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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 07.06.2015

Auch ein Seelsorgegespräch
Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Wolfgang Winter

„...kleidete sich in Purpur...und lebte alle Tage herrlich und  in Freuden... und es lag ein Armer vor seiner Tür...“

 

Liebe Gemeinde,

 

Wer diese Sprache und diese Szenerie auf sich wirken läßt, dem geht es vielleicht ähnlich wie mir: ich fühle mich in die Märchenwelt meiner Kindheit versetzt, - in die Welt der Kleinen, die doch einmal groß und wichtig werden wollen, - in die Welt der Schwachen, die doch einmal stark und mächtig werden wollen, - in die Welt der Dummlinge und Aschenputtel, die am Ende doch herrlich und in Freuden leben werden, während die Bösen, die Hartherzigen und Egoisten schwer bestraft werden.

 

In der Tat haben  Exegeten unserer Gleichniserzählung mehrere alte Märchen aufgefunden, die eine ähnlich schroffe Gegenüberstellung von arm und reich, von gut und böse enthalten und an die unsere Geschichte offenbar anknüpft. So handelt etwa ein altägyptisches Märchen von der Fahrt eines Königssohnes in die Unterwelt. Dorthin hat er zwei Menschen begleitet, einen auf Erden Armen und einen auf Erden Reichen. Nun aber sieht er, wie der Arme mit einem reichen Gewand bekleidet wird und ganz nahe bei Osiris stehen darf  -  dem Richtergott über böse und gute Taten. Der Reiche dagegen wird auf grausame Weise gequält, indem ihm die sich drehende Angel der Tür zur Unterwelt ins Auge gestoßen wird.

 

Die Märchenwelt ist eine dualistische Welt. Im Jenseits wird derjenige  reich und geehrt werden, der früher arm und ausgestoßen war. Und wer früher reich und hartherzig war, wird dort ausgestoßen und bestraft werden.

 

Vor allem auf Kinder üben auch heute noch Märchen eine eigenartige Faszination aus. Woran liegt das? Der große amerikanische Kinderanalytiker Bruno Bettelheim meinte: „Kinder brauchen Märchen“  -  so der Titel seines berühmt gewordenen Buches  -  ,weil sie der inneren, oft so widersprüchlichen und ängstigenden Welt Gestalt geben: der Sehnsucht nach Liebe ebenso wie den Verlassenheitsängsten, den Größenphantasien ebenso wie dem Neid, der Eifersucht, dem Rachedurst. Aber da die Märchen fast immer gut ausgehen, können sich die Kinder mit den Heldinnen und Helden identifizieren, mit dem kleinen Dummling oder dem armen  Aschenputtel, und so Zuversicht für das eigene Leben schöpfen. Das soll dann möglichst ein Leben „herrlich und in Freuden“ sein, aus dem  endlich alles Böse, Störende (böse Geschwister und Stiefmütter beispielsweise) ausgeschlossen ist.

 

Ganz ähnlich geht es zunächst auch in unserer Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus zu. Der Reiche wird im Jenseits bestraft für seinen Geiz - nicht  für seinen Reichtum, sondern für seine Weigerung, den Armen daran teilhaben zu lassen. Und der Arme wiederum darf in Abrahams Schoß ruhen. Das griechische Wort „kolpos“ läßt sich auch übersetzen: der Arme ruht nun - gemeint ist: bei Tisch - an der Brust Abrahams, hat also einen Ehrenplatz an der Tafel des Jenseits inne. Dazu gehört auch, dass er  einen Namen bekommt: Lazarus. Der Reiche dagegen geht auch in dieser Hinsicht leer aus

Auch hier getrennte Welten: die Welt der nur Guten  -  die Welt der nur Bösen. Dazwischen eine unüberbrückbare Kluft, die Beziehungen hinüber und herüber verhindert.

 

 

                                                    II

 

Die Geschichte könnte hier enden. Aber im Unterschied zu den alten Märchen nimmt unsere Geschichte einen überraschenden Fortgang. Es kommt nämlich -  entgegen der anfänglichen Tendenz zum Abbruch der Beziehungen  -  doch noch zu einem Gespräch. Das hatte sich schon angekündigt in der Bitte des gequälten Reichen an Abraham, ihm Lazarus mit ein wenig Wasser hinüber zu schicken. Abraham hatte abgelehnt. Aber nun geht es weiter. Der reiche und nun arme Mann gibt sich mit der Ablehnung nicht zufrieden. Er kämpft, statt zu resignieren. Zweimal noch versucht er, sozusagen an Abraham heranzukommen, ihm neue Gründe zu nennen, die die Kluft überbrücken sollen. Ob Lazarus nicht wenigstens zu den fünf Brüdern gehen dürfe, um sie zu warnen, damit sie nicht ebenfalls an diesen Ort der Qualen geraten? Oder ob nicht sogar einer von den Toten ihnen erscheinen könne? Dann würden sie doch bestimmt umkehren!

 

Wenn wir Zuhörerinnen und Zuhörer diese Worte auf uns wirken lassen, dürfte uns der reiche Mann zugänglicher als zu Anfang der Geschichte werden. Wir bekommen Anteil an seiner Person, an seiner inneren Welt, z.B. an seiner Angst um das Schicksal seiner Brüder und seinem dringenden Wunsch, etwas für sie zu tun. Jetzt ist er nicht mehr der nur Böse, der unempfindlich ist für fremdes Leid. Aber wir sehen auch, wie illusionär seine Vorstellungen von Hilfe für die Brüder sind.

