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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 25.05.2015

Ein Stein sein
Predigt zu Matthäus 16:13-19, verfasst von Güntzel Schmidt

Als Jesus in das Gebiet von Cäsaräa Philippi gekommen war, fragte er seine Jünger: Wer sagen die Leute, dass ich, der Sohn des Menschen, sei?

Sie aber sprachen: Die einen: Johannes der Täufer, andere: Elias, andere: Jeremia oder einer der Propheten.

Sagt er zu ihnen: Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?

Antwortet Simon, genannt “Stein”: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.

Antwortet Jesus: Selig bist du, Simon, Johanns Sohn, weil du nicht selbst darauf gekommen bist, sondern mein Vater im Himmel es dir offenbart hat. Aber ich sage dir: Du bist Stein, und auf dieses Gestein werde ich meine Kirche bauen, und der Tod wird nicht stärker sein als sie. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben, und was du binden wirst auf Erden, wird gebunden sein im Himmel, und was du lösen wirst auf Erden, wird gelöst sein im Himmel.

(Eigene Übersetzung, vgl. http://offene-bibel.de/wiki/Matthäus_16)

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

Sie haben vielleicht gestutzt, als Sie die Übersetzung des Predigttextes hörten: “Du bist Stein, und auf dieses Gestein werde ich meine Kirche bauen” - das klingt schon sehr eigenartig. Vertraut ist uns die Übersetzung Martin Luthers: “Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.”

Wir kennen Simon, den Jünger Jesu, als “Petrus” - Namenspatron aller, die Peter oder Petra heißen. Aber “Petrus” war nicht sein richtiger Name, sondern sein Beiname, um ihn von einem anderen Jünger “Simon”, den man “den Zeloten”, den Eiferer, nannte (Mt 10,4), zu unterscheiden. Petrus heißt auf Griechisch “Stein” - also Simon, der steinharte. Oder Simon, der Edelstein. Wir wissen nicht, was dieser Beiname “Stein” ursprünglich bedeutete. Das macht auch nichts, denn Jesus gibt seinem Beinamen einen neuen Sinn: Er deutet ihn um auf das Gestein oder den Felsen, auf dem er die Gemeinde aufbauen will. Das erinnert uns an das Gleichnis vom Hausbau, das Jesus erzählt (Mt 7,24-27): Das Haus, auf Sand gebaut, wird von der Sturmflut weggerissen. Das Haus auf dem Felsen aber trotzt den Naturgewalten und bleibt stehen.

 

II

Jesus deutet Simons Beinamen um und erklärt ihn zum Fundament der Kirche. So sieht es die römisch-katholische Kirche, die Petrus zum ersten Papst erklärt, auf den alle Päpste, bis zum heutigen Papst Franziskus, in apostolischer Sukzession folgten. Diese Kette von Nachfolgern verankert die katholische Kirche sicher in der Geschichte.

Also gründet sich die Kirche, deren Geburtstag wir an Pfingsten feiern, auf einen besonderen Mann, auf eine große Persönlichkeit. Das wäre nur folgerichtig - schließlich wird Geschichte nicht vom sprichwörtlich “kleinen Mann” geschrieben (von der “kleinen Frau” ganz zu schweigen), sondern von den “großen” Männern: Alexander dem Großen, Julius Cäsar, Karl dem Großen, dem Alten Fritz, Bismarck, Churchill - um nur einige beliebige ”große” Männer zu nennen. Man wird allerdings fragen dürfen, ob die Kirche neben Jesus noch weitere “große” Männer braucht, ob ihr Jesus nicht ausreicht?

Sehen wir uns an, was die vier Evangelien, in denen Petrus eine wichtige Rolle spielt, von ihm berichten, finden wir wenig “Großes”, dafür um so Menschlicheres: Petrus wird von Jesus getadelt und sogar mit dem Teufel verglichen, weil er ihn von seinem Weg ans Kreuz abzubringen sucht (Mt 16,21-23). Petrus verhält sich so, dass man sich für ihn fremdschämt, wenn er z.B. auf dem Berg der Verklärung vorschlägt, dort drei Hütten zu bauen (Mt 17,4); wenn er beim Seewandel plötzlich in Panik gerät und zu ertrinken droht (Mt 14,30), oder wenn er sich bei der Fußwaschung erst weigert, dann aber auch noch den Kopf gewaschen bekommen will (Joh 13,1-11). Am schlimmsten aber ist wohl Petrus' großspurige Ankündigung, sich für Jesus in Stücke reißen zu lassen. Als es zum Schwur kommt, verhält Petrus sich alles andere als heldenhaft: dreimal leugnet er, Jesus überhaupt zu kennen (Mt 26,69-75).

Petrus ist kein “Großer”, kein Held, der Geschichte schreibt. Auch Jesus scheint ihm nicht viel zuzutrauen: Als Petrus ihn den Christus nennt, stellt Jesus fest, dass er darauf nicht von selbst gekommen sein kann, sondern dass Gott es ihm offenbart haben muss.

