welligen Acker, der von sehr geraden, frischen Furchen durchzogen war. Die beiden eingejochten Ochsen machten wie der Landwirt eine Pause, als ich fragte. Der freundliche Mann erklärte mit vielen Gesten ausführlich den Weg. Die Ochsen, so wage ich zu sagen, sahen glücklich aus. Vielleicht freuten sie sich an der Einfachheit der geraden Furchen.

Nehmt auf euch mein Joch. Jesus denkt hier wohl noch nicht an das Kreuz. Vielmehr an Gottes Gebote - so wie er als Rabbi der Unmündigen sie lehrt! Weiter hinten im Matthäus-Evangelium (22,37-40) zusammengefasst im Doppelgebot der Liebe. Das genau besehen ein Dreifachgebot ist.

Erstens: Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: (2) Du sollst deinen Nächsten lieben – (3) wie dich selbst. In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Das bedeutet doch: Diese drei Gebote erschließen ganz einfach die ganze Tora. Als Hilfe für uns unruhige Menschen. Damit ich auf dem welligen Boden meines Lebens ein paar gerade Furchen ziehen kann. Auf denen dann was wächst und gedeiht. Lernt von mir, darum bittet Jesus. Dazu lädt er ein. Lernt es, alle Gebote durchzubuchstabieren. Und sie daraufhin zu prüfen, wie weit sie diesem Kriterium entsprechen: Dem Maßstab der Liebe – zu Gott, zu den Nächsten wie zu mir selbst.

Ich weiß, es gibt für unseren Text auch andere Erklärungen. Sie kommen aus einer starken und zähen Tradition. Für die steht Fritz Rienecker, den ich sonst so sehr schätze. Fast alle aus dem Fachbereich Theologie haben das grüne Buch aus seiner Feder im Regal stehen. Es heißt Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament. Und erklärt sehr sachlich die schwierigen Vokabeln des Urtextes. Brachte mir jetzt wieder bei, dass das griechische Wort für Erquickung/Ruhe: anapausis eben etwas mit unserer Pause zu tun hat. Aber aufgepasst, wenn der Autor den Boden nüchterner Sachlichkeit verlässt und selbst den Text auslegt - wie im Jahre 1970 an dieser Stelle: „Zu dieser echten Ruhe ist eingeladen, wer im Judentum in Wahrheit Last und keine Ruhe gefunden hat.“

Als ob Jesus kein Jude wäre! Als ob der rufende Heiland nicht sehr tief gründete in den Wurzeln des Glaubens seines Volkes. Als ob er nicht einen seiner Vorgänger im Lehramt direkt aufnehmen würde, indem er Jeremia 6,16 zitiert: Fragt nach den Wegen der Vorzeit, welches der gute Weg sei, und wandelt darin, so werdet Ihr Ruhe finden für eure Seele! Jesus will den roten Faden wiederfinden und in seiner Zeit die Tora neu aufschließen. Bevor Gesetzesauslegung sich in feinsten Verästelungen verliert oder sich in Sackgassen verirrt. Jesus bringt einen einfachen Dreiklang zum Tönen und Schwingen. Alle drei Töne dürfen gleich laut erklingen – dann findet unsere Seele Halt und Orientierung und Ausrichtung.

Jeder von uns kann den Ton nennen, der bei ihm oder ihr am leisesten gerät. Ich kann für mich sagen: Gott lieben – darin übe ich mich in täglicher Stiller Zeit und sonntäglichem Gottesdienst. Mich selbst lieben – das läuft auch. Den Nächsten lieben – da bin ich oft zu unkonkret. Gewiss, es erschüttert mich irgendwie, wenn 700 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Aber was kann mein persönlicher Beitrag sein, damit Afrika, der vergessene Kontinent, Ruhe findet für seine Seele? Oder, sagen wir bescheidener, ein Auskommen findet für ein Minimum an Lebensstandard? Was kann der Beitrag unserer Gemeinde dazu sein? Deren Siegel doch von Jesus Christus zeugt mit den Worten: Von diesem einen kommt das Licht und die Kraft. Im Licht unseres Textes geht es um Verstehen. Um das einfache Verständnis der Weisung Gottes, die den Unmündigen offenbart ist. Die Nächstenliebe hat jetzt Vorrang.

Weise oder Kluge räsonnieren über die Folgen, die ausgedehnte Rettungsmissionen für Flüchtende haben: Dass da immer mehr kommen und unsere Festung Europa stürmen. Denken wir so „klug und weise“, dann offenbart Gott sich nicht. Von der Kanzlerin (!) hörte ich wohltuend einfache Worte: Wir haben die Menschen zu retten! Da darf Geld nicht die Hauptrolle spielen!

Ihr Wort in aller Europäer Ohr! Und nicht alternativ, sondern zusätzlich haben wir reichen Länder vor Ort zu helfen. Damit Menschen aus Afrika gar nicht erst fliehen müssen. Dieser Erdteil ist der mühseligste und am meisten beladene. Er trägt ein sehr schweres Joch.

Ich weiß, ich habe da noch mal ein großes Fass aufgemacht. Wo soll diese Predigt nun enden, die mit Jesu hilfreichen und einladenden Worten begann?

Immerhin 5x nennt Jesus in den ersten Versen Gott seinen Vater! Er gibt uns sein Gottvertrauen weiter. Durch ihn, Gottes Sohn, lässt ER uns – alle! - Ruhe finden für unsere Seelen. Und wir kommen auf neue Lösungen, für unsere persönlichen Mühsalen und für die Probleme dieser Welt.

Amen.



Pastor Christoph Rehbein
Hannover
E-Mail: christoph.rehbein@reformiert.de

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