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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 31.05.2015

Nachtgespräch
Predigt zu Johannes 3:1-16, verfasst von Sven Keppler

  1. „Stille Nacht, heilige Nacht.“ Das Leben wird langsamer. Kommt zur Ruhe. Das Licht und die Wärme des Tages sind gewichen. Das Tagesgeschäft ist erledigt. Die Aufgabenliste des Tages hoffentlich abgearbeitet.

Was offen geblieben ist, das sind die großen Themen. Die Lebensfragen, die nicht so einfach abzuarbeiten sind. „Was kann ich wissen?“ „Was soll ich tun?“ „Was darf ich hoffen?“ In diesen drei Fragen hat einmal ein großer Gelehrter zusammengefasst, was uns wirklich beschäftigt. Alle münden sie in dem großen Rätsel: „Was ist der Mensch?“

Fragen für die Nacht sind das. Tagsüber treten sie in den Hintergrund. Auf der Arbeit, im Haushalt. Bei der Jagd im Supermarkt. Aber wenn die Sonne untergegangen ist, wenn die Kinder und die wilden Tiere schlafen, dann melden sie sich.

Auf dem Sofa bei einem Glas Wein. Am Lagerfeuer. Vor dem Zelt in der Steppe. Auf dem Schiff mitten im Ozean. Die Nacht wandert über die sich drehende Erde. Und die tiefen Fragen der Nacht wandern mit ihr über die ganze Welt.

„Stille Nacht, heilige Nacht.“ Heilig ist die Nacht nicht nur wegen der tiefen Fragen. Die Nacht ist auch die Zeit der großen Wendepunkte. Der Lebenswenden. Die Zeit der Träume und der Eingebungen. In der Nacht träumten die Propheten ihre Gottesträume.

In der Nacht wurde Jesus geboren, der den Lauf der Welt für immer veränderte. Und in der Nacht auf Ostern wurde er von neuem geboren. Aus dem Leid und dem Schmerz des alten Lebens in ein neues hinein. Das ist die heilige Nacht schlechthin, die Osternacht.

In der Stille der Nacht stellen sich auch die heiligen Fragen. Wie kann ich spüren, dass Gott mir nah ist? Wie kann mein Mensch Schutz finden im Leben? Was wird sein, wenn mein Leben ans Ende kommt?

Das Johannesevangelium berichtet im 3. Kapitel von solchen nächtlichen Fragen. Es erzählt von einem Nachtgespräch. Nikodemus, ein großer jüdischer Gelehrter, kommt zu Jesus in der Nacht. Und er spricht mit ihm über die großen, tiefen Fragen der Menschheit. [lesen: Joh 3,1-16]

 

  1. Jesus hatte zu Nikodemus gesagt: Niemand kann das Reich Gottes sehen. Kein Mensch. Außer, wenn er neu geboren wird. Nikodemus hatte nicht verstanden. Wie kann ein Mensch denn neu geboren werden? Kann er denn wieder in den Leib seiner Mutter?

Will er damit nur zeigen, wie unsinnig dieser Gedanke ist? Oder drückt sich darin auch eine Sehnsucht aus? Zurück in den Leib der Mutter. Regression bis in den Ursprung der Geborgenheit. Schutz. Reinigung. Vielleicht auch eine zweite Chance. Ein Leben vom Nullpunkt an. Ohne all die falschen Weichenstellungen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin.

Rebirthing – Wiedergeburt heißt auch eine esoterische Technik. Dabei steht die Atmung im Mittelpunkt. Es ist eine Art Zirkularatmung, die geübten Spielern von Blasinstrumenten vertraut ist. Die Anhänger dieser Technik meinen, neben der Luft auch göttliche Energie zu atmen. Und sie versuchen, so das Erlebnis der eigenen Geburt neu zu erleben.

Geburt, Atem, Geist, Erneuerung – all das gehört eng zusammen. Aber wie? Wie können wir angemessen auf diesen sensiblen Zusammenhang zugehen und dabei sowohl den kritischen Fragen von Nikodemus gerecht werden als auch der tiefen Anschaung von Jesus?

Wie kann ein Mensch denn neu geboren werden? Kann er denn wieder in den Leib seiner Mutter? Jesus hatte darauf gesagt: Nicht so. Sondern aus Wasser und Geist muss ein Mensch neu geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. – Was mag das bedeuten?

 

III. Vor vielen Jahren, als ich noch ein Kind war, wachte ich eines Morgens auf. Es war eine unruhige Nacht gewesen. Die hölzernen Rollläden hatten immer wieder laut geklappert. Es war ein Sturm über das Land gesaust.

Am Morgen war die Welt seltsam verändert. Ich sah es zuerst am Küchenfenster, das von keiner Rolllade geschützt worden war. Der Blick nach draußen war seltsam trübe. Wir öffneten das Fenster um den Grund zu sehen. Da lag auf der Fensterbank lauter feiner Sand.

