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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 14.05.2015

Die Predigt - hatte gerade noch gefehlt!
Predigt zu Lukas 24:50-53, verfasst von Dörte Gebhard

„Das hatte gerade noch gefehlt! Am Ende ist es (nicht) das erste Mal!“ Gottesdienst mit den Jagdgesellschaften und dem Jagdhornensemble „SonatEs“

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.                                                                                                   Amen.

 

Liebe Gemeinde

Der hatte gerade noch gefehlt:

Der Erdrutsch nach dem Unwetter auf dem Böhler, der die Strasse tagelang unpassierbar macht.

Die hatte gerade noch gefehlt:

Die Windhose, die in 10 Minuten Bützow, eine Kleinstadt in Norddeutschland, verwüstet.

Das hatte gerade noch gefehlt!

So rufen wir, meist, wenn ein Unglück – wie meistens – nicht allein kommt.

So nennen wir es, wenn wir gerne auf etwas Elendes, Dummes, Katastrophales verzichtet hätten.

 

Für die heutige Predigt ist dieser Satz einmal und ausnahmsweise ernst und gar nicht ironisch gemeint:

„Das hatte gerade noch gefehlt!“

Das ganze Leben und das ganze Leiden, das ganze Sterben und das ganze Auferstehen Jesu hat der Evangelist Lukas berichtet, und erst nach diesem allen ist Himmelfahrt.

Die fehlte noch. Am Ende ist es das erste Mal!

Wir hören noch einmal die letzten vier Verse, ganz am Schluss des Lukasevangeliums:

Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott. (Lk 24, 50-53)

 

Liebe Gemeinde,

der hatte gerade noch gefehlt!

Jesus Christus wird engelsam angekündigt, kommt in einer heiligen Nacht zur Welt, wird besucht und besungen, in den Tempel gebracht, predigt selbst dort mit 12, lässt sich taufen und wird in Versuchung geführt, zieht durch die Lande, beruft Jünger, heilt, preist Menschen selig und ruft „Wehe!“, erzählt Gleichnisse, stillt einen Sturm und zeigt, wie 5000 satt werden können, kündigt sein Leiden mehrmals an, wird verklärt, sendet seine Jünger aus, lehrt beten, spricht in Bildern, warnt vor den Gefahren des Reichtums, zieht nach Jerusalem, weint, macht eine spezielle „Steuererklärung“, wird gefangen, verurteilt, gequält, gekreuzigt, ins Grab gelegt und bald darauf dort nicht mehr gefunden, sondern ist unterwegs nach Emmaus, - aber ausdrücklich gesegnet hat er bis dahin seine Jünger nie. Am Ende ist es das erste Mal.

Der Segen hatte gerade noch gefehlt!

Er ist nicht alltäglich, auch nicht allsonntäglich, er ist (1) merkwürdig, (2) unfertig und (3) enorm wirkungsvoll. Aber der Reihe nach!

 

 

Jedes noch so kleine Detail an diesem Segen ist merkwürdig. Der Segen ist wahrlich würdig,

gemerkt, beachtet, und

gemerkt, behalten zu werden.

Zuerst muss man ihn überhaupt „mitkriegen“. Jünger bekommen bekanntlich nicht immer gleich alles mit.

Dann aber ist der Segen eingeprägt, ob man will oder nicht, weil er wirklich unvergesslich ist. 2015 Jahre schon ist er unvergesslich, dass er nun noch verloren geht, ist unwahrscheinlich. Zu viele Christen wissen davon.

Jesus führt die Jünger hinaus. Sie hatten sich verkrochen, versteckt zum Essen, wollten unter sich sein mit ihrer Angst und ihrer Trauer, sie waren weggelaufen und verschwunden, geflüchtet wohl aus Jerusalem. Aber Jesu Segen passt nicht in diese Enge, er ist grösser, weiter.

Jesus führt daher die Jünger hinaus bis nach Bethanien, das heisst auf deutsch „Armenhausen“. Es ist am Ostertag noch gar nicht lange her, da war Jesus auf dem Weg nach Jerusalem mit seinen Jüngern dort vorbeigekommen und hatte sie geschickt, einen jungen Esel aufzutreiben, auf dem er in die Stadt reiten wird. Es sind nur wenige Tage und doch liegen Welten, unsere Welt und Gottes Welt, Tod und Auferweckung dazwischen!

