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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2015

Eingeladen zum Bankett - Eingeladen zum Reich Gottes
Predigt zu Lukas 14:(12-14a).16-24, verfasst von Thomas Bautz

Liebe Gemeinde!

Wären die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, oder der Bundespräsident, Herr Gauck, zu einem Staatsbankett in Russland bei Präsident Putin oder zu einem Staatsbankett in die USA bei Präsident Obama oder in der VR-China bei Staatspräsident Xi Jinping eingeladen, müssten sie schon sehr triftige Gründe haben, um - womöglich noch kurzfristig - abzusagen. Selbst wenn eine Absage aus politischen Überlegungen gerechtfertigt erschiene, wäre es in den meisten Fällen eine Dummheit und dem Gastgeber gegenüber ein kaum verzeihlicher Affront.

Man nähme sich die Möglichkeit der direkten Kommunikation. Und gerade dann, wenn Fronten verhärtet, wenn bisherige Verhandlungen festgefahren sind, ist es unverzichtbar, weiterhin das Gespräch zu suchen. In der Regel haben Staatsmänner und -frauen solche Gelegenheiten zu nutzen gewusst. Selbst wenn inhaltlich nicht viel bei diesen Begegnungen herauskommt, ist dieses aufeinander Zugehen niemals völlig umsonst. Man bleibt im Kontakt!

In ähnlicher Weise ist es in der Gesellschaft des Mittleren Ostens undenkbar, eine Einladung zu einem Bankett (Festmahl, Gastmahl) kurzfristig auszuschlagen, zumal Einladungen in der Regel zweimal erfolgen: zunächst schriftlich, dann mündlich als Erinnerung (Bovon, 508). Wer also beim ersten Mal nicht absagt, weil er tatsächlich wichtige Gründe hat, von dem wird erwartet, dass er bei dem aufwendigen Gastmahl auch erscheint. Im Übrigen ist es eine Ehre, zu einem solchen Festmahl gebeten zu werden.

Der Brauch, Festmahle zu geben, ist in der hellenistisch-römischen Gesellschaft keineswegs nur auf die Oberschicht oder auf Elitekreise beschränkt. Gastmahle haben als Sozialformen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Festmahlen ist geradezu eine Schlüsselposition für verschiedene Gemeinschaften zu eigen, die in regelmäßigen Intervallen zu bestimmten Anlässen Männer, mitunter auch Frauen, versammeln (cf. Smith/ Taussig: Meals in the Early Christian World: Social and Political Characteristics of Greco-Roman Association Meals, 59f).

Griechisch-römische Bankette haben einen zweifachen Aufbau, der ihnen institutionellen Charakter verleiht: Der eigentlichen Mahlzeit folgt stets ein Trinkgelage, das eigentliche Symposion. Diese Aufteilung ist allgegenwärtig. Christliche Festmahle haben in den ersten zwei Jahrhunderten u.Z. keinen sakramentalen Charakter. Wenn von „Brot“ und „Wein“ die Rede ist, verweisen sie auf die zwei Hauptbestandteile eines Gemeinschaftsmahles. Erst ab dem 3. Jh. nehmen sie Zeichencharakter an (cf. Smith/ Taussig: Meals in the Early Christian World: A Typology of the Communal Meal, 9ff).

Die Absagen der im Gleichnis bei Lukas erwähnten Personen erweisen sich nicht nur als völlig unangemessenes Verhalten und grobe Verstöße gegen die Sitten, sie sind auch allesamt faule Ausreden: Man kauft nicht die Katze im Sack, vielmehr wird alles sehr genau geprüft, bevor man überhaupt einen Kaufvertrag eingeht. Und eine Heirat geschieht nicht urplötzlich, sondern wird lange vorher geplant. Die Absagen sind nicht plausibel (gegen Derrett, 136-143 und Crossan, 261), es handelt sich vielmehr um fadenscheinige Ausflüchte (cf. Bovon, 509f; tastend: Vögtle, 16ff).

