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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2015

So ein Vater! So ein Sohn!
Predigt zu Lukas 15:11-32, verfasst von Wolfgang Schmidt

Liebe Gemeinde,

in diesen Tagen ist hier die Luft erfüllt von Feuerwerk! Die Schule geht allenthalben zuende. Die Abschlusszeugnisse werden verteilt. Hierin und dorthin bekomme ich die Einladungen zu den Abschlussfeiern. Und überall ist es das selbe Bild: Freude und Jubel, aber auch die kleine Träne im Augenwinkel, die schnell weg gewischt wird. Denn Eltern wie Schüler spüren, dass etwas Neues heraufdämmert, ja, dass das Leben im Umbruch begriffen ist. Ein Fest in einer Zeit des Umbruchs: aus jungen Menschen werden Erwachsene. Entscheidungen stehen an, wie es weitergehen soll, welcher Beruf kommt in Frage? Welches Studium soll ich anpeilen? Wo werde ich Arbeit finden? Welche Richtung will ich mit meinem Leben einschlagen?

 

Schritte heraus aus der Familie, heraus aus dem Elternhaus kommen in den Blick oder werden schon ganz konkret vollzogen. Der Wunsch nach Eigenständigkeit und Freiheit hinterläßt seine Spuren. „Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land.“

 

Schulentlassfeiern sind Zeiten des Umbruchs, die von den verschiedenen Beteiligten unterschiedlich erlebt werden. Die Eltern zum Beispiel. Bei der nun beginnenden Lösung der Kinder von Zuhause geht ihr Blick in die Zukunft. Mit ihr verknüpfen sich Hoffnungen und Wünsche für ein gelingendes Leben in Schule, Ausbildung und Beruf, in Familie und Freundeskreis. Immer weniger sind es die Eltern, die den Weg ihrer Kinder mitbestimmen. Lange war das möglich, aber jetzt beginnen Jahre, wo Vater und Mutter mehr als zuvor das Loslassen lernen müssen, auch wenn das manchmal nicht ganz einfach ist.

 

Die biblische Geschichte, die wir gehört haben handelt genau davon. Es ist eine Geschichte über das Gehen-wollen und das Gehen-lassen und über einen Gott, der freilässt aber nie den Weg zurück verschließt. Der jüngere Sohn will gehen. Warum, erfahren wir nicht. „Vater gib mir das Erbteil, das mir zusteht.“ Er läßt sich ausbezahlen. Vielleicht wird ihm alles zu eng zu Hause. Vielleicht ist ihm die Arbeit zu viel. Vielleicht erhofft er sich ein besseres Leben anderswo, wie jene deutschen Auswanderer, die sich in diesem und im letzten Jahrhundert auf den Weg nach Amerika machten um dort ihr Glück zu versuchen. Wieviele verlorene Söhne hat es unter ihnen wohl gegeben?

 

Der Vater läßt den Sohn ziehen. Er gibt ihn frei. Er gibt ihm den Anteil, der ihm zusteht, und läßt ihn gehen. Keine Vorhaltungen, keine Belehrungen, keine Ermahnungen. In der Bibel finden wir davon nichts. Der Vater läßt den Sohn ziehen, obwohl er natürlich ahnen oder doch zumindest befürchten mag, daß ein junges Bürschchen mit viel Geld in der Tasche mancherlei Gefahren ausgesetzt ist. Aber er läßt den Sohn ziehen! Vielleicht traut er ihm ja auch zu, daß er seinen Weg machen wird, allein in der Fremde. Der Vater gibt dem Sohn die Freiheit, die er sucht! Das ist das Erste, was mich an dieser Erzählung beeindruckt.

 

Und wenn wir wollen, können wir uns natürlich selbst in dieser Geschichte entdecken, je nachdem, welche Rolle wir einnehmen: die Rolle des Kindes, das seinen eigenen Weg gehen will oder die Rolle der Eltern, die Vertrauen haben oder Befürchtungen hegen, aber so oder so den Sohn ziehen lassen müssen.

 

Wir können uns selbst in dieser Geschichte finden, wir können aber auch etwas über Gott darin finden. Denn Jesus erzählt die Geschichte ja als eine Art Beispielerzählung, eine Analogie. Der Vater in der Erzählung wirft ein Licht auf den Vater im Himmel.

Und so begegnen wir darin einem Gott, der seine Kinder in die Freiheit entläßt, die sie brauchen. Auf unserem Weg durchs Leben verändert sich unsere Beziehung zu Gott. Es gibt Zeiten, da fühlen wir uns ihm näher, es gibt andere, da ist der Abstand größer. Ja, es gibt vielleicht Phasen und Zeiten, wo einer Abstand braucht, damit der Weg weitergehen und die Beziehung sich am Ende erneuern kann. Vielleicht gibt es bestimmte Vorstellungen von Gott, die ich mir vielleicht als Kind gemacht habe, die mir vielleicht so vermittelt wurden von den Eltern oder Großeltern, aus Büchern oder im Religionsunterricht - Vorstellungen, die nun, wo ich älter geworden bin, nicht mehr passen, die irgendwie nicht mehr mit mir übereinstimmen und von denen ich mich lossagen muß. Ich spüre dann: Davon muß ich Abstand nehmen. Dabei kann ich nicht bleiben. Ich muß mich lösen, muß weitergehen und meinen eigenen Weg des Glaubens suchen: „Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land.“

 

Die Geschichte vom verlorenen Sohn ist eine Geschichte über das Gehenwollen und das Gehenlassen und über einen Gott, der freilässt. Das ist das Eine. Es ist aber zugleich auch eine

Geschichte über den Mut, Fehler einzugestehen und um Verzeihung zu bitten, eine Geschichte über die Chance des Neuanfangs und einen Gott, der Ja dazu sagt.

