Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 07.06.2015

Reich und Arm
Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Eberhard Busch

Liebe Gemeinde, ist das nicht eine ärgerliche Geschichte? Religiös unbefriedigend und moralisch bedenklich!? Oder soll man etwa das als fromm oder denn als anständig bezeichnen, dass da von einem Gericht am Ende der irdischen Zeit die Rede ist, und zwar von einem Gericht, bei dem der Maßstab, an dem da gemessen wird, weder religiös noch moralisch einleuchtend ist. Der Arme kommt ins Paradies, obwohl nicht bekannt ist, ob er fromm war oder ob er je etwas Rechtes getan hat. Der Reiche kommt in die Hölle, obwohl er anscheinend nichts Verbrecherisches getan hat und vielleicht erst noch ein sauberer Gläubiger war. Der Arme wird belohnt, obwohl er nichts als arm ist. Und der Reiche wird bestraft, obwohl er nur eben reich ist. Was ist der Sinn dieser Erzählung? Und was hat das mit Gott zu tun? Und was mit dem Heiland der Menschen?

Hören wir näher hin! Da wird uns ein von dem Reichen Übersehener und Übergangener vorgeführt. Während der gut Betuchte selbst „herrlich und in Freuden“ lebt, ist der arme Schlucker für ihn wie nicht vorhanden. Er hat kein Ohr und kein Auge, kein Herz für ihn, obwohl der Bettler genau vor seiner Türe liegt. Und achten wir jetzt darauf, dass dieser Arme nicht namenlos ist. Man kann ihn kennen. Er trägt den Namen „Lazarus“. Dieser hebräische Name heißt übersetzt: „Gott hat geholfen“. Gewiss ist der Mann arm, aber das sagt uns sein Name: Gott gibt ihn nicht preis. Er hört ihn. Er sieht ihn. Er hat ein Herz für ihn. Und wenn alle ihn verlassen und vergessen, Er nicht. Der Arme liegt „im Schoß Abrahams“, in dem er für immer gut aufgehoben ist. Paul Gerhardt hat gedichtet: „Wenn gar kein Einziger auf Erden, dessen Treue du darfst trauen, alsdann will er dein Treuster werden und zu deinem Besten schauen. Er weiß dein Leid und heimlich Grämen, auch weiß er Zeit, dir’s abzunehmen.“ Dass „unser Vater im Himmel“ Ohren und Augen und ein Herz für diesen Bedürftigen hat, das hat er in Jesus von Nazareth uns aufgedeckt und vor Augen gemalt.

Der Evangelist Lukas, der uns dieses Gleichnis überliefert, hat es offenbar in diesem Sinn verstanden. Er weiß es von der Linie her, auf der Jesus sich bewegt hat. Wie es Maria, die Mutter Jesu, bereits in der Erwartung des Heilands gesungen hat: „Hungrige füllt er mit Gütern, aber die Reichen lässt er leer ausgehen.“ Der Heiland geht in der Tat vorbei an den Habenden und geht hin zu den Habenichtsen. Denn es liegt ihm alles daran, dass der Arme aus seiner Hölle des Verderbens herauskomme, aus seinem Verlassensein und Vergessensein.                       Davon ist er tödlich bedroht. Der Evangelist beschreibt es aufrüttelnd: Dieser Mensch ist nicht schön anzusehen, er ist mit Geschwüren übersät und „begehrte sich zu sättigen von dem, was vom Tisch des Reichen abfiel.“ Aber nicht einmal die Abfälle des Reichen können ihm helfen. „Dagegen kamen die Hunde und beleckten seine Geschwüre“. Hunde waren in biblischen Zeiten nicht die Schoßhündchen von heutzutage, sondern allerverächtlichste Wesen. Unter solche Erbärmlichen befindet sich der arme Lazarus.