Wenn der Gleichniserzähler dennoch solches realitätsferne Verhalten in seine Erzählung einbezieht, folgt er einer Tradition, die im Mittleren Osten durchaus üblich ist. Auch die literarische Sprache der hebräischen Bibel und der Evangelien bedient sich des Stils der Übertreibungen, um die leitenden Motive und Themen ihrer Erzähltexte zu verdeutlichen.

Was aber besagt der Gegensatz zwischen den Erstgeladenen, die zur reichen Oberschicht zählen, einerseits und den Armen, Krüppeln, Blinden und Lahmen andererseits, die nun - scheinbar als Ersatz?! (Vögtle, 19-25; 33-42) - eingeladen werden. Man darf nicht übersehen: Jesus bzw. Lukas erzählen ein Gleichnis, dessen Handlungen und Figuren keine Realität im gesellschaftlichen Sinne widerspiegeln. Sonst würde die Frage laut, warum der Gastgeber offensichtlich die Armen, Elenden und Behinderten anfangs gar nicht im Blick hatte?! Ganz zu schweigen von den zuletzt Eingeladenen, offenbar Fernstehenden, gänzlich Fremden, die der Beauftragte des Gastgebers obendrein noch nötigen muss, damit das Haus voll werde.

Das Gleichnis sollte nicht in einzelne Erzählstränge zerteilt, sondern vielmehr als Ganzes, als Einheit - und vor allem im größeren Kontext des LkEv - gesehen werden. Damit verbietet sich eine allegorische Auslegung, die das Bankett (Gastmahl) als endzeitliche Rettung ansieht, die obendrein noch von einer polarisierenden Unterscheidung von Volk Israel, Judenchristen und Paganismus („Heidentum“) geprägt ist (gegen Bailey, 88ff). Lukas erzählt unmittelbar vorher, was Rabbi Jesus als Gast bei einem Mahl dem Gastgeber vermittelt (Lk 14,12-14a):

„Wenn du ein Mittagsmahl oder Abendessen veranstaltest, so lade nicht deine Freunde und deine Brüder, nicht deine Verwandten und reichen Nachbarn dazu ein; sonst laden auch sie dich wieder ein, und dir wird Gleiches mit Gleichem vergolten. Nein, wenn du ein Gastmahl veranstalten willst, so lade Arme und Krüppel, Lahme und Blinde dazu ein, dann wirst du glückselig sein, weil sie es dir nicht vergelten können (…).“

Voller Enthusiasmus bricht es aus einem der Tischgäste hervor: „Glückselig ist, wer am Mahl im Reiche Gottes teilnehmen wird!“ - Daraufhin bringt der Nazarener das Gleichnis zu Gehör.

Nach Lukas hat Jesus die Armen und Behinderten von vornherein im Blick. Im ganzen LkEv herrscht eine offenkundige Konzentration auf den Gegensatz zwischen Armen und Reichen; auffällig ist die Brisanz und die Deutlichkeit, wie Lukas den prinzipiellen Konflikt transparent werden lässt, den viele Reiche angesichts einer konsequenten Nachfolge Jesu haben.

Doch im Grunde sind von den Bedingungen der Jüngerschaft und vom Ernst der Nachfolge Jesu alle gesellschaftlichen Schichten betroffen (Lk 14,25-33 auszugsweise): Es zogen aber große Volksscharen mit ihm; da wandte er sich um und sagte zu ihnen: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen Vater und seine Mutter, sein Weib und seine Kinder, seine Brüder und seine Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben hasst, so kann er nicht mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. (…) Ebenso kann keiner von euch mein Jünger sein, der sich nicht von allem lossagt, was er besitzt.“

