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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2015

Eine Geschichte zum Freuen
Predigt zu Lukas 15:11b-32, verfasst von Ralf Reuter

Die Freude ist groß über die Kollegin. Nach der Kinderpause ist sie wieder dabei. Bekommt eine eigenständige Aufgabe. Ihr Wort wird im Unternehmen gehört. Und alle freuen sich mit.

Geht das überhaupt? Sie war lange nicht dabei. Andere haben die Arbeit in dieser Zeit getan. Was werden die denken? Vielleicht: So kann man Beruf und Familie schaffen.

Ein anderer Kollege war krank. Ist lange ausgefallen. Andere haben Überstunden machen müssen. Jetzt bekommt er die neue Abteilung. Ist das gerecht? Vielleicht wird gesagt: Er wird nicht abgestempelt. Es tut seinem Selbstwertgefühl gut.

Das Unternehmen wird vererbt. Die Tochter, die immer zuhause geblieben ist und gearbeitet hat, bekommt den einen Teil. Den anderen Teil bekommt der Sohn, der seit 10 Jahren nicht mehr da war. Er hat sich in der Welt umgesehen. Die Eltern freuen sich. Und alle feiern ein großes Fest.

Was werden sie dabei denken? Sie könnten sagen: Er ist von selber gekommen, wie gut. Hat Kleidung, Ring und Schuhe bekommen, so er kann voll und ganz mitleben. Welch eine Chance! Was für ein schönes Ereignis! Die Geschichte vom Verlorenen Sohn ist voller Lebensfreude.

Mit ihr können wir uns auch Geschichten von Ländern und Völker vorstellen, die wieder zusammen finden. Oder Religionen, Konfessionen, Kirchengemeinden, die zur Gemeinsamkeit zurückkehren. Gar das ganz persönliche Verhältnis zu Gott, so zerrüttet es war oder ist, es wird wieder heile. Die Geschichte vom Verlorenen Sohn ist wunderbar!

Wäre da nicht die bittere Klage des älteren Sohnes: Der hat alles durchgebracht mit Huren, während ich bei dir gearbeitet habe. Mir hast du nie ein Fest bereitet, dem da, deinem Sohn, schenkst du alles.

Die Klage des Kollegen, warum bekomme nicht ich die Abteilung? Die hat sich die ganze Zeit um ihre Familie kümmern können. War die ganze Zeit krank, während ich mich eingesetzt habe! Bis hin zu den Völkern, die sind nichts wert, die bringen alles durch! Den Religionen, das sind nicht die Rechtgläubigen! Und selbst vor Gott der Vorwurf: Der war doch nie in der Kirche!

Man könnte meinen, Jesus erzählt die Geschichte für uns ältere Söhne oder Töchter. Ja, werden einige sagen, das sollte uns auch gesagt werden. Sich einfach nicht mitfreuen, wenn etwas gelingt, wieder heil wird, das geht nicht. Wenn das so einfach wäre! Wir sind doch auch noch da! Nicht immer trauen wir der Umkehr! Es bleiben Zweifel.

Man kann aber auch meinen, Jesus erzählt diese Geschichte für die jüngeren Töchter und Söhne. Vielleicht ähneln sie uns in Wirklichkeit noch viel mehr. Sich einfach auf den eigenen Weg machen. Raus aus dem Vorgegebenen, manchmal auch aus den Verantwortungen. Für sich selber sorgen, oder noch nicht mal das. Und die Möglichkeit zur Umkehr finden, wenn es nicht mehr geht.

Doch dann die Scham: Vater, ich habe mich getrennt von dir, ich gehöre nicht mehr zu dir. Ich habe die Leistung nicht bringen können. Kann ich das überhaupt annehmen? Was soll der Kollege, der ältere Bruder, die ältere Schwester dazu sagen? Kann ich auf die Zusage bauen? Wie werde ich meine Schuldgefühle los?

Verlieren und wiederfinden, und damit umgehen lernen. Etwas wird wieder heile, gelingt, kommt zusammen. Das ist wohl eine lebenslange Aufgabe, für jüngere und ältere Söhne und Töchter. Ich glaube, die Geschichte wird erzählt, weil es gelingen kann, diese „Suche nach dem Verlorenen und die Freude des Findens“ (Friederike Rüter, GPM 69, 329). Durch den, der sie erzählt, Jesus, und dem, der in ihm und mit ihm ist, Gott.

Es ist eine himmlische Möglichkeit für unsere Erde. Eine ganz tiefe Hoffnung im Herzen der Menschen. Es ist eine religiöse Geschichte vom Tod ins Leben. Könnte sie doch immer wieder wahr werden! In den familiären Beziehungen, das Verlorene wieder lebendig werden lassen! In den Bereichen des Lebens mit ihrer Macht und Ohnmacht, in der weltweiten Politik, in der Religion und der Kirche.

Die Geschichte vom Verlorenen Sohn. Da macht einer seine eigenen Erfahrungen, ein anderer bleibt zuhause. Und als es dem ersten schlecht geht, denkt er an sein Zuhause und dieses zieht ihn Gott sei Dank heim. Er rechnet nicht mit einer guten Aufnahme, doch er wird voll und ganz an- und aufgenommen. Er kann es kaum glauben. Doch vielleicht gelingt es ihm. Wir wünschen es auch für uns.

Der andere, der zuhause geblieben ist, hat es schwer, dieses Wiederfinden seines Bruders anzunehmen. Er will nicht mit ihm feiern. Wir können ihn verstehen. Ihm wird gut zugeredet. Du hast doch alles, was du brauchst. Wir wünschen, dass es ihm zumindest etwas gelingt, sich zu freuen. Und hoffen, dass es auch uns gelingen kann.

Die Einladung zur Freude über ein Leben mit dem Himmel, mit der Fülle Gottes, aus der immer wieder die menschlichen Möglichkeiten wachsen und zur Frucht reifen. Es ist eine Geschichte, die einen bewegt, die man in seinem Herzen behält, die mitgeht durch die Zeiten und immer wieder ihre Anwendung findet. Eine Geschichte zum Freuen.



Pastor Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: Ralf Reuter@evlka.de

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