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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2015

Predigt zu Lukas 14:16-24, verfasst von Dietz Lange

Liebe Gemeinde! Stellen Sie sich vor, sie würden an einem Samstagabend zu Hause ein großes Fest veranstalten. Sie haben sich große Mühe gegeben, die Wohnung schön herzurichten und ein besonders gutes Essen vorzubereiten, sogar mit extra Hilfe aus der Verwandtschaft, damit Sie auch alles rechtzeitig schaffen. Eingeladen haben Sie lauter gute Freunde und Freundinnen, ganz frühzeitig. Sie haben alle kurz vorher nochmal telefonisch daran erinnert. Und was bekamen Sie da zu hören? „Wir haben uns mit einem Makler verabredet, weil wir ein Häuschen kaufen wollen, da müssen wir hin. Bitte entschuldige uns.“ Beim zweiten Anruf: „Ich habe gerade im Internet ein Angebot für einen Gebrauchtwagen gesehen, den muss ich mir ansehen, bitte entschuldige mich.“ Und der dritte: „Ich habe gerade geheiratet, deshalb kann ich nicht kommen.“ Verabredung mit dem Makler oder mit dem Autoverkäufer ausgerechnet am Samstagabend? Ziemlich unwahrscheinlich. Und der dritte mit seiner Hochzeit – das hat der doch längst vorher gewusst! Warum hat er als guter Freund denn nicht gefragt, ob er seine Frau mitbringen darf? Das wäre ihm doch bestimmt nicht abgeschlagen worden. Also lauter stinkfaule Ausreden. Wie würden Sie da reagieren? Wütend wahrscheinlich, und mit Recht.

Nun erzählt Jesus die Geschichte freilich nicht so, dass wir uns wohlig aalen können im Gefühl der Einigkeit mit der Wut des Gastgebers. In der Geschichte ist Gott der Gastgeber, und wir sind die unverschämten Gäste. Wie bitte? Wir sind doch getauft und konfirmiert, gehören seit Jahrzehnten zur Kirche und haben immer brav unsere Kirchensteuer gezahlt, besuchen sogar den Dienstagabendkreis oder teilen den Gemeindebrief aus. Wenn Gott uns da außer der Reihe auffordert, uns mit anderen zusammen besonders intensiv auf ihn zu besinnen und über die Orientierung unseres Lebens neu nachzudenken, und wir gerade keine Zeit haben, dann kann das doch so schlimm nicht sein.

Liebe Gemeinde, das ist genau die Haltung, die Jesus mit seinem Gleichnis im Sinn hat. Die unverschämten Gäste, das sind die Menschen, die es für ganz selbstverständlich halten, für alle Zeit Gottes Freunde zu sein, ganz gleich, wie sie sich verhalten. Wir sind die Menschen, die meinen es sich leisten zu können, Gottes Großzügigkeit auch mal richtig dreist auszunutzen. Wir merken nicht einmal, wie dreist wir sind, wenn wir unsere Tage so einrichten, dass Gott darin immer seltener vorkommt.

Nun kann man versuchen, sich aus der Schlinge zu ziehen mit Hilfe der Auslegungskunst. Man könnte nämlich zeigen, dass das im Gleichnis ursprünglich ganz anders gemeint war. Die zuerst Eingeladenen, das sind die Juden, die von den Propheten im Alten Testament angesprochen wurden und nicht auf sie gehört haben, und wohl auch die besonders Frommen zu Jesu eigener Zeit, die ihn abgewiesen haben. So hat sich Jesus denn an die „verlorenen Schafe Israels“ gewandt, die Krüppel, Lahmen und Blinden, also an die Ausgestoßenen und Verachteten der damaligen jüdischen Gesellschaft. Von denen folgen offenbar sehr viele der Einladung. Und zum Schluss werden die Völker der ganzen Welt eingeladen, die Heiden, wie man früher sagte. Das ist die Weltkirche, evangelisch, katholisch oder was immer. Da kommen doch auch wir bequem mit unter. Also wo ist das Problem?

Nun hat allerdings Jesus selbst noch nicht von einer Heidenmission geredet; das hat erst Lukas für die Zeit nach Jesu Auferstehung hinzugefügt. Erst recht hat Jesus nicht „die Juden“ für ausgeschlossen aus Gottes Gnade erklärt. Das hat sich erst die spätere christliche Judenfeindschaft ausgedacht, mit verheerenden Folgen in christlichen Judenpogromen bis in die Neuzeit hinein und schließlich sogar bis zum Holocaust. Es geht Jesus nicht um die Verurteilung einer bestimmten Volksgruppe. Vielmehr will er vor einer Routine-Frömmigkeit warnen, die im Ernstfall den egoistischen eigenen Interessen den Vorrang gibt vor dem, was Gott von uns erwartet. Und das macht er ganz dringend.