Auch hier wird das rhetorische Mittel der Übertreibung deutlich: Natürlich predigt Rabbi Jesus weder Hass gegenüber der eigenen Familie noch Selbsthass; dennoch bleibt der Ernst der Nachfolge bestehen. Denn es kommt darauf an, welche Prioritäten Menschen setzen und wovon sie sich abhängig machen. Geld und Besitz als solche sind zunächst kein Hindernis, der Einladung in die Nachfolge Jesu bzw. zur Teilnahme am Gastmahl zu folgen. Aber es kommt darauf an, wie ich mein Kapital einsetze, ob es mir dazu dient, etwas Gutes zu tun, oder ob es zum Selbstzweck oder gar zum Götzen wird. „Dagobert Duck“ verstehe ich als eine Symbolfigur für den Menschen, der geradezu abgöttisch seine Goldtaler liebt und in seinem Geldspeicher hortet. Im Lande des Turbokapitalismus (USA) zeichnet man ihn freilich noch mit sympathischen Zügen.

Inzwischen grassieren nicht nur Geiz und Habgier, sondern auch Steuerhinterziehung und Korruption in Millionenhöhe. Die erschreckendste, wahnsinnigste Dimension der Geldliebe (diesen Ausdruck benutzt Lukas gern) manifestiert sich allerdings in der Weltwirtschaft; im Vergleich zu dem, was auf Kosten der ärmeren und ärmsten Länder geschieht, sind die dunklen Geschäfte Einzelner wahrlich Peanuts!

Es hängt sehr vieles davon ab, von welchen Vorgaben ich lebe oder leben darf, in welche soziale, politische, wirtschaftliche Situation ein Mensch hinein geboren wird. Wer in einer Militärdiktatur aufwächst, wer schon als Neugeborenes und als Kind unter unsäglichem Hunger leiden muss; wer mit ansehen muss, wie Mutter und Vater gedemütigt, gefoltert oder gar ermordet werden; wer statt Ausbildung, Beruf und wirtschaftlicher Existenz nur Not und Elend als zynisches Lebensmotto ertragen muss - all diese Armen und Geschundenen finden sich entweder mit ihrem Leid ab, resignieren und sterben, oder sie fliehen in die reichen Länder, voller Hoffnung auf ein besseres Leben, das ihnen Menschenwürde zurückgibt.

Ich verstehe einmal (metaphorisch) Geburt und Heranwachsen jedes einzelnen Menschen als Einladung zur Entfaltung seiner naturgegebenen Fähigkeiten, zu einem Leben in sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, zu einem Dasein in friedlicher Koexistenz mit Menschen nah und fern; als Einladung zur Ehrfurcht vor dem Leben, zur Verantwortung für Pflanzen, Tiere und Ressourcen, zur Bewahrung und Erhaltung des Bestehenden, zur Wiederherstellung und zum Wiederaufbau des bereits Zerstörten - ich begreife also Lebenssinn als eine Einladung zur Teilnahme und Teilhabe am „Reich Gottes“ oder „Reich der Himmel“.

Ich empfinde Folgendes als tragisches Paradoxon: den Armen, Elenden und Behinderten, die weltweit zahlenmäßig eindeutig die Mehrheit darstellen, die sich vermutlich gern zu einem Gast- oder gar Festmahl im Sinne des „Reiches Gottes“ einladen ließen, fehlt dazu jegliche Voraussetzung. Demgegenüber sind die Besitzenden, Reichen und Gebildeten privilegiert, nehmen die Einladung aber nicht an, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, weil sie sich ihre eigene Welt nach ihren Vorstellungen aufgebaut haben.

Es ist aber auch zu verführerisch, sich das Leben so einzurichten, wie es einem am besten passt: einigermaßen bequem, sicher, friedlich, satt - und das keineswegs nur in materieller, sondern vielmehr in jeglicher Hinsicht. Man lebt relativ sorgenfrei; man wird im Berufsleben anerkannt; gesellschaftlich lebt man unauffällig; man zahlt seine Steuern; Beiträge zur Politik bestehen im Wahrnehmen des Wahlrechts; religiös ist man kirchlich sozialisiert; kulturell nimmt man je nach persönlichen Neigungen und Interessen die aktuellen Angebote wahr.