 

III

Die Größe des Petrus liegt nicht darin, dass er große Taten vollbrachte, sondern darin, dass er eine göttliche Offenbarung erlebte, die ihn erkennen ließ, dass Jesus der Christus, der Messias Israels, ist. Auch das konnte ein Kriterium für “Größe” sein, denn göttliche Offenbarungen sind ziemlich selten, heutzutage wenigstens.

Sehen wir uns die Offenbarung, die Petrus zuteil wurde, einmal genauer an: Wie ist es eigentlich dazu gekommen?

Jesus will von seinen Jüngern wissen, was die Leute über ihn denken. Es geht ihm dabei nicht um Klatsch und Tratsch, die sich auf Äußerlichkeiten wie Kleidung, Verhalten oder Umgang beziehen. Solchen Tratsch über Jesus gab es auch, er wurde z.B. als “Fresser und Weinsäufer” verunglimpft (Mt 11,19). Jesus aber geht es um Wichtigeres: Er will wissen, was die Leute ihm auf dem Gebiet des Glaubens zutrauen. Bis heute fällt es vielen schwer, Jesus als Sohn Gottes zu sehen. Sie können sich nicht vorstellen, dass Gott Mensch wurde. Seine Gotteskindschaft und seine Auferstehung passen - neben vielem anderen, was die Bibel erzählt - nicht in unser modernes Weltbild. Deshalb stellt man sich Jesus lieber als einen vorbildlichen, einen “großen” Menschen vor, ein Dietrich Bonhoeffer, oder ein Martin Luther King. So ging es auch seinen Zeitgenossen. Sie erkannten zwar an, dass Jesus jemand Besonderes war. Aber sie deuteten seine Person auf dem Hintergrund dessen, was sie sich vorstellen konnten. Einige wollten in ihm den auferstandenen Täufer Johannes erblicken. Andere verglichen ihn mit Gestalten der Bibel, mit Elia, dem Vorboten des Messias, oder mit Jeremia, dem Gerichtspropheten.

Auch Petrus kennt die Bibel, aber er deutet Jesus nicht mit den klassischen Deutungsmustern seiner Zeit, er deutet ihn neu: Jesus ist der Messias aus dem Hause Davids, den die Propheten dem Volk Israel verhießen. Petrus' Entdeckung ist neu, aufregend und umwerfend, weil Jesus so ganz anders war, als man sich den Messias vorstellte. Vor allem sein Tod am Kreuz bricht mit allem, was man über den Messias zu wissen glaubte. Die selbe aufregende Entdeckung machte übrigens auch sein Kollege Paulus, und auch er behauptete, sein Evangelium durch eine Offenbarung empfangen zu haben (Gal 1,11f.15f).

 

IV

Wie muss man sich eine göttliche Offenbarung vorstellen? Hört man eine innere Stimme? Sieht man ein Licht, wie bei den Blues Brothers, oder einen Sternenregen, wie Wickie, wenn er einen seiner genialen Einfälle hat?

Niemand würde wohl von sich behaupten, eine göttliche Offenbarung erlebt zu haben. Und doch wissen alle, wie sich eine Offenbarung anfühlt. Jede und jeder kennt das beglückende Gefühl, wenn endlich der Groschen fiel und man etwas begreift. Kennt die Aufregung, die man bei einem ganz neuen Gedanken empfindet, auf den man vorher nicht gekommen ist.

Könnte es nicht sein, dass eine göttliche Offenbarung gar nicht so spektakulär ist, wie wir sie uns ausmalen? Dass sie vielmehr ziemlich genau unseren kleinen und großen Erleuchtungen entspricht, die wir manchmal erleben? Sie sind etwas, das wir nicht “machen” können. Wir kommen nicht von selbst darauf, weil sie nicht “logisch” sind, so dass es nur eines gründlichen Nachdenkens bedürfte. Vielmehr haben wir das Gefühl, diese Einsicht, dieser neue Gedanke sei uns zugefallen, sei uns geschenkt worden.

Wenn aber die göttliche Offenbarung nicht mehr ist als unsere kleinen und großen Erleuchtungen - und auch nicht weniger -, dann hat Petrus uns doch gar nichts mehr voraus! Dann könnte ja jede und jeder von uns Petrus sein!?

Genau. So ist es. Ich denke, darauf läuft diese Geschichte hinaus. Deshalb wird sie auch am Pfingstfest gelesen und gepredigt, am Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes - des Geistes, der uns die kleinen und großen Erleuchtungen beschert.

In seiner Pfingstpredigt zitiert Petrus deshalb auch ausdrücklich den Propheten Joël (Apg 2,17): “Ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben.” Petrus redet nicht nur von sich oder seinen Apostelkollegen; er spricht von allen Gläubigen. Wer durch Gottes Heiligen Geist begriffen hat, wer Jesus ist, der oder die ist ein Stein, auf dem man eine Gemeinde, ja, eine ganze Kirche aufbauen kann.

