Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 07.06.2015

Predigt zu Lukas 16:19-31, verfasst von Peter Fischer Møller

Wir haben gerade unser jährliches Seminar für Pastoren im Sprengel Roskilde abgehalten. Gut die Hälfte der Pastoren des Sprengels, insgesamt 150, waren zwei Tage versammelt und hörten gute Vorträge und nahmen an spannenden theologischen und kirchlichen Debatten teil – danach haben wir gefeiert. Wir waren vielleicht nicht in Purpur gekleidet, aber doch in ganz verschiedenem und vornehmem Leinen. Wir haben gut gegessen mit herrlichen Weinen, haben getanzt zu alter und moderner Musik bis in den hellen Morgen.

Und nun nach einer Woche beschäftigen wir uns mit der Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus. Starke Kost für schwache Seelen. Eine Geschichte vom Sehen und vom Übersehen, von Ungerechtigkeit und Konsequenz – und von einem Evangelium,, das glücklicherweise weiter und tiefer reicht, als wir begreifen.

Wir haben im letzten halben Jahr Weihnachten und Ostern und Pfingsten gefeiert. Wir waren Zuhörer und Zuschauer. Wir sind Jesus gefolgt im Heiligen Land. Wir haben seine ganze Geschichte gehört von der Krippe bis zum Kreuz. Wir haben die Scham der Jünger darüber erlebt, dass sie ihn verlassen hatten, und ihre Trauer über den Verlust und ihr Wundern über das Geschehen am Ostermorgen mit dem leeren Grab und über die Osterbotschaft. Wir haben seine Fußabdrücke auf dem Ölberg gesehen, als er gen Himmel fuhr. Und wir haben gehört, wie er danach in einer neuen Weise min die Welt kam, wie der Heilige Geist über die Jünger kam, so dass sie Mut und Kräfte bekamen, die Inspiration von dem, was Jesus gesagt und getan hatte, hinaus in die Welt zu tragen. Und das taten sie. Die Geschichte ist von Mund zu Ohr gegangen, so dass sie auch zu uns hier in den Göttinger Predigten gelangt ist.

Wir haben ein halbes Jahr lang von Advent bis Trinitatis auf der Schulbank gesessen und gelesen und zugehört. Nun wechselt das Bild. Nun richtet Jesus die Sommersonne wie einen Projektor auf uns. Von heute an und bis zum kommenden Advent, wo wir die tage bis Weihnachten zählen, stehen wir und unser Leben mit einander im Mittelpunkt. Ist das Christentum nur ein Teil unserer Tradition? Sind die Kirchen nur schöne Kulturdenkmäler? Ist die Bibel nur ein Buch, das im Regal lieben bleiben darf und Staub sammelt? Oder ist immer noch Leben in diesem Unternehmen? Hat die Geschichte Jesu Eindruck auf uns gemacht? Provozieren uns seiner Erzählungen noch immer? Bedeutet es etwas für uns, dass Jesus starb und von den Toten auferstand? Bläst sein Geist noch immer Leben in uns ein? Diese Fragen werden uns in den Kirchen in der ganzen Welt in den nächsten sechs Monaten durch die Trinitatiszeit verfolgen. Die Farbe der Trinitatiszeit ist grün. Grün ist die Farbe der Hoffnung, denn Gott lebt in der Hoffnung, dass das Evangelium uns auf den Kleib rückt, dass es die Liebe in unseren Herzen entflammen und uns Mut und Kräfte verleihen kann, etwas zu unternehmen.

Grün ist auch die Farbe des Wachstums. Der Sinn ist der, dass die Geschichten hier uns dazu bringen sollen, als Menschen zu wachsen, zu reifen und Frucht zu tragen, zum Wohl und zur Freude für andere.