Manchmal werde ich wenigstens vorübergehend aufgeschreckt aus meiner allzu bürgerlichen Lebensweise; obschon ich mich eher als Nonkonformisten sehe, erschrecke ich, wenn ich meinen Lebensstil vergleiche mit den Ärmsten, Elenden, Verhungernden, Geschundenen und Ausgebeuteten, in deren Gegenwart mir das Wort Lebensqualität bereits im Hirn verdampfte, bevor es sich überhaupt in einem der beiden Sprachzentren würde bilden können.

Womöglich gehöre ich zu den Eingeladen, die faktisch das Gastmahl oder Festmahl schmähen, weil sie scheinbar Besseres oder Notwendigeres zu tun haben. Natürlich habe ich auch meine Gründe, die obendrein - anders als im Gleichnis - ziemlich plausibel anmuten: Verantwortung für die eigene Familie und eingebunden in Berufsleben. Unterschwellig ist es aber der schon erwähnte Lebensstil, den aufzugeben ich nicht bereit bin, und ich schäme mich dessen. Ich kritisiere zwar Turbokapitalismus und Mammonismus, die schlimmsten Formen der Liebe zum Geld, lebe aber selbst unter und von der Herrschaft der Geldwirtschaft. Freilich kann man durch Spenden „sich Freunde machen mit dem ungerechten Mammon“ (cf. Lk 16,9).

Aber dann gibt man noch lange nicht so, dass die eine Hand nicht merkt, was die andere gibt. Normalerweise gibt man immer vom Überfluss, nicht wie eine arme Witwe oder Rentnerin. Letztlich geht es auch gar nicht nur um das Materielle, sondern um ein Leben in Hingabe und Aufopferung. Ich denke an den Theologen, Arzt, Philosophen, Pazifisten Albert Schweitzer, der als Vielbegabter in Zentralafrika ein Krankenhaus aufbaute. Es gibt Persönlichkeiten, die nachhaltig beeindrucken: Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela. Sie sind für Frieden und soziale Gerechtigkeit unter großen Entbehrungen eingetreten und haben viel Leid auf sich genommen. Auch der 14. Dalai Lama, der buddhistische Mönch Tendzin Gyatsho gehört zweifellos dazu.

Nicht weniger beeindruckend ist auch, wie viele Menschen, besonders auch viele junge Leute sich in der Gesellschaft heute für Überwindung sozialer Konflikte, wirtschaftlicher Probleme und Besserung der Umweltbedingungen engagieren. Ihr Engagement wird z.B. auf Deutschen Evangelischen Kirchentagen deutlich und öffentlich. Sie allesamt betreten allerdings weder die Wall Street noch das Frankfurter Bankenviertel. Sie sind weder in Korruptionsskandale, noch in windige Geschäfte noch in riskante Börsenspekulationen verwickelt.

Es gibt noch Menschen, die - „weiß Gott“ - tatsächlich Wichtiges, Lebenswichtiges zu tun haben; Persönlichkeiten, die sich in Initiativen, Vereinen und uneigennützigen (non profit) Organisationen für die Zukunft unserer Kinder und nachfolgender Generationen einsetzen. Ist nicht bereits die Existenz des einzigartigen blauen Planeten Erde eine Art Einladung an seine Bewohner, ihn mit allem, was dazugehört, zu bewahren? Doch die Abgötter der allgemeinen Geldbestimmtheit „entfesseln einen blindwütigen ökonomischen Aktivismus, der die Erde in eine Mondlandschaft zu verwandeln droht“ (Safranski: Romantik, 309).

Der Philosoph und Autor Rüdiger Safranski und der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch entdecken wieder die Romantik als möglichen Gegenpol zu einem Denken, das einzig und allein dem Geld und der Gewinnmaximierung oder dem Markt gewidmet ist. Die Frühromantiker Friedrich von Hardenberg (Novalis) und Friedrich Schlegel sprechen von einem „petrifizierten und petrifizierenden Verstand“ bzw. von „Gedankenversteinerung“, da auch Vernunft und Verstand „im Bann des Warentheaters“ (Novalis) stünden (Hörisch, 175f).

