Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2015

Predigt zu Lukas 14:16-24 , verfasst von Poul Joachim Stender

Da ist mehr

Vor einem Jahr sah ich in Kalifornien ein Tuschbild, das mir nicht aus dem Sinn kommt. Es war ein sehr schönes Bild einer Landschaft mit Bäumen, Seen und einen einzelnen kleinen Haus. Da waren etwas Unergründliches und eine Tiefe in diesem Bild. Das faszinierte mich. Der Mann, dem das Bild gehörte, sagte zu mir: „Da ist mehr“. Dann nahm er das Bild von der Wand. Was ich für die beiden Seitenrahmen des Bildes hielt, erwies sich als zwei Zylinder. Der Mann begann das Bild langsam an beiden Seiten herzuzuziehen, und langsam wuchs das kleine Bild bis auf zehn Meter Länge und konnte fast nicht mehr in der Stube sein, in der wir uns befanden. Eine Riesenlandschaft mit Bergen, Städten, Seen, Menschen breitete sich vor unseren Augen aus. Der Besitzer des Bildes war ein Amerikaner dänischer Abstammung, und seine Bemerkung: „Da ist mehr“ bleibt mir unvergessen. Da sind Menschen, denen man begegnet. Man findet sie kleinlich. Aber vielleicht sollte man zu sich selbst sagen: „Da ist mehr“. Wenn man sie ganz entfalten könnte, würden einige wunderbare Seiten ans Licht kommen. Alle diese Tage im Leben, die sich monoton wiederholen. Man tut oft dasselbe an jedem einzigen Tage. Der eine Tag folgt dem anderen. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass man einhielte und sagte: „Da ist mehr“. Das Leben könnte wie das Bild des dänischen Amerikaners an der Wand hängen. Man glaubt, man sieht alles. Und dann ist da trotzdem viel mehr, wenn man einhält und beginnt zu suchen. Ich bekam vor einiger Zeit ein Smartphone. Ich kann von ihm aus telefonieren, Emails verschicken, googeln, SMS verschicken, Wegbeschreibungen erhalten und vieles mehr. Aber ich habe das Gefühl, dass ich nur 40 bis 50 Prozent von dem benutze, was es kann. Da ist mehr – wenn ich mich nur darum bemühe. Dasselbe ist beim Computer der Fall. Die Kirche hat einen Webmaster. Er kommt manchmal und bringt etwas an meinem PC in Ordnung. Er ist IT-Mann und holt gleich etwas aus dem Computer heraus, von dessen Existenz ich kaum eine Ahnung hatte. Oder anders gesagt. Da ist mehr in dem Computer als das, was ich benutze, und ich könnte wirklich viel Freude daran haben, wenn ich versuchen würde herauszufinden, wozu alles der Computer auch zu gebrauchen ist.

 

Nein danke zum Fest?

Als Gott vor 2000 Jahren am Heiligen Abend Mensch wurde in Jesus Christus, war dies wie mit dem Bild, das ich bei dem dänischen Amerikaner sah und das man ausziehen konnte. Etwas wie das Smartphone und der Computer, die ich überhaupt nicht voll nutzen konnte, etwas wie die Menschen, denen ich begegne und die ich nicht voll in den Blick bekomme, etwas wie das Leben, das ich lebe und von dem ich nur einen Bruchteil merke. Weil ich ihm nicht gut genug nachspüre. Da ist mehr. Viel mehr. Was unternahm Jesus, als er sich in Israel offenbarte? Er entfaltete unser Leben und zeigte uns, dass da viel mehr Inhalt, Freude, Sinn ist, als wir uns vorstellen. Er breitete die Welt aus und machte uns darauf aufmerksam, dass die Welt nicht nur die Welt ist, die wir mit unseren fünf Sinnen registrieren. Da ist mehr. Nämlich die Ewigkeit, aus der er kam und die uns im Glauben für uns entfaltet und die schon jetzt dazu beitragen kann, unser Leben zu erweitern. Im heutigen Gleichnis wird zu einem großen Fest geladen. Aber die Eingeladenen, sagen nein danke. Und was sind das für Entschuldigungen, die sie gebrauchen! Einer hat einen Acker gekauft, einer hat Ochsen gekauft, einer hat geheiratet. Es ist nichts falsch daran, dass ein Landwirt auf seine Sachen aufpasst, und selbstverständlich soll der Kaufmann seine Waren besichtigen, und Schande über den Bräutigam, der seine Braut nicht wichtig nimmt. Aber da ist mehr. Man ist nicht nur Landwirt oder Kaufmann oder Ehepartner oder Vater oder Mutter. Man ist zu allererst ein Mensch, der zu dem Fest eingeladen ist, das das Leben sein soll. Und wenn man sein Leben darauf reduziert, nur die Arbeit zu sein, die man hat, oder wenn wir vergessen, dass wir anderes und mehr sind als die verschiedenen Rollen und Tätigkeiten, die unseren Alltag ausmachen, dann werden wir zu Arbeitstieren und Missgeburten, die sich selbst genug sind.

 

Um Antwort wird gebeten

SU hat im Dänischen zwei Bedeutungen. Es bedeutet entweder staatliche Ausbildungsunterstützung (das deutsche Bafög) oder auch Um Antwort wird gebeten (uAwg). An diesem Sonntag gilt die letztere Bedeutung. Es liegt nun an uns, die darauf antworten sollen, ob wir an dem Fest teilnehmen wollen, zu dem Gott uns einlädt. Um Antwort wird gebeten! Da ist nämlich eine andere Aussage als die Aussage: „Da ist mehr“. Da ist die Aussage: „Es ist zu spät“. Eines Tages ist es zu spät zu feiern und die Freude zu teilen, die Gott mit uns teilen will. Deshalb: Sind wir bereit und wollen wir sehen, dass es mehr gibt in unserer Welt als uns selbst, unsere Tätigkeiten, unsere engen Vorstellungen von diesem und jenem? Um Antwort wird gebeten. Sind wir bereit, uns der Verschwendung, Generosität, Großzügigkeit, dem Überschwang, dem Überschuss, dem Großmut zu öffnen, für die Jesus steht. Um Antwort wird gebeten. Wagen wir es, einander, das Leben und uns selbst zu entfalten? Oder wollen wir uns mit der kurzsichtigen Auffassung vom Menschen begnügen, die unsere Zeit prägt, wo alles von Ökonomie und Wachstum handelt? Wollen wir „mehr“ als das, was wir gerade jetzt denken und tun, oder haben   wir eine Entschuldigung parat, dass das nicht möglich ist, weil wir voll mit Arbeit beschäftigt sind oder mit unseren Kindern oder dem Garten oder all dem, mit dem wir uns entschuldigen, wenn wir anderen erklären sollen, dass wir unser Leben auf ein geschlossenes Konto gesetzt haben. Ich sagen bestimmt nicht Amen heute nach dieser Predigt. Ich sage zu mir selbst, Euch: Um Antwort wird gebeten!



Pastor Poul Joachim Stender
DK-4060 Kirke Såby
E-Mail: pjs(at)km.dk

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