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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Exaudi, 17.05.2015

Der Weg heraus – von einem Leiden, das zum Besten dient
Predigt zu Römer 8:26-30, verfasst von Ulrich Kappes

Liebe Gemeinde,

Brückentage sind beliebt. Der letzte Freitag stellte eine Brücke zwischen dem Feiertag „Himmelfahrt“ und dem gestrigen arbeitsfreien Sonnabend her. Dank der „Säule“ des Freitag, der Himmelfahrt und diesen Sonntag verbindet, kommen vier arbeitsfreie Tage zustande. Der heutige Sonntag „Exaudi“ ist auch eine Säule. Ein Brückenarm geht zu Himmelfahrt, einer zum kommenden Pfingstfest. Zwei Ufer werden heute verbunden, Himmelfahrt und Pfingsten. Exaudi ist Brücke und Wegweiser.

 

Der Predigttext steht nach dem Erprobungsmodell in der Ordnung der Predigttexte im Römerbrief,  im 8. Kapitel die Verse 26-30. Paulus schreibt:

26 Desgleichen hilft auch der Geist unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.

27 (Der Geist) aber, der die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des (menschlichen) Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt.

28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge  zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.

29 Denn, die er ausersehen hat, die hat er auch vorher bestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei  unter vielen Brüdern.

30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch gerecht gemacht, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.

 

Wir beginnen mit der Schilderung eines Lebensschicksals.

Ein Bekannter von mir hat seine Frau verloren. Sie waren 52 Jahre verheiratet. Die Umstände ihres Todes waren tragisch.

Er musste wegen eines Unfalles mit seinem Fahrrad operiert werden. Seine gehbehinderte Frau wurde vom Pflegedienst versorgt. Mein Bekannter kam zur Rehabilitation in eine Klinik. Es konnte erreicht werden, dass die Frau hier ebenfalls untergebracht wurde. Als sie aber dort war, fand sie sich nicht mehr zurecht. Mit der Entlassung aus der Rehaklinik – und das ist nun der tragische Wendepunkt gewesen – brachte mein Bekannter seine Frau in einem hiesigen Pflegeheim unter. Ihre Orientierungslosigkeit vergrößerte sich. Jeder Besuch bei ihr war ein Besuch mit Wehklagen und Tränen. Die Frau verstarb. Zurück blieben  neben dem Schmerz nach einer so langen Ehe die heftigen Vorwürfe, die sich mein Bekannter macht. „Hätte ich es vielleicht nicht doch geschafft, sie zu Haus zu behalten? Ja, ich wurde der Situation nicht mehr Herr. Aber musste es sein?“ Immer wieder fällt in unserem Gespräch seinerseits das eine Wort: War es „Verrat“?

 

Mein Bekannter ist ein gläubiger Mensch, besucht in einer gewissen Regelmäßigkeit unsere Gottesdienste. Er sagt mir nun, er weiß nicht mehr, warum. Er kann nicht mehr die Hände falten und beten. Sein Leben und sein Glauben kommen nicht mehr zusammen. Er fühlt sich schuldig vor Gott. Er sieht sich von Gott verlassen.

 

„Wir wissen nicht, was wir beten sollen.“

Weiß ich es denn? Weiß ich, was ich für ihn beten soll? Wissen wir, was wir beten sollen, wenn nach siebzig Jahren an den 2.Weltkrieg erinnert wird, dessen Grausamkeiten nicht in Worte zu fassen sind? Wissen wir, was wir beten sollen, wenn in Nepal Tausende von Menschen nach einem brachialen Erdbeben zum zweiten Mal obdachlos sind und nichts zu essen haben? Wissen wir, was wir beten sollen, wenn angesichts solcher Geschehnisse Menschen nicht an einen Gott als Herrn der Geschichte und Schöpfung glauben können und der Kirche den Rücken zukehren?

Paulus stand in seinem Glauben einst dort, wo wir hier und jetzt stehen.

Er wusste damals, wie wir heute, dass er nicht allein sprachlos in seinem Gebet ist, sondern „die Heiligen“ (Vers 27) ebenso. Wir, nicht allein, ich, Paulus, wir wissen angesichts des Ganges der Dinge im Imperium Romanum und der Zukunft der Gemeinde – so etwa darf man wohl ergänzen -  wir wissen nicht, was wir beten sollen. Christus ist nicht mehr unter seinen Jüngerinnen und Jüngern. Er ist in den Himmel aufgefahren. Wir sind allein und wir sind sprachlos.

 

In dieser Situation, die Paulus mit den Christinnen und Christen in Rom verbindet, schrieb er, dass Gottes Geist uns „erforscht“. Das Wörterbuch hat für das hier gebrauchte griechische Wort auch die Übersetzungen „durchsuchen“, „durchstöbern“, „bis ins Letzte nachgehen“ parat. I1I

Die Folge dieses „Durchforschens“ durch den Geist ist, uns „in unserer Schwachheit aufzuhelfen“. Eine andere, wohl genauere Übersetzung heißt: „Der Geist nimmt unsere Schwachheit in Angriff.“

Die „Erforschung“ durch den Geist geschieht also,  um unsere Schwachheit „in Angriff zu nehmen“. I2I

Schließlich, so heißt es von diesem, uns durchwehenden Geist, dass er für die Heiligen vor Gott eintritt. I3I

 

Wie können wir diese Worte verstehen?