 

 Abraham konfrontiert ihn zweimal sehr hart mit der Realität: Sinneswandel, Buße, Umkehr kommen eben nicht  von außen, etwa durch ein Mirakel oder durch Angst vor Strafe zustande. Er verweist dagegen auf „Mose und die Propheten“. Im Lukasevangelium ist damit immer die innere und äußere Zuwendung zu den Armen gemeint. „Die Hungrigen füllt er mit Gütern und die Reichen läßt er leer...“ (Lk 2, 53)  -  dies Thema steht gewichtig schon ganz am Anfang des Evangeliums.

 

 Buße erfordert also einen eigenen seelischen Aufwand, eigene seelische Arbeit: Zuerst eine  selbstkritische Wahrnehmung der eigenen Selbstbezogenheit und der Etablierung einer Kluft zum Anderen. Dann allerdings kann etwas entstehen, was dem reichen Mann bisher fremd war: ein Mitgefühl, ein Mtleiden mit dem Armen. Mitgefühl, Empathie mit einem anderen Menschen kann man verstehen als  ein Geschehen, in dem die Grenzen zwischen Menschen insofern aufgehoben werden, als jemand sich in die Lage eines anderen hineinversetzen kann. Die Armut eines anderen ist dann etwas, was auch mich betrifft und zum Mitfühlen, Mitdenken und Mithandeln ruft. In unserem Wort „Almosen geben“ steckt noch der ursprüngliche doppelte Sinn des griechischen Wortes „eleemosyne“:  Mitgefühl mit jemandem haben und dies Mitgefühl durch eine Gabe an den Bedürftigen ausdrücken. Gerade im Lukasevangelium gilt solches  Almosen geben als zentrales Merkmal christlichen Lebens.

 

Aber noch eine weitere Konfrontation mutet Abraham dem reichen Mann zu: die Zeit des Lebens auf der Erde ist begrenzt. Nur in dieser Zeitspanne ist Umkehr möglich. Es gibt ein „zu spät“. Es gibt endgültig verpaßte Gelegenheiten für Mitgefühl mit dem armen Nächsten und für tätige Nächstenliebe. Auch das ist eine schmerzliche Erkenntnis für den reichen Mann.

 

 

                                                   III

 

Wenn wir Zuhörenden das Gespräch zum Schluß noch einmal als ganzes auf uns wirken lassen, sind uns beide Gesprächspartner vielleicht ein wenig näher gekommen. Der reiche Mann ist nicht mehr nur ein abstrakter Typus des Bösen, sondern erscheint uns menschlicher, einfühlbarer in seinem Kämpfen, Sorgen und Hoffen. Und Abraham erscheint uns trotz all seiner realistischen Nüchternheit, ja Härte doch auch zugänglich für die Anliegen des reichen Mannes. Auf dessen Fragen läßt er sich ein und erhält so eine Beziehung aufrecht, die wegen der Kluft zwischen Himmel und Hölle doch „von Rechts wegen“  ausgeschlossen sein müßte. Ja, er nennt den reichen Mann sogar „teknon“, mein Kind, mein Sohn.  Ob Abraham  -  unausgesprochen -  um diesen Sohn trauert?

 

 Dies so konfrontative und zugleich so zugewandte Gespräch Abrahams mit dem reichen Mann ist nicht nur ein Appell an die damaligen Reichen, wie sie Lukas  vor Augen standen. Es ist auch ein Gespräch  mit uns heutigen reichen Leuten. Dafür spricht, wie wir inzwischen gemerkt haben, unsere eigene innere Beteiligung an diesem Gespräch. Auch wir Zuhörenden haben ja in seinem Verlauf teilgenommen an der Annäherung der beiden Gesprächspartner. Auch uns ist der Reiche zugänglicher geworden ebenso wie Abrahams Haltung und Gesprächsführung. Die anfängliche dualistisch-einfache Märchenwelt mit ihren scheinbar klaren Abtrennungen und Klüften ist einer Beziehungsdynamik gewichen, die zwar weniger geordnet, dafür aber lebendiger und auch riskanter ist. In diese Welt der Beziehungen zu anderen kommen wir allerdings nur hinein, wenn wir unsere Selbstbezogenheit aufgeben und lernen, andere Menschen an uns herankommen zu lassen und uns in sie hineinzuversetzen. Wie dieser Veränderungsprozeß vor sich gehen kann, auch das haben wir in dem Gespräch miterlebt.

 

 Ich meine, man kann hier von einem Seelsorgegespräch Abrahams auch mit uns sprechen. Seelsorge meint ja: da sieht jemand unsere innere und äußere Situation, nimmt Anteil an ihr, begleitet uns durch unsere Konflikte, Vermeidungsstrategien und illusionären Lösungen hindurch und läßt uns endlich auch wieder los in die Freiheit selbständiger Entscheidungen.

Dazu, insbesondere zur Zuwendung zu den Armen, ist jeder und jede von uns heute herausgefordert. Gottes Geist, der Geist des Mitgefühls, sei dabei mit uns allen.

Amen



Pastor i.R. Wolfgang Winter
Göttingen
E-Mail: wolfgang-winter@gmx.de

Bemerkung:
Literatur
EKK III/3, 2001, GPM 2002/2003, Predigtstudien 2014/2015/2
Bruno Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, Stuttgart 1977



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