Da hob er die Hände auf und segnete sie, wohlgemerkt: nach dem Lukasevangelium zum ersten Mal!

Haben Sie schon oft Menschen gesegnet? Bei mir gehört das Segnen zum Beruf. Und es ist etwas vom Besten, was ich zu tun und zuzulassen habe.

Fulbert Steffensky, dem grossartigen Theologen, lauschte ich am letzten Kirchentag. Er erzählt so herrliche Segensgeschichten, dass ich stundenlang zuhören könnte! Wie seine Mutter ihn als Kind jeden Morgen segnete, aber sehr routiniert und beiläufig. Oft schaute sie gar nicht hin, hatte in der anderen Hand einen Löffel und rührte in irgendeinem Topf, war vielleicht auch mit den Gedanken ganz woanders, berührte seine Stirn nur höchst oberflächlich. Aber der Segen gehörte dazu, merkwürdig nebensächlich, aber doch täglich. Und wenn etwas passierte oder etwas bevorstand, dann tat sie es ruhig und mit voller Aufmerksamkeit, dann wusste er als Kind genau, heute kommt es darauf an! Seine Mutter übte täglich, damit sie es einem dramatischen Moment dann auch konnte.

In jenen Momenten eben, in denen man leicht einmal ruft:

Das hat gerade noch gefehlt!

Steffensky hat an dem unkonzentrierten Tun seiner kochlöffelschwingenden Mutter später verstanden, was ein Segen ist:

„Segen ist die Fähigkeit zu geben, was man nicht hat.“

„Im Segen sehen zwei Menschen von sich selber ab, der Segnende und der Gesegnete: der Gesegnete erlaubt sich den Sturz in das Versprechen der Geste und des Wortes. Er fragt nicht nach seinen eigenen Voraussetzungen für den Segen. Einmal will er nicht zweifeln, einmal will er nicht fragen, wo das Versprechen seinen Ort der Erfüllung hat. Wenigstens an dieser Stelle will er nicht bestehen auf den eigenen Widersprüchen, auf den eigenen Halbheiten, auf das Leben, das durch ihn selber nicht gerechtfertigt ist.

Der Segen ist die dichteste und dramatischste Stelle des Glaubens. Dort wird nämlich inszeniert, was Gnade ist: nicht erringen müssen, wovon man wirklich lebt; sich nicht bannen lassen durch die eigenen Zweifel und durch die Zersplitterung des eigenen Lebens. Der Gesegnete muss nicht nur er selber sein. Er stürzt in den Abgrund des Schoßes Gottes.

Ebenso sieht der Segnende von sich ab. Denn er steht nicht für das Versprechen, das er gibt. Er spielt ein Spiel, dessen Regeln und dessen Ausgang er nicht garantiert. Das ist die Demut des Segnenden: Er spendet etwas, was er nicht hat, und seine eigene Blöße hält ihn nicht ab, aufs Ganze zu gehen und Gott als Versprechen zu geben. Der Segnende ist ein schlechter Buchhalter. Er bilanziert nicht, und er gibt nicht nur aus, was er hat. Er sagt nicht nur, was er verantworten kann; und er verspricht nicht nur, was er halten kann. Fallen lässt sich also nicht nur der Gesegnete, fallen lässt sich auch der Segnende in die Sprache und in die Geste, die größer ist als sein Herz.“[1]

 

Haben Sie schon oft Menschen gesegnet?

Oder geht es Ihnen wie Jesus, bei dem es bis unmittelbar zur Auffahrt gedauert hat?

Dann haben Sie es noch vor sich!

 

 

Liebe Gemeinde

 

Der Schluss hat gerade noch gefehlt!

Und es geschah, während er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.

Der Segen wird nicht fertig, Jesus entzieht sich, „fährt auf gen Himmel“ wie überliefert wurde.

Am Ende ist es nicht das erste Mal ... das etwas nicht fertig wird.

Sie stehen in Bethanien und Jesus Christus, den sie als Gottes Sohn erkannt hatten, entzieht sich himmelwärts. Damit ist eine schwere, eine schrecklich vertraute Gotteserfahrung in ein unvergessliches, poetisches Bild gefasst, dass jahrhundertelang Maler inspiriert hat, sich an Fusssohlen und Wolken und windzerzaustem Gewand zu üben, an Himmelsillusionen aller Art an Kirchendecken.