 

Gott ist nach biblischer Vorstellung eine Person, ein Gegenüber, ein Wesen mit einer eindeutigen Kontur. Eine „Person“ aber kann uns nicht „erforschen“ oder „durchsuchen“. Das kann nur von etwas geschehen, das keine Person ist. Es ist  der „Geist“, der von Gott ausgeht  und uns erforscht und in mir und mit mir zum Angriff gegen die Not angeht.  Wir fühlen davon nichts, wir erleben davon nichts, weil es eben Gottes Geist ist, der wie Gott selber unfassbar ist.

Die Not und die Nöte, die uns sprachlos machen, wofür wir keine Worte haben, die uns nur schweigen lassen, bleiben, so Paulus, nicht bei uns. Sie werden vom Geist zu Gott-Vater getragen. So gibt es zwar ein einsames Leiden. Es gibt aber kein Leiden allein für sich. Gott erfährt das. Welche Konsequenzen das hat, dass unsere Leiden und unsere Verzweiflung Gott benannt werden, sagt Paulus nicht.

Nur dieses eine: Wir leiden nicht für uns. Es kommt alles zu Gott, kommt ins Buch unseres Lebens.

 

Der zweite Teil des Predigtextes hat eine ähnliche Tiefe wie der erste Teil. Er beginnt mit dem bekannten Satz:

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“

Wir fragen: In welcher Weise dient „alles“, also auch Krankheit, nicht verstummende Selbstvorwürfe, schlaflose Nächte …, uns zum Besten?

Es gibt die Anschauung, dass Leid das Leben intensiver sehen lehrt. Leid übernehme danach die Aufgabe, uns zu läutern, reif werden zu lassen und zu stärken.

Das mag hier und da wohl zutreffen. Wer kann das nicht bestätigen, dass er manches Mal durch Schaden im weitesten Sinn klug geworden ist? Eine Gnade und Ausnahme mag es sein - aber die Regel?

 

Sollte ich meinem Bekannten sagen, dass die Verwirrung seiner Frau nach seinem Unfall, die Umstände bei der Unterbringung während der Rehabilitation, der Entschluss, seine Frau in einem Pflegeheim unter zu bringen, dass dies alles geschehen ist, weil es ihm „zum Besten dient“, würde er kein Wort weiter mit mir reden und mich ggf. zur Tür hinauswerfen.

 

Zu dem ersten Teil des Satzes: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zu Besten dienen“, gehört der zweite Teil dazu: „denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“

Was sich dann an weiteren Worten anschließt, ist eine Umschreibung und Weiterführung dieses Satzteiles: „denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“

Der Rahmen ist jetzt nicht gegeben, das schwerwiegende Thema der Vorherbestimmung unseres Lebens durch Gott zu erörtern. Es ist auch nur die eine Seite.

Was ist die andere, hier notwendig zu Erwähnende?

Wir fragen:

Wozu kann „alles“, d.h. ja hier: alles Schmerzliche und Leidvolle, dienen?

Die Antwort streng am Text entlang heißt:

Es kann dazu dienen, dass ein Mensch durch das Tal des Leides hindurch seinen Herrn immer besser erkennt, ihm sich angleicht, ihm ähnlich wird.

„Denen, die nach dem Ratschluss vorherbestimmt sind“ – Wer sich im Leid an Christus ausrichtet, so gilt es mit Paulus zu sagen, dem ist „vorher bestimmt“, dass das Leid ihm zum Besten dient. Wagen wir es, das nach zu sprechen?

Entscheidet sich ein Mensch, im Leid immer stärker die Nähe von Christus zu suchen, dann ist ihm vorher bestimmt, dass sein Leid sein Gewinn werden kann. So wird, wie der Text sagt „Christus der Erstgeborene für alle Brüder“, der uns die Gnade des Ausweges aus der Gefangenschaft im Leid weist.

 

Vielleicht kann ich das meinem Bekannten sagen. Wenn er nicht mehr beten kann, möchte er auf Christus und seine Verlassenheit am Kreuz sehen. Das wird nicht folgenlos für ihn sein. Dieser Christus kann uns eine Lebenshaltung schenken, die aus der Trauer heraus führt. Mit Christus ein Stück gehen, an seiner Seite bleiben, heißt, sich selbst das Beste zu tun – und so, nur so, beginnt im Leiden der Weg aus dem sprachlosen Seufzen heraus.



Pfr.em. Ulrich Kappes
Luckenwalde, Deutschland
E-Mail: ulrich.kappes@gmx.de

Bemerkung:
Bemerkungen
Zusätzliche Medien
I1I Gerhard Delling, ereunao, in: ThWb, 2. Band, Stuttgart 1935, S. 653f.
I2I Gerhard Delling, antilambanomai, in: ThWb, 1. Band, Stuttgart 1933, S. 375f.
I3I Luthers Übersetzung “eintreten” hat nicht die Klarheit von “vertreten”. Nach Ernst Käsemann, An die Römer, Tübingen 1974, S. 222.



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