Das Evangelium nach Thomas (ETh 64) zitiert im Zusammenhang mit seiner Version des Gleichnisses vom Festmahl am Schluss einen Aphorismus Jesu: „Geschäftsleute und Händler werden die Plätze (den Ort) meines Vaters nicht betreten.“ Man kann es drehen und wenden, wie man will: Am Ende (Lk 14,24) heißt es radikal: „Niemand von den (zuerst) eingeladenen Männern wird mein Gastmahl schmecken“ (zu ETh 64, Bovon, 510; Vögtle, 44f; Crossan, 261).

Ich frage mich, was passieren würde, wenn die eingeladene Oberschicht, die Geschäftswelt, die Bankiers und Wirtschaftsbosse doch der Einladung zum Fest- oder Gastmahl folgten, und der großzügige Gastgeber lüde dennoch die Armen und Krüppel, Lahmen und Blinden dazu ebenfalls ein, und obendrein noch die Fernstehenden und Fremden. Würde ihnen vielleicht der Appetit vergehen? Nun, der Gleichniserzähler hat diesen Fall nicht vorgesehen; in seiner Handlung sagen die Reichen ab, lassen sich mit unglaubwürdigen Ausreden entschuldigen.

Der Zorn des Gastgebers ist mehr als verständlich. Um ein Festmahl auszurichten, bedarf es vielerlei Organisation, Logistik, zuverlässiges Personal, hoch qualifizierte Köche u.v.m. Die Mühen werden durch die Vorfreude auf die geschätzten Gäste aufgewogen. Man ist oft nicht einer Meinung, aber man kennt sich und will auch die Gelegenheit beim Bankett nutzen, tiefer über wichtige Dinge ins Gespräch zu kommen. Desto enttäuschender sind dann die Absagen und Ausflüchte. Da aber alles bereit ist und der Gastgeber das Festmahl nicht vergeblich hat anrichten lassen wollen, weitet er den Kreis der Einzuladenden erheblich aus.

Spätestens an dieser Stelle des Gleichnisses verlassen wir die Bildersprache, weil die erzählte Welt nicht mehr mit der wirklichen übereinstimmt. Welcher Gastgeber würde die Armen und Elenden und Behinderten zum Festmahl einladen? Welcher Staatschef, welche Regierung in der Welt würde sie zum Bankett einladen? Und wer würde Fernstehende, Fremde oder gar Flüchtlinge zum Gastmahl einladen und sie obendrein noch zur Teilnahme nötigen? Was aber wollen Jesus bzw. Lukas dann mit dem Gleichnis sagen?

Mit dem Gleichnis begegnet der Erzähler dem enthusiastischen Einwurf eines Menschen, der wie der Rabbi Jesus zu einem Gastmahl eingeladen ist; der Tischgenosse reagiert auf den fast gebieterischen Hinweis des Nazareners: „(…) wenn du ein Gastmahl veranstalten willst, so lade Arme und Krüppel, Lahme und Blinde dazu ein, dann wirst du glückselig sein, weil sie es dir nicht vergelten können (…).“ - Die fromme Reaktion: „Glückselig ist, wer am Mahl im Reiche Gottes teilnehmen wird!“ - Das Gleichnis als Entgegnung ist eine Ernüchterung!

Vielleicht finden wir hier einen Schlüssel zum Verständnis des Gleichnisses vom Gastmahl (cf. Crossan, 262). Es ist doch denkbar, im Mittelmeerraum in der Zeit des Frühchristentums Ausgestoßene der Gesellschaft zu einem Festmahl einzuladen. Es handelt sich dann um eine großangelegte Wohltätigkeitsveranstaltung - bewusst kalkuliert und weithin transparent, also vorzeigbar. Man wird als Gastgeber dafür geehrt, während gewisse Kreise eher beschämt sind.