 

V

Petrus hat erkannt, wer Jesus ist; dafür erhält er die Schlüssel des Himmelreiches. Sie haben vielleicht schon einmal eine Petrusfigur gesehen; man erkennt Petrus am großen Bartschlüssel, den er in der Hand hält. Oft wird Petrus auch als Pförtner am Himmelstor dargestellt, weil er ja den Schlüssel zur Himmelstür hat. Aber Petrus ist kein Pförtner, und die Schlüssel des Himmelreiches öffnen keine Türen.

Mit den Himmelsschlüsseln verbindet sich vielmehr das “Binden” und “Lösen”. Man denkt dabei an Schnürsenkel oder Handschellen; beide sind nicht gemeint. Mit “Binden” und “Lösen” bezeichnete man damals die Auslegung der Bibel, genauer: die Auslegung der fünf Bücher Mose, der Tora. Die Auslegung der Bibel bindet gläubige Menschen: sie gibt an, wie ein Text zu verstehen ist, und wie nicht, und welche Konsequenzen aus einem biblischen Gebot zu ziehen sind. Und die Auslegung befreit gläubige Menschen, indem sie ihnen z.B. Gottes Vergebung zusagt. Die Auslegung der Bibel kann Menschen also binden oder befreien. Zum Beispiel, wenn es um die Frage geht, ob Frauen Pfarrerinnen sein können oder nicht. Ob Homosexualität eine gottgewollte Lebensweise oder eine Sünde ist. Ob es so etwas wie einen “gerechten Krieg” geben kann. Ob Juden, Christen und Muslime an den selben Gott glauben, oder ob es nur einen wahren und richtigen Glauben gibt. U.s.w.

Bei den Antworten auf diese Fragen verlässt man sich auf die Fachleute, die einem die Bibel auslegen; sie haben das schließlich studiert, haben Aufsätze oder Bücher zu dem Thema gelesen oder sogar geschrieben. Aber Martin Luther - auch einer von denen, die, von Gottes Geist begeistert, eine neue Entdeckung machten - Martin Luther traut der ganzen Gemeinde zu, die Bibel auszulegen und in ihr die Antworten auf diese Fragen zu finden.

 

VI

Damit diese Antworten aber nicht in Willkür ausarten, fügt Jesus an die Schlüsselübergabe noch eine wichtige Ergänzung an: “was du binden wirst auf Erden, wird gebunden sein im Himmel, und was du lösen wirst auf Erden, wird gelöst sein im Himmel”. Man hört diese Worte als Generalvollmacht. Als dürften wir Entscheidungen treffen, die auch vor Gott Bestand haben, und so an Gottes statt urteilen. Das hätten wir wohl gern! Aber dazu sind wir zu sehr und durch und durch Menschen, als dass Jesus uns eine solche Machtfülle anvertrauen könnte. Der Missbrauch, der mit dem Wort Gottes getrieben wurde und bis heute getrieben wird, gibt guten Grund zur Vorsicht. Jesus gibt uns keine Vollmachten, sondern erinnert uns an die Verantwortung, die unsere Auslegung der Bibel nach sich zieht, weil sie weitreichende Konsequenzen hat. Wenn wir wirklich die Steine sein wollen, auf denen Jesus seine Gemeinde bauen kann, dann müssen wir uns dreimal überlegen, was wir sagen, wenn wir uns auf die Bibel berufen. Denn Jesus, der mit Zöllnern und Huren verkehrte und mit einer Ehebrecherin Mitleid hatte, kennt kein Pardon, wenn Menschen an ihrem Glauben irre gemacht werden: “Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist” (Mt 18,6), droht er. Wir müssen also sehr vorsichtig sein, wenn wir anderen vorschreiben wollen, was und wie sie zu glauben haben, was Gottes Wille ist, und was sie daher tun und lassen sollen. Am besten fahren wir, wenn wir uns Jesus selbst zum Vorbild nehmen. Er sah es nicht als seine Aufgabe an, Menschen zu be- oder verurteilen, sondern ihnen Gottes Liebe zu zeigen und sie zum Reich Gottes einzuladen. Er warb für Barmherzigkeit, nicht für das Opfern (Mt 9,13).

 

VII

Wir alle können Steine sein, auf denen Jesus seine Kirche baut. Als solche Kirchensteine sind wir nicht nur graue, harte Feldsteine, sondern sogar Edelsteine. Denn Gott sieht uns nicht auf unsere Schwächen und Fehler hin an, sondern auf unsere Gaben. Gott hält jede und jeden von uns für wert, die Kirche zu einem bunten, vielfältigen und dadurch lebendigen Haus Gottes werden zu lassen.

An Pfingsten feiern wir, dass Gottes Geist über uns ausgegossen ist. Wir brauchen uns nur daran zu halten und daran festzuhalten, dass wir von Gottes Geist Begeisterte sind, dann werden auch wir zu Petrussen und Petras.

Amen.



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meiningen, Deutschland
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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