Deshalb wird heute auch nichts unter den Teppich gekehrt. Die alttestamentliche Lesung (Jes. 58,5-12) war überdeutlich: Was von uns Menschen verlangt wird, ist soziale Anständigkeit. Es geht nicht um Fasten und andere Frömmigkeitsübungen, sondern es geht darum gegen Bosheit und Unterdrückung zu kämpfen, sein Brot mit dem Hungrigen zu teilen und dem Obdachlosen eine Herberge zu geben. Leicht zu verstehen, aber schwer zu leben.

Und dazu haben wir nun die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus. Der reiche Mann hat mehr als reichlich, er spiegelt sich in den bewundernden Blicken der anderen. Dem Armen fehlt alles. Keiner sieht ihn außer den Hunden, die kommen, um seine Wunden zu lecken.

So waren die Güter dieser Welt so ungerecht zur Zeit Jesu verteilt. Wie sieht es heute aus? Es gibt leider immer noch Millionen von Menschen, die vor die Hunde gehen, während wir anderen mehr als genug zum Leben haben. Und zudem stehen wir jetzt vor einer von Menschen geschaffenen globalen Erderwärmung, die in erster Linie besonders die Ärmsten der Welt trifft. Die Ungerechtigkeit erhält in der Erzählung Jesu noch eine Wendung. Denn zu der abgrundtiefen Ungerechtigkeit kommt dies, dass der reiche Mann den Armen überhaupt nicht bemerkt. Wie konnte er nur so blind sein? Fragen wir, während wir zugleich in unserer morgendlichen Zeitung schnell die Notiz überblättern, dass noch ein Schiff im Mittelmeer mit Boots-Flüchtlingen im Mittelmeer untergegangen ist und noch einige hundert unglückliche Menschen ertrunken sind – um dann zur Seite mit Jubiläen und runden Geburtstagen weiterzublättern.

Da ist viel, was wir nur allzu gut wiedererkennen.

Aber mitten in all dem geschieht etwas Überraschendes. In unserer Welt sind es die Einflussreichen, die Trendsetter und Provokateure, die einen Namen haben. Von ihnen kann man in der Zeitung lesen, von ihnen werden Nekrologe geschrieben, wenn sie sterben. Aber wenn Jesus Geschichten erzählt, werden andere Leute hervorgehoben, andere, deren Namen und Schicksale in Erinnerung bleiben. In der Geschichte hier ist der reiche Mann ganz anonym, aber der Arme hat einen Namen. Lazarus. Es mag sein, dass er von Menschen übersehen ist, aber er ist von Gott gesehen, und jetzt von uns. Das war der erste Teil der Geschichte.

Im zweiten Teil zeigt uns Jesus die umgekehrte Welt. Nun nach dem Tode sind die Rollen vertauscht. Der arme Lazarus, der im Straßenstaub starb, erhält den Ehrenplatz bei Stammvater Abraham. Während der reiche Mann am eigenen L:aib fühlen muss, wofür er keinen Blick hatte, als er lebte: Was es heißt, Durst und Mangel zu leiden.

Ganz gerecht, kann man sagen, auch wenn es recht schockierend auf uns wirkt, die wir uns wohl am ehesten im reichen Mann wiederkennen können.

Dann kann er es selbst am eigenen Leib spüren, könnte man denken. Aber so leicht ist es offenbar nicht. Auch nach dem Tode denkt der anonyme reiche Mann noch immer nur an sich selbst und ist seiner eigenen Familie am nächsten. Das Höchste, wozu er sich aufschwingen kann, ist an Lazarus als eine Art Lakai zu denken, denn er in die Stadt nach Wasser schicken kann. Er ist nicht viel klüger geworden. Aber wir sollten gerne klüger werden. Ja mehr als das.

Jesus gibt uns mit der Erzählung hier einen ordentlichen Tritt in den Hintern. Er sagt: Öffnet die Augen! So sieht die Welt aus. Da sind viele, denen es ganz schlecht geht, da sind große Ungerechtigkeiten, die wir ändern müssen. Jesus zeigt uns einen der Benachteiligten und Übersehen dieser Welt und sagt: Hier habt ihr Lazarus. Der Name Lazarus bedeutet: „Gott hilft“, und die Geschichte hier zeigt, wie Gott einen Blick für ihn hat und ihn an der Hand nimmt. Aber im Alltag, sagt Jesus, will Gott mit euren Händen helfen. Macht euch an die Arbeit!