Und das ist die eindringliche Spitze dieses Gleichnisses: Dieser Notleidende muss gerettet werden. Wenn das nicht geschieht, dann ist der Reiche für seinen armen Nächsten wie tot. Wenn der kein Herz und keine Hand für ihn hat, dann droht ihm selbst das Verließ, das er dem verlassenen Armen bereitet hat. Er kommt mit all seinen Gütern nicht davon. Und wie dem Reichen das endlich aufgeht, bittet er den Himmel darum, der Arme möge noch einmal vom Jenseits ins Diesseits zurückkehren, um die noch Lebenden zu warnen. Aber ihm wird als Antwort zuteil: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht gewinnen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“ Das heißt: auf die Stimme in der Heiligen Schrift hören, das ist so viel wert wie eine Auferstehung von den Toten. Vielmehr: wer auf die alten Mahner ernstlich hört, der wird wachgerüttelt. Der steht nun auf. Der wird herausgerissen aus dem Zustand, in dem er für den Nächsten in seiner Not tot war.

Wachgerüttelt! Es geht in unserer Geschichte gewiss nicht um eine Vertröstung auf eine besseres Jenseits für die Zu-kurz Kommenden, sondern es geht um eine Aufweckung dazu, dass ihnen jetzt und hier geholfen  wird. Es geht nicht um ein besseres Jenseits, es geht um ein besseres Diesseits. Die Geschichte will uns nicht ablenken von der Weisheit des Spruchs: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“. Und, beachten wir es wohl, sie ruft uns zur Umkehr von einem Denken nach dem Slogan: „Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot!“, wie schon im Buch des Propheten Jesaja geschrieben steht (22,13). Die Botschaft Jesu in unserem Gleichnis schärft uns ein: Es geht jetzt nicht so weiter wie bisher! Wenn die Armen in ihrer Hölle zugrunde gehen, dann wehe den Reichen, die etwas zur Hand haben, mit dem sie Armen beistehen könnten, was sie aber nicht tun.

Doch wer sind die Reichen? Wir werden uns wahrscheinlich nicht dazu zählen. Wer ist schon reich! Sogar gerade auf die Superreichen zielt der Spruch: „Je mehr er hat, je mehr er will, / nie stehen seine Sorgen still“. Ein bisschen so ist es wohl auch bei uns. Unsere Hand krampft sich um das, was wir haben, und wünscht sich nur, bitte, noch etwas mehr in die Hand zu bekommen. Jemanden hörte ich einmal sagen: Seit seiner Jugend fehlen ihm ständig 10 Euro im Portemonnaie. Ja, aber vielleicht verhilft uns unser Gleichnis zum Umdenken. So dass wir dann begreifen: Reich ist jedermann, der in der Lage ist, anderen etwas abzugeben, und zwar solchen, die dazu wirklich nicht in der Lage sind. 

Unser Gleichnis lenkt uns unsere Sinne darauf, dass wir wahrnehmen: Wir leben in einer Zeit, in der die einen genug und in der so zahllos viele andere nicht genug haben, nicht genug zum Leben, zum Überleben. Und das Gleichnis schaut nur auf dieses Missverhältnis, nicht auf unsere Gesinnung, nicht auf unsre Moral, nicht auf unsere Religiosität, sondern allein darauf, bist du reich oder arm – und es will durchaus nicht Arme aufs Jenseits vertrösten und nicht einmal Reichen die Hölle heiß machen. Es will, dass es heute in unserer Zeit und unserem Leben gerecht zugehe, so, dass nicht die einen viel und die anderen allzu wenig haben. Ich las den aufrüttelnden Aufsatz einer achtjährigen Lydia unter dem von ihr selbstgewählten Titel „Unsere Bettler“. Das ist aufregend formuliert. Es gibt Bettler, aber wir sind nicht von ihnen getrennt und sie sind es nicht von uns. Sie sind unsere Geschwister, sie gehören zu uns. Wir können sie nicht abschütteln. Wir sind mitverantwortlich, dass sie nicht umkommen.