Veranstaltet man solche Feste regelmäßig, zöge es zweifellos gesellschaftliche Konsequenzen wie Repressalien oder Schmähungen nach sich. Doch ist es (für sich genommen) immer noch weniger radikal, für soziale Randgruppen Gastmahle zu veranstalten, als irgendwelche Leute von den Straßen „aufzusammeln“ und sie einzuladen. Das wäre wirklich ein Affront gegen die guten Sitten, weil diese Haltung die gesellschaftliche Funktion der Tischgemeinschaften verleugnet. Dabei geht es um die Festlegung sozialer Klassifizierung und Rangordnung; die Umstände des Mahles und die Auswahl der Gäste sind von Bedeutung. Soziale Unterschiede und Strukturen in der Gesellschaft oder in Gruppen werden anschaulich markiert.

Kulturgeschichtlich ist Essen in Gemeinschaft wohl nie eine einfache Angelegenheit gewesen. Wer von angestammten Regeln und Verhaltensvorschriften abweicht, setzt ein bedeutsames Zeichen. „Den Armen nähert sich der Gott in der Form der Speise“ (Gandhi). Die Gastmahle des historischen Jesu lassen sich als „egalitäre Anti-Struktur“ verstehen, da sie zutiefst die Unterscheidungen und Rangordnungen, die Frauen und Männern, Armen und Reichen, „Heiden“ und Juden verschiedene Plätze anweisen, für eine begrenzte Zeitspanne außer Kraft setzen oder nivellieren. „Egalität“ ist hier nicht als „Gleichheit“ oder gar „Gleichmacherei“, sondern als Gleichberechtigung aufgrund von Gleichwertigkeit anzusehen und deshalb auch dauerhaft anzustreben.

Das Gleichnis vom Großen Gastmahl verdeutlicht, wie absurd die soziale Klassifizierung ist, die auch in sog. demokratischen Gesellschaften und - „Gott“ sei’s geklagt - im Verhältnis der reichen Industriestaaten zu den ärmsten Ländern in der Welt ebenfalls vorherrscht. Wer der großzügigen Einladung zum Festmahl des Lebens; zur anzustrebenden Gemeinschaft aller Menschen verschiedenster Herkunft; zur friedlichen Koexistenz der Völker und Staaten; der Einladung zu einem Bankett, dass soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt, - wer an all dem nicht teilnehmen will, der verwirkt auch seine mögliche Teilhabe am „Reich Gottes“ und ist am Ende arm dran!

Das betrifft den Einzelnen, eine Gesellschaft wie auch Nationen. Antwort und Verantwortung gegenüber der Einladung hat eine individuelle und eine kollektive Seite. Das Bild vom Mahl darf freilich nicht überstrapaziert werden, es bleibt ein Gleichnis; dennoch ist zu beachten, dass die Teilnehmenden keineswegs nur eine passive Rolle einnehmen. Sie beteiligen sich aktiv an den im Vergleich zu den gewöhnlichen Gastmahlen veränderten, neuen Strukturen, welche die bestehenden sozialen und politisch sanktionierten Unterschiede radikal aufheben. Mögen wir uns zu einem solchen Gastmahl einladen lassen!

Amen.



Pfarrer Thomas Bautz
Bonn
E-Mail: thomas.bautz@ekir.de

Bemerkung:
Literatur
François Bovon: Das Evangelium nach Lukas, EKK III/2 (1996), 499-523.
Meals in the Early Christian World. Social Formation, Experimentation, and Conflict at the Table, hg.v. Dennis E. Smith/ Hal Taussig (2012).
Anton Vögtle: Gott und seine Gäste. Das Schicksal des Gleichnisses Jesu vom großen Gastmahl (Lk 14,16b-24; Mt 22,2-14), BThSt 29 (1996); Gastmahl und Hochzeitsmahl vgl. Kurt Erlemann: Das Bild Gottes in den synoptischen Gleichnissen (1988), 170-195.
John Dominic Crossan: The Historical Jesus (1991; 1992).
Kenneth E. Bailey: Poet & Peasant and Through Peasant Eyes. A Literary-Cultural Approach to the Parables in Luke, Combined Edition (1983).
John Duncan M. Derrett: Law in the New Testament (1970): The Parable of the Great Supper, 126-155.




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