Das macht die Erfahrung der Jünger bei der Auffahrt für uns so leicht nachvollziehbar: Gott entzieht sich, auf Erden „steht er nicht zur Verfügung“, besonders dann nicht, wenn wir schreien:

„Das hat gerade noch gefehlt!“

Dann kann man Gott nicht greifen, nicht packen, nicht be-greifen.

 

Gott fehlt auf schmerzliche Weise.

Er „fehlt“ angesichts der Katastrophen, die wir nicht zu verhindern wissen.

Er fehlt, wenn Menschen sich in seinem Namen Leid antun.

...

Er fehlte schon den Psalmbetern entsetzlich, die schrien Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. (Ps 22, 2) und Herr, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? (Ps 13, 1)

Nicht erst wir Neuzeitlichen leben in einer solchen „Gottesfinsternis“[2].

Nicht erst wir müssen leben mit dem Schweigen Gottes,

nicht erst wir haben zu kämpfen mit der Unfassbarkeit Gottes, haben sein Entschwundensein zu erdulden. Gottes Schweigen traf Menschen aller Zeiten, hart und grauenvoll.

Es ist die Erfahrung bei der Himmelfahrt: Gott ist nicht (mehr) da.

Seinen Segen vollendet er nicht. Darf man sagen: Er wird nicht fertig auf der Welt?

Himmelfahrt: Jesus Christus ent-geht uns.

Gott entgeht uns – aber seinen Segen haben wir!

Das Wunder ist nicht die Himmelfahrt.

Das Wunder geschieht unmittelbar danach und dadurch erst recht.

Jesus Christus entgeht ihnen,

 

sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

 

Himmelfahrt: Jesus Christus ist fort, ferner geht es in diesem Moment nicht.

Die Jünger sind allein, verlassener könnten sie nicht sein.

Aber der Segen wirkt enorm! Sie entfalten grosse Freude, wagen sich nach Jerusalem und in den Tempel, preisen Gott.

 

Heute: Gott ist fort, ferner als in unserer Gegenwart kann er gar nicht sein. So erwische ich mich selbst beim „Kleinglauben“, so schallt es mir manchmal auch entgegen.

Die Gemeinden wirken für manche so verlassen, dass man sich nicht auf sie verlassen möchte.

Aber der Segen wirkt enorm! Christinnen und Christen entwickeln grosses Engagement, feiern bald schon wieder Kirchentag, wagen sich regelmässig in die Kirche, loben Gott und setzen Zeit, Kraft und Geld ein, die Welt nicht zu lassen wie sie ist, sondern sie mit Gottes Segen zu verändern.

Nach Himmelfahrt, genau übersetzt: [Die Jünger] aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und - - - segneten - Gott.

Tatsächlich, die Jünger machen endlich einmal sofort nach, was Jesus ihnen unmittelbar zuvor zeigte und zudachte und zusagte. Sie segnen.

Das hatte wirklich noch gefehlt! Am Ende ist es das erste Mal.

Sie „segneten“ Gott, heisst es wörtlich.

Luther und viele nach ihm übersetzten, dass Gott „gepriesen“ oder „gelobt“ wurde.

Aber „segnen“ und „preisen“ und „loben“ ist im alten Griechisch dasselbe Wort. Es ist ein grosses, altehrwürdiges und ehrfurchtsgebietendes Wort!

Segnen heisst „gut-sagen“, nicht mehr und nicht weniger.

Mit dem „gut-sagen“ werden wir nicht warten, bis unsere letzten Worte nahen.

Es wird schon jetzt manches besser, wenn wir mit dem „gut-sagen“ vor Gott und den Menschen beginnen. Wenn wir heute schon „gut-sagen“, auch wenn noch viel „dagegen spricht“.

Gottes Segen haben wir!

Der hat wirklich noch gefehlt!

 

Der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,      der fort ist und doch nahe mit seinem Segen,                                                                                                      Amen.

 

 

[1] Zuerst erscheinen in: Fulbert Steffensky, Und du sollst ein Segen sein. Ein Begleitheft zum Segenskoffer. Herausgeber: Andere Zeiten e.V., Hamburg o. J. sowie in: Ekkehard Langbein, „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“. 4 Doppelstunden zur Vorbereitung auf die Konfirmation, in: KU-Praxis 42, S. 39.

[2]  Vgl. Martin Buber, 1953.



Pfarrerin Dr. Dörte Gebhard
CH-5742 Kölliken
E-Mail: doerte.gebhard@web.de

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