Es kann schwer sein, den Optimismus und den Glauben an eine bessere Welt zu bewahren. Es ist viel leichter zu sagen: Was kann ich kleiner Mensch doch angesichts aller dieser Krankheiten und Unglücke und Kriege und Ungerechtigkeiten tun, die täglich auf dem Fernsehschirm auf uns einströmen?

Aber wenn wir hier in der Kirche versammelt sind, dann eben deshalb, um nicht in solche Mutlosigkeit und solchen Zynismus zu versinken, um nicht einfach die Dinge laufen zu lassen und uns selbst und unsere eigenen Leute in Sicherheit zu bringen. Um daran erinnert zu werden, dass das Leben nicht unser Eigentum ist, sondern Gott gehört, dass Gott nicht nur uns geschaffen hat, sondern jeden einzelnen Menschen auf der Erde, dass jeder einzelne Mensch ihm gehört, unersetzbar und hoch geliebt. Der reiche Mann dachte zunächst nur an sich selbst und danach etwas an seine fleischlichen Brüder. Wenn wir uns zum Gottesdienst versammeln, wird uns gesagt, dass wir alle Glieder ein und derselben Familie sind, dass wir alle einander Brüder und Schwerstern sind, dass wir   Verantwortung tragen für das Leben und wohl der anderen.

Und da ist eine letzte wichtige Pointe, die wir mit bedenken müssen. Die Erzählung Jesu ist ja so etwas wie eine Gruselgeschichte für die unter uns, denen es schwer fällt, ernsthaft mit denen zu teilen, die zu wenig haben. Was, wenn wir dem reichen Mann mehr gleich en als gut ist? Was, wenn wir uns etwas zu sehr in seiner Selbstgenügsamkeit und fehlenden Aufmerksamkeit wiederkennen können? Sind wir dann verloren? Enden wir als durstige Arme im Reich des Todes? So erschreckte man ja früher die Menschen mir Drohungen, wie es ihnen in der Ewigkeit gehen würde. Wir können das in den Fresken in unseren Kirchen sehen. Aber ich bin davon überzeugt, dass es Jesus nicht um solche selbstbezogenen Sorgen geht, auch will er nicht die Unterdrückten und Notleidenden dieser Welt durch Wechsel auf die Ewigkeit beruhigen. Nein, er erzählt diese Geschichte nicht, um uns zu erschrecken oder uns über uns selbst freuen zu lassen, sondern um unsere Augen für die anderen zu öffnen.

Tatsächlich gab er schließlich sein eigenes Leben, um all die von sich selbst eingenommenen Jünger und uns anderen zu zeigen, dass Gott wirklich der unbegreiflich liebende Vater ist, von denen er in seinen Gleichnissen erzählt hatte, dass wir von Gott geliebt sind – trotz allem – jeder einzelne von uns. Und dass wir uns mit der frohen Botschaft im Rücken keine Sorgen darum machen müssen, wie wir etwas werden in den Augen der anderen oder Gottes, sondern unsere Aufmerksamkeit auf etwas viel Spannenderes und Perspektivreicheres richten können, nämlich das Schöpfungswerk, das Gott unserer Verantwortung anvertraut hat, und die Menschen, mit denen wir zusammenleben sollen.

Jesus will mit der Geschichte vom reichen Mann und Lazarus unser Engagement anzünden. Er will uns aus dem Sofa locken. Er erwartet etwas von uns.

Gott lässt seine Sommersonne über uns scheinen, der Projektor ist auf uns gerichtet und auf Lazarus. Er ist da draußen, und er braucht deine Hilfe! Es geht nur darum, sich aufzumachen. Amen.



Bischof Peter Fischer Møller
Roskilde
E-Mail: pfm@km.dk

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