Das Problem ist nicht neu. Der Genfer Reformator Johannes Calvin sagte im 16. Jahrhundert, was im 21. Jahrhundert erst recht aktuell ist: „Wer sich davon ausnehmen wollte, für seine Nächsten zu sorgen, der muss sich verunstalten, und der erklärt, dass er kein Mensch mehr sein will. Denn solange wir menschliche Geschöpfe sind, ist es notwendig so, dass wir unser Gesicht wie in einem Spiegel ansehen, nämlich in der Gestalt dessen, der arm und verachtet ist, der nicht mehr kann und der seufzt unter der Last, und wäre es der Fremdeste in der Welt. Sei es, dass irgendein Schwarzer oder ein Barbare komme, wenn er ein Mensch ist, bringt er einen  deutlichen Spiegel mit sich, in dem wir sehen können, dass er unser Bruder, unsere Schwester, unser Nächster ist.“ „Wir können tausendmal verkünden, die Leidenden täten uns leid, wenn wir ihnen nicht helfen, so gilt dieses Gerede rein gar nichts.“

Vor einem Menschenalter nannte es der Schweizer Flüchtlingspfarrer Paul Vogt eine Gottesfrage, die Frage:  „Wo ist dein Bruder Abel?“ Und weil so vielen Christen diese Frage überhört haben, darum müssten sie nun die  Hände ausstrecken zu den Umgekommenen und sagen: „Vergebt uns Christen unser christusloses Christsein.” 1948 sagte derselbe in einer Predigt: “Wir sind nur zu oft die Kirche des reichen Mannes gewesen und haben Millionen ausgegeben für unsere schönen Kirchengebäude und haben uns geduckt, wenn das Steuerkapital mit dem Kirchenaustritt drohte für den Fall, dass ein zu deutliches Wort von der Kanzel herab gesagt wurde. Wir sind nur zu oft die Kirche des starken Mannes gewesen, der an den Nöten und Sorgen und Ängsten und Leiden des kleinen Mannes, des Flüchtlings, der Witwe, der Waise, des Trinkers vorübergegangen ist. O Gott, lasse die evangelischen Kirchen nicht ohne Eingeständnis der Schuld bleiben!”

Sagen wir nur nicht: heute ist das nicht mehr aktuell. Unser biblisches Gleichnis sagt uns vielmehr: Heute sind wir an der Reihe! Aber was machen nur unsere Kirchen und ihre Christen heute? Treiben sie etwa vieles, was sie ablenkt von der Gottes-Frage an uns, von der uralten und immer neu brennenden Frage: Wo ist dein Bruder Abel? Sind wir nicht damit beschäftigt, Grenzen zu ziehen zwischen Nächsten und Fremden, während wir noch religiöse Phrasen brauchen oder sonst feine Kerle sind? Denken wir an die Flüchtlinge, die übers Mittelmeer zu uns flüchten wollen. Die argen Schleuser sind dabei nicht das Problem. Sondern wegen des Problems gibt es Schleuser. Und die Flüchtlinge sind nur die Spitze des Problems. Denn wie viele können nicht fliehen! Sie sind dem Problem schutzlos ausgesetzt: Hunger und Durst, Vergewaltigungen und Todesgefahr. Sie sind heute in ärgster Not.

Das Bibelwort lässt uns jetzt ernstlich an sie heute denken. Das Bibelwort tut es nicht abstoßend. Es redet ermutigend zu uns: Gott will keinen verloren sein lassen. Es gibt Heil auch für uns. Doch Heil gibt es für uns nicht ohne die Armen, sondern nur mit ihnen, am selben Tisch, im selben Boot, durch denselben Retter. Gottes Erbarmen lässt die Allerärmsten nicht fallen. Darum hilft uns keine Trennung von ihnen. Wir dürfen leben, aber wir leben erst recht, wenn wir an der Seite der Bedürftigen zu finden sind. 



Prof. Dr. Eberhard Busch
Friedland
E-Mail: ebusch@gwdg.de

(zurück zum Seitenanfang)