 

Wir wissen ja, wie alles weitergegangen ist. „... er zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.“ Der Weg in die Freiheit wird zu einem Weg in neue Abhängigkeit. Als das Geld ausgegangen ist, bleibt nur noch ein Job im Schweinestall und für den Hunger ist der Futtertrog der Tiere gerade gut genug. Der Weg in die Freiheit wurde zum Weg in die Sackgasse. Jugendliche, die sich zu diesem Text äußerten, schrieben, was der Schweinestall für sie ausdrückt: „Wenn ich keine Möglichkeit mehr habe zu reagieren, wenn ich allein und verlassen bin, wenn keiner mehr da wäre, der es gut mit mir meint“, schreibt da z.B. einer. Oder: „Wenn ich nur Mißerfolge hätte, obwohl ich mich angestrengt habe.“ Oder ein anderer:“ Wenn es zu Hause soviele Probleme gäbe , daß ich weglaufen müßte und das Gefühl hätte, nicht mehr zurückkehren zu können.“ Das ist wie ein Job im Schweinestall.

 

Der Weg in die Freiheit ist gescheitert. So geht diese Geschichte. Nicht daß es zwangsläufig so kommen muss. Nein, gewiss nicht! Aber hier kam es nun eben so. Und gewiss kann man auch darin etwas von den eigenen Erfahrungen im Leben wiederfinden: von Träumen, die geplatzt sind, von Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben, von Plänen, die gescheitert sind... Es muß ja nicht gleich so radikal kommen, aber Spuren solcher Erfahrungen finden sich doch wohl fast in jedem Leben wieder.

 

Aber die biblische Geschichte ist keine Geschichte, die das Scheitern zeigen will - schon gar nicht mit dem moralischen Zeigefinger des Besserwissers, der sowieso schon alles kommen sah. Es ist vielmehr eine Geschichte über den Mut zur Umkehr, eine Geschichte über den Mut, das Scheitern und die Fehler, die ich gemacht habe, offen einzugestehen. Und das ist das Zweite, was mich daran so beeindruckt: dass einer sich noch einmal aufrafft und den Mut findet, zu seinen Schattenseiten zu stehen. Es ist der Mut, mit leeren Händen zurückzukehren und zu sagen: So ist es nun gelaufen und ich stehe dazu. Ich will nichts vertuschen und keinem anderen die Schuld geben. Es ist allein meine Schuld. Bitte verzeih mir! Verzeih, bitte verzeih!

(Reinhard May hat unter diesem Titel ein eindrückliches Lied geschrieben: http://www.myvideo.de/watch/6044910/Reinhard_Mey_Verzeih)

„Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küßte ihn.“

Ein einziges kleines Wort, liebe Gemeinde, ist an dieser Geschichte entscheidend.„Es jammerte ihn“! Dieses Wort charakterisiert wie kein anderes den Vater. „Es jammerte ihn.“ Das Erbarmen des Vaters mit dem heimkehrenden Sohn ist der tiefste Ausdruck seiner Liebe zu ihm. Obwohl du heruntergekommen bist zum Schweinehirten, liebe ich dich. Obwohl du das Erbe verspielt hast, liebe ich dich. Obwohl du gescheitert bist, liebe ich dich. Denn meine Beziehung zu dir bemisst sich nicht nach dem Geld, das du verdienst und nicht nach dem Beruf, den du ausübst; sie bemisst sich nicht nach der Stufe, die du auf der Karriereleiter erklommen hast und nicht nach den Taten, die du vollbracht hast. Ich liebe dich, weil du zu mir gehörst, weil du mein Sohn bist. Und das ist das Dritte, was mich an dieser Erzählung beeindruckt: die vorbehaltlose Liebe des Vaters gegenüber dem Heimkehrer.

Der Gescheiterte bekommt die Chance zum Neuanfang. Er wird nicht ewig bei seiner Vergangenheit behaftet.Er bleibt nicht auf immer verdammt, die Konsequenzen seines falschen Handelns zu tragen. Er wird nicht festgenagelt auf seine Verfehlungen. Das ist Vergebung. Und es gibt keinen anderen Grund dafür als einzig das Erbarmen des Vaters. „Es jammerte ihn!“ Der Heimkehrer findet offene Arme.

 

Die Geschichte vom verlorenen Sohn läßt viele Möglichkeiten, in den einzelnen Personen ein Stück von sich selbst wiederzufinden - als einer, der seine Schuld und sein Scheitern eingesteht, als einer der wieder neu anknüpfen will an sein Elternhaus, oder als der, den „es jammerte“, wie Martin Luther die Reaktion des Vaters übersetzt. Oder vielleicht sieht man sich in der Rolle des älteren Sohnes, der sich über das Wiedersehensfest ärgert. Er will Gerechtigkeit, Anerkennung für seine langjährige Bindung und Treue: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten und du hast mir noch nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.“

 

Wir können aber aus dieser biblischen Geschichte genauso etwas von der Güte und Barmherzigkeit Gottes erfahren, von den Maßstäben, die vor ihm gelten und wie es ist nach Jahren der Distanz und des Abstands wieder eine Beziehung zu ihm aufzunehmen. Zwischen dem Anfang und dem Ende der Geschichte liegen die Erfahrungen, die der Sohn gemacht hat. Sie haben ihn verändert, ihn reifen lassen. Er kommt zurück als ein anderer. Jetzt ist er fähig zu einer neuen Beziehung. Und das ist dem Vater ein großes Fest wert. Denn auch wenn er einen freilässt, ist seine Freude über den, der ihn erneut aufsucht, grenzenlos. Genau so ist unser Gott!



Propst Wolfgang Schmidt
Jerusalem
E-Mail: Propst Wopropst.schmidt@redeemer-jerusalem.com

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