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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 14.06.2015

Eingeladen zum Fest des Glaubens
Predigt zu Lukas 14:(15)16-24, verfasst von Sibylle Rolf

Liebe Gemeinde,

Stellen Sie sich folgende Szene vor. „Schatz, hast Du die Servietten und Tischdecken von der Heißmangel abgeholt?“, fragt Eva ihren Mann. Sie will, dass alles perfekt ist. Für Samstag hat sie seine Kollegen eingeladen. Wichtige Geschäftsleute mit viel Einfluss. Es ist ja wichtig heutzutage, dass man sich vernetzt. Wenn man ein Geschäftsessen gibt, kann man darauf bauen, selbst auch eingeladen zu werden. Es geht um Geld und Karrierechancen. Eva hat das Essen ausgesucht und auch ihre Kleidung schon herausgelegt. Das Silberbesteck ist geputzt, und vor ihrem inneren Auge sieht sie, wie sie am Arm ihres Mannes die Gäste begrüßen und gepflegt mit ihnen plaudern wird. Fast 50 werden es sein, und zum Glück ist das Wetter so gut, dass sie im Garten Tische aufstellen können.

Samstag Vormittag kommen die Helfer und Helferinnen, die Eva und ihr Mann engagiert haben. Alles ist fertig, als nachmittags auch das Büffet aufgebaut wird. Appetitanregend sehen die Speisen aus, genau das richtige für die ausgesuchten Gäste! Alles ist bereit, nur die Eingeladenen fehlen noch. Eine halbe Stunde vor dem Fest klingelt das Telefon. Der Vorstand eines mittelständischen Unternehmens. „Es tut mir leid, ich schaffe es heute Abend nicht“, sagt er zerknirscht. „Ich habe ein Auto bestellt, das ausgerechnet heute geliefert wurde. Ich muss es abholen.“ Eva spürt Enttäuschung. Der eine ist nicht so schlimm, versucht ihr Mann sie zu trösten, als wieder das Telefon klingelt. Noch eine Absage. Diesmal die Juniorchefin eines anderen Unternehmens. Sie muss sich dringend um ihren Umzug kümmern. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr Menschen sagen ab. Der eine hat spontan Besuch bekommen, der nächste muss auf seine Kinder aufpassen, der dritte hat etwas wichtiges zu erledigen.

Eva spürt ihre Enttäuschung. Die Gäste machen das Fest, denkt sie. Und die Gäste sind nicht da. Die Absagen treffen sie, sie empfindet es auch als eine Absage an ihre eigene Person. Sie haben etwas besseres vor, als zu mir zu kommen. Und Eva sieht ihre Chancen schwinden, auf dem Markt von Einladungen und Gegeneinladungen zu bestehen. Dabei hatte sie die Gäste so sorgfältig aufeinander abgestimmt. Alles hatte gepasst. Sie ist gekränkt. Das viele Essen wird sie einfrieren müssen, damit es nicht verdirbt. Vielleicht kann sie ihrer Tochter etwas davon mitgeben.

 

Zwei Stunden vorher. Rudolf hat die Einladung von Eva und ihrem Mann vor sich liegen. Auf festem weißen Karton mit geprägten Buchstaben ist sie geschrieben. Schön sieht sie aus. Er ist sicher, dass es auch ein schönes Fest geben wird. Eva und ihr Man sind gute Gastgeber. Es wird gutes Essen geben und anregende, interessante Menschen. Man wird an Stehtischen stehen und Limonade und leichte Cocktails trinken. Rudolf zaudert. Er fühlt sich dem Fest nicht gewachsen. Er weiß genau, dass es dabei auch um das Spiel von Leistung und Gegenleistung geht. Einladung und Gegeneinladung. Wie du mir, so ich dir. So funktioniert es eben. Und es werden wichtige Menschen da sein. Die Gäste machen das Fest.

Seit Rudolf solche Schwierigkeiten mit seinem Sohn hat, erträgt er viele Menschen nicht mehr. Er kann einfach in keine glücklichen, erwartungsvollen Gesichter mehr schauen, ohne dass er an sein eigenes Unglück erinnert wird. Er fragt sich so oft, was er falsch gemacht hat, dass sein Sohn so abgerutscht ist. Es ist, als würde er ihn nicht mehr kennen. Und dabei hatte Rudolf immer gedacht, sie seien eine gute und intakte Familie. Auf einmal sind da nur noch Scherben. Nein, er wird der Einladung nicht folgen können. Er überlegt. Sein bestelltes Auto kommt ihm in den Sinn. Und er ruft bei Eva an. „Tut mir leid“, sagt er, „aber ich schaffe es nicht.“ Sie wird mich nicht vermissen, denkt er, bei den vielen Menschen, die ihr Fest besuchen werden.

 

Einige Straßen weiter zerknüllt Ilse das fünfte Taschentuch in ihrer Faust. In der Hand hält sie den Befund. Es war nur eine Routineuntersuchung, und jetzt bricht ihre ganze Welt zusammen. Nur zufällig wurde der Tumor entdeckt, und auf einmal hat sich das ganze Leben verändert. Der Weg vom Leben zum Tod ist auf einmal viel kürzer. Ilse hat Angst. Wird sie die Chemotherapie einigermaßen verkraften können? Und wie wird es sich anfühlen, abhängig zu sein? Wie wird sie mit den Nebenwirkungen der Medikamente zurecht kommen? Sie spürt, dass sie nicht sterben will. Und dass sie keine Schmerzen haben will. Sie wollte doch in diesem Sommer mit Klaus nach Island, ein lang gehegter Traum.