Das wird an drei Stellen in dem Gleichnis besonders deutlich. Da heißt es bei der ersten Einladung: „Kommt, denn es ist schon alles bereit!“ Das bedeutet zunächst ganz einfach: Lasst das Essen nicht kalt werden! Dann aber im tieferen Sinn: Wenn Gott ruft, zum Gebet oder auch zu einer ganz bestimmten Aufgabe für einen anderen Menschen, dann hat alles andere zurückzustehen. Das kann man nicht aufschieben. Genauso bei der zweiten Einladung, wo Gott seinem Boten, also Jesus, den Auftrag gibt, „schnell“ auf den Straßen der Stadt Leute anzusprechen. Die Entscheidung für oder gegen Gott aufzuschieben hieße, ihn nicht ernst zu nehmen. Und schließlich bei der dritten Einladung heißt es: „Nötige sie hereinzukommen.“

Diese letzte Stelle hat in der Geschichte der Kirche freilich verhängnisvolle Folgen gehabt, von denen Sie vielleicht auch schon gehört haben. Deshalb müssen wir dabei einen Augenblick verweilen. Man kann nämlich auch so übersetzen: “Zwinge sie hereinzukommen.“ Kein Geringerer als der große Kirchenvater Augustin hat daraus den Schluss gezogen, es sei in Ordnung, eine große Gruppe von so genannten Ketzern seiner Zeit mit Gewalt in die katholische Kirche zurück zu zwingen. Die Schwertmission im Mittelalter, d. h. die Tötung von Menschen, die nicht bereit waren, zum Christentum überzutreten, die Folter von Ketzern und vieles andere hat darauf aufgebaut. Und bis heute gibt es Volksmissionare und Fernsehprediger, die durch raffiniert inszenierten seelischen Druck, ja geradezu durch Gehirnwäsche Menschen zu zwingen versuchen, sich für einen christlichen Fanatismus zur Verfügung zu stellen.

All das hat Jesus mit Sicherheit nicht gemeint. Er hat an unsere freie Gewissensentscheidung appelliert, niemals Gewalt angedroht oder eine schwüle und beklemmende Atmosphäre verbreitet. Freilich hat er sehr wohl auf den tiefen Ernst eines Lebens vor Gott aufmerksam gemacht. Christlicher Glaube kann sich nicht selbstzufrieden in irgendeiner Form von Routine zurücklehnen und Gott einen guten Mann sein lassen. Vielmehr geht es da ums Ganze. Es geht um rückhaltloses Vertrauen zu Gott auch und gerade in schwerer Zeit. Und es geht darum, bedingungslos zu folgen, wenn wir merken, dass Gott uns durch die Vermittlung eines Menschen eine ganz bestimmte Aufgabe im Leben zumutet.

Gott ruft uns aber nicht nur als Einzelkämpfer, sondern er ruft uns immer auch in die Gemeinschaft der Christen. Das Gleichnis, über das wir heute nachdenken, heißt das Gleichnis vom großen Abendmahl. Da denken wir natürlich gleich an die Abendmahlsfeier in der Kirche. Die gehört sicher dazu, als besonderer Ausdruck unserer Gemeinschaft im Glauben. Aber die Sache wäre missverstanden, wenn wir das Gleichnis bloß als Aufruf zu treuem Gottesdienstbesuch verstehen würden. Da wären wir schnell wieder bei der Routine-Frömmigkeit, die Jesus so hart verurteilt hat. Jesus selbst hat bei seinem Gleichnis eher an die Mahlzeiten gedacht, die er mit den Zöllnern und Sündern, mit den Armen, Benachteiligten und Verachteten gehalten hat. Heute sind das etwa pflegebedürftige oder auch demente Menschen in unserer Umgebung, das schwarze Schaf in der Familie, einsame Bekannte, die nicht mehr aus dem Haus können, aber sicher auch Katastrophenopfer weit weg von hier, die auf Spenden von uns angewiesen sind, auch wenn das vielleicht nur ganz kleine, aber dafür viele Spenden sind.

Wie ernst es Jesus mit alledem ist, zeigt am härtesten der Schluss. Da sagt er nämlich: Diejenigen, die trotz dringender Aufforderung meiner Einladung nicht gefolgt sind, sondern sich mit Ausreden davongestohlen haben, die werden mein Gastmahl nicht schmecken. Das bedeutet nicht weniger, als dass Gott solche Menschen verstößt. Davon reden wir nicht gern, selbst in Predigten nicht. Denn es passt so wenig zu unserem Bild vom „lieben“ Gott. Aber das ist ein Bild, das wir uns zurechtgemacht haben nach unserem Geschmack, ein ziemlich kindisches Bild außerdem. Gott fordert uns vielmehr im Ernst heraus, jeden Tag neu. Erst vor dem Hintergrund dieses Ernstes begreifen wir, was die Einladung in seine Nähe wirklich wert ist. Und dann ist es tatsächlich ein Fest, das wir mit ihm feiern, mitten in unserem oft so gar nicht festlichen Leben. Das ist die heimliche Pointe hinter dem unheimlichen Schluss des Gleichnisses. Und die ist wahrhaftig Anlass zur Freude.        Amen.



Prof. Dr. Dietz Lange
Göttingen
E-Mail: dietzclange@online.de

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