Genauso auf dem Balkon. Und auf den Autos vor den Häusern. Eine feine Sandschicht hatte sich auf alles gelegt. Später erfuhren wir den Grund: Der sommerliche Sturm hatte Sand aus der Sahara bis nach Deutschland geführt. Wie ein sommerlicher Schnee hatten sich die Kristallkörner überall verteilt.

„Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.“ So sagt Jesus im Gespräch mit Nikodemus.

Damals, an dem Morgen, wussten wir, woher der Wind kam: Aus Nordafrika. Aber wer denkt daran, wenn ein leichter Windhauch über die Haut fährt? Woher kommt der Lufthauch, der mir gerade jetzt das Atmen ermöglicht? Vom Atlantik? Vom Mittelmeer? Sogar aus dem fernen China?

Mir bleibt gar keine Wahl, ob ich atmen will, oder nicht. Regelmäßig füllt sich meine Lunge und versorgt mich mit Sauerstoff. Ständig bin ich mit der Welt um mich herum verbunden, mit der nahen und mit der fernen. Die frische Luft hält mich am Leben. Fünfzehn Mal in der Minute.

 

  1. Wer aus der Dusche kommt, fühlt sich wie neu geboren. Genau so ist es, wenn man aus einem Raum mit stickiger Luft ins Freie tritt. Oder wenn man die Fenster öffnet. Wasser und Luft können bewirken, dass man sich wie neu geboren fühlt.

Jesus kann beides für ein Bild nehmen: Wasser und Luft erneuern einen Menschen. Deshalb ist es wichtig, immer wieder neu geboren zu werden aus Wasser und Geist.

So ähnlich ist es auch bei der Taufe. Auch sie erfüllt den Menschen mit etwas, das aus geheimnisvoller Ferne kommt. Mit einer Gotteskraft, die neues Leben ermöglicht. Die den Menschen hineinnimmt in das neue Leben Jesu.

In das Auferstehungsleben. Jesus ist genau den Weg gegangen, den Nikodemus für unmöglich hält. Zwar nicht zurück in den Mutterleib. Aber in den Leib von Mutter Erde. Er war tot und begraben. Und wurde dann neu geboren.

Im Zeichen der Taufe werden auch wir neu geboren. Indem wir symbolisch mit Wasser bedeckt werden und wieder herauskommen, machen wir die Lebensbewegung von Jesus mit: durch den Tod in ein neues Leben.

Deshalb sagt er: Wir sollen neu geboren werden aus Wasser und Geist. Im Vergleich zur erfrischenden Dusche oder zur frischen Luft von draußen gibt es dabei einen großen Unterschied: Bei der Taufe reicht eine einzige fürs Leben. Ein großer Atemzug, der ein Leben lang hält. Der uns als Getaufte schon Anteil gibt an Gottes neuer Schöpfung.

 

  1. Tiefe Fragen haben sie angesprochen, der gelehrte Nikodemus und der von Gott gesandte Jesus. So, wie es sich für ein Nachtgespräch gehört. Es ist ums Ganze gegangen. Um Geburt und Tod. Um neues Leben und Kraft. Um Glauben und Ewigkeit.

Jesus hat von der Erneuerung des Lebens erzählt. Das Wort Taufe hat er dabei nicht gebraucht. Aber er hat sie gemeint, als er sagte: Ein Mensch muss neu geboren werden aus Wasser und Geist.

Für Nikodemus blieb vieles rätselhaft. So dass Jesus etwas gereizt reagiert: „Bist du Israels Lehrer und weist das nicht?“ Aber so ist das mit den tiefen Fragen und den großen Rätseln. Sie bleiben uns verschlossen. Bis sich plötzlich die Ohren und Augen öffnen und man etwas begreift von Gottes Geheimnissen. Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge, die macht beide der Herr.

Die Osternacht ist die stille Nacht, die heilige Nacht. Die Nacht, in der uns ein Licht aufgeht und Gottes Geheimnisse offen zu Tage treten. Zu Pfingsten haben wir den Heiligen Geist gefeiert. Den geheimnisvollen Geist, der wie der Wind bläst, wo er will.

Und heute, am Trinitatisfest, feiern wir das Geheimnis unseres Gottes. Er ist der Vater, der nicht will, dass wir Menschen verloren gehen. Er will mit uns sein und uns behüten. Wir sollen uns zu ihm halten und ihm vertrauen.

Er ist der Sohn, der uns wie ein Bruder nahe gekommen ist und für uns durch den Tod ins neue Leben gegangen ist. Und er ist der Geist, durch den er uns erneuert. Und in alledem zeigt sich seine Liebe zu uns. Amen.



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Versmold
E-Mail: sven.keppler@kk-ekvw.de

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