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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2015

So viel ent-täuschende Liebe!
Predigt zu Lukas 15:1-3.11b-32, verfasst von Peter Schuchardt

Liebe Schwestern und Brüder!

Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn ist wohl mit das bekannteste und für viele auch das schönste Gleichnis. So viel steckt da drin. Jesus erzählt uns hier von den beiden Brüdern, vom Vater, von zwei verschiedenen Lebensweisen, von der Liebe, die das Zerbrochene heilt. Vor allem erzählt uns Jesus von Enttäuschungen. Eine Enttäuschung reiht sich an die andere, bis zum Schluss die ganz große Enttäuschung kommt. Und das ist gut so!

Wir kennen Enttäuschungen leider nur zu gut aus unserem Leben. Ich glaube, nichts prägt uns so sehr wie die Enttäuschungen, die wir erlebt haben. Der Satz „Ich bin so enttäuscht von dir!“ brennt sich tief ins Herz ein. Ich denke an Menschen, die mich enttäuscht haben. Es waren viele. Es ist schmerzhaft und rührt in alten Wunden: aber denkt einmal an die Enttäuschungen, die ihr erlebt habt. Denkt an die Menschen, die euch enttäuscht haben – und die ihr enttäuscht habt. Oft ist dadurch dann eine Distanz zu anderen entstanden. Ihr habt euch voneinander entfernt. Es ist besonders schlimm und verletzend, wenn die eigene Frau, der eigene Mann, die Kinder, gute Freunde dich enttäuschen. Dann wächst meist Bitterkeit in dir. Und das ist wirklich das Schlimmste, was passieren kann. Ein verbittertes Leben zu führen, weil andere mich enttäuscht haben.

Heute erzählt uns Jesus von ganz vielen Enttäuschungen. Doch die führen nicht in die Bitterkeit, die führen am Ende zur Feier des Lebens! Dazu lasst uns nun den beiden Brüdern und dem Vater durch das Gleichnis folgen. Jesus erzählt es ja, so schreibt der Evangelist Lukas, weil die Pharisäer und Schriftgelehrten sich aufregen: „Dieser Jesus nimmt die Sünder an und isst mit ihnen! Wie kann er nur!“ Gemeinsam zu essen, das ist damals wie heute Ausdruck von tiefer Verbundenheit. Darum laden wir einander zum Essen ein! Und in der Bibel ist es immer auch das Bild für tiefest Gottesnähe. Das Himmelreich, so erzählt es uns Jesus, wird wie ein großes Fest mit Essen und Trinken, mit Musik und Tanz sein. Und nun ist Jesus da, das Himmelreich ist ganz nahe, und die Zöllner, die Sünder, die Prostituierten kommen zu ihm. Die Pharisäer und Schriftgelehrten sehen ja: Dieser Jesus ist etwas Besonderes. Er hat eine tiefe Nähe zu Gott. Doch gerade sie wollen doch auch diese Gottesnähe spüren. Sie wollen doch dazu gehören, wenn das große Fest Gottes beginnt. Darum halten sie sich doch an alle Gebote wie die Pharisäer. Darum lesen sie Tag und Nacht in der Bibel wie die die Schriftgelehrten. Aber das alles bringt ihnen Gott nicht nahe! Was für eine Enttäuschung!

Nun aber erzählt Jesus ihnen - und natürlich auch uns – sein Gleichnis. Das beginnt mit großer Freude. „Ein Mann hatte zwei Söhne.“ Zwei Söhne: das bedeutet Hoffnung, Zukunft, Nachkommen, das bedeutet Leben. Aber auch Adam hatte zwei Söhne, Kain und Abel. Auch Isaak hatte zwei Söhne, Jakob und Esau. Zwei Söhne, das kann auch bedeuten: Neid und Missgunst und Tod. Wie wird es hier werden? „Ein Mann hatte zwei Söhne. Nun sagt der Jüngere zum Vater: Gib mir mein Erbteil. Ich werde den Hof sowieso nicht erben. Also gib mir schon jetzt das Geld, das mir gehören wird, wenn du tot bist.“ Wieder eine Enttäuschung: Gegen das Erbrecht kann man nichts machen. Vorschrift ist Vorschrift. Gesetz ist Gesetz. Ob der Vater nun enttäuscht ist, dass der jüngere Sohn ihn schon als tot betrachtet? Ich kann es mir denken. Doch er akzeptiert den Wunsch seines Sohnes nach Freiheit, nach Selbstbestimmung, nach etwas Neuem, einem Abenteuer, nach was auch immer. Wie der Ältere das Ganze sieht? Das bleibt im Dunkeln. Wichtig ist: der Jüngere zieht nun bald danach los. Die Taschen voller Geld, den Kopf voller Träume und Hoffnungen. Auf geht`s in ein fernes Land. Und dort verprasst er sein ganzes Geld mit Feiern, mit Gelagen, mit Frauen und falschen Freunden. Er erlebt die Enttäuschung, die in unserer Zeit so viele machen. Es ist die Illusion, viel Geld würde viel Freude, Freiheit und Anerkennung mit sich bringen. Das ist der Grundgedanke des Konsumismus, der unser Denken mehr und mehr beherrscht. Doch mit Geld kannst du deine Rechnung bezahlen, aber nicht eine Freundschaft. So viele hängen heute dieser Illusion an, die die Werbung uns fröhlich vorgaukelt, und werden bitterlich enttäuscht. So auch der jüngere Sohn, der sich nach den Feiern bei den Schweinen wiederfindet. Nun sitzt er wirklich im Dreck. Er ist ganz unten angekommen. Seine tollen Träume von Freiheit und Abenteuer enden an einem Schweinetrog. Doch selbst der ist unerreichbar für ihn. Denn so sehr er auch Hunger leidet, er bekommt nichts zu essen. Noch eine Enttäuschung. Da ist nichts mit Mitmenschlichkeit. Hauptsache, die Schweine haben etwas zu fressen. Du nicht. Nun kommt eine besondere Enttäuschung für den Jüngeren. Er erkennt: „Ich habe mich in mir selbst getäuscht. Ich bin nicht der tolle Typ, dem die Welt offensteht. Ich bin ein armer Kerl, ein armes Schwein, verloren im Dreck bei den Schweinen.“ Diese besondere Enttäuschung führt ihn aber in Gedanken wieder zurück nach Hause. „Die einfachen Arbeiter bei