Ilse blickt in den Spiegel. Ein rot verquollenes Gesicht schaut ihr entgegen. So kann sie unmöglich der Einladung Folge leisten. All die gesunden, glücklichen Menschen, die da sein werden. Sie werden sie alle an ihr eigenes Unglück und an ihre ungewissen Zukunft erinnern. Sie kann das nicht. Nicht heute. Und sie sucht nach einer Ausflucht. Ihre Tochter Mareike wollte die Kinder mal wieder bringen. Zwar nicht heute, aber es ist glaubwürdig. Sie ruft Eva an und murmelt etwas von einem spontanen Besuch der Enkel. Eva wird mich nicht vermissen, denkt sie. Bei den vielen Gästen...

 

Die Geschichten kommen mir bekannt vor. Sowohl die Geschichte von Eva, als auch die Geschichten von Rudolf und Ilse. Einladungen, weil man auf Gegeneinladungen hofft. Nehmen und geben sollte in einem Ausgleich stehen. Wir vernetzen uns mit denen, von denen wir uns etwas erhoffen. Wir geben denen, von denen wir auch etwas bekommen werden. Die Gäste machen das Fest.

Und auch das kommt mir bekannt vor: wenn wir das Gefühl haben, nichts geben zu können, weil unser Leben gerade schwer sind, weil wir gerade vor einem Scherbenhaufen stehen – so meiden wir die, die uns etwas geben wollen. Vielleicht schämen wir uns. Wir können ja nichts zurückgeben. Es ist schwer, sich etwas schenken zu lassen, wenn man bedürftig ist. Wenn man sich zerbrechlich fühlt. Auch wenn Rudolf und Ilse ganz genau wissen, dass ihnen Anteilnahme und Freundlichkeit eigentlich gut täten. Aber wer steht schon gerne zu seinen Wunden? Zu seinen Verletzungen und seiner Verzweiflung? Und da gibt es noch Sigfrid und Hannelore. Sie haben immer so viel zu tun. Da haben sie keine Zeit zum Feiern. Erst wenn die Bilanz zu Ende gerechnet und das Haus zu Ende gestrichen ist. Wer lässt sich schon gerne unterbrechen in den Dingen, die zu erledigen sind und die getan werden müssen? Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, damit sind wir aufgewachsen, das haben wir tief verinnerlicht.

 

Aber was wäre, wenn alles ganz anders wäre? Wenn der Gastgeber nichts lieber täte, als mit vollen Händen zu geben und uns gutes zu tun? Wenn er uns genau ansähe bis in jeden Winkel unserer Seele, und wir vor ihm nicht so tun müssten, als seien wir stark und wichtig, damit wir ihm etwas wichtiges zurückgeben könnten? Wenn er uns vermisst und traurig wird, wenn wir seiner Einladung nicht Folge leisten – und zwar nicht um seinet-, sondern um unsertwillen? Weil er uns etwas gutes tun will, und weil es für ihn nichts schöneres gibt, als uns zu bewirten?

Was wäre, wenn das Motto falsch ist, oder zumindest nur halb richtig: erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Wenn es viel eher heißen müsste: erst das Fest, dann die Arbeit? Weil nämlich die Arbeit aus der Freude des Festes erst ihre Kraft und ihren Sinn bekommt! Was wäre dann? Wenn Eva und ihr Mann mit ihrer Einladung zwar eine gute Idee gehabt hätten, wenn es beim Feiern aber nicht darum ginge, möglichst wichtige Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, sondern einfach miteinander Zeit zu haben, so wie jeder gerade ist und in dem, was jeder gerade braucht – Rudolf in seiner Erschöpfung und Ratlosigkeit über seinen Sohn und Ilse mit ihrer Angst vor der Zukunft, und vielleicht auch Maria mit ihrer Sorge um ihre Arbeit und Jens mit dem Glück seiner neuen Liebe. Was wäre, wenn alle einfach so, wie sie sind, eingeladen sind, weil der Gastgeber gerne mit ihnen zusammen ist?

 

Als Eva diese Gedanken hin und her wendet, legt sich ihre Enttäuschung allmählich. „Weißt du was, Adam?“, sagt sie lächelnd, „wir packen alles ein und stellen uns auf die Straße.“ Und sie gehen heraus aus ihrem Garten und bauen ein großes Büffet auf. Alles Essen wird darauf gestellt, und großzügig verschenken sie es an die, die vorbei kommen und neugierig stehen bleiben. Wie das Glück es will, sind auch Rudolf und Ilse dabei. Auf dem Weg zu ihren Erledigungen bleiben sie stehen. Und auch Maria, Jens, Sigfrid und Hannelore kommen dazu. Es wird ein richtig schönes Fest. Nicht an jeder Stelle ausgelassen. Manchmal wird gelacht, an anderen Stellen auch geweint. Und die Vorstandsmitglieder sprechen nicht mit den Seniorchefs. Sondern Karl spricht mit Ute. Und das Fest muss nichts mehr bewirken oder einen Nutzen bringen. Es wird einfach gefeiert. Zwei Wochen nach Pfingsten. Und ein Wind weht.

 

Lukas 14

15 Als aber einer das hörte, der mit zu Tisch saß, sprach er zu Jesus: Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes! 16 Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. 24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.

 

Amen.

 



Pfrin. PD Dr. Sibylle Rolf
Oftersheim
E-Mail: sibylle.rolf@kbz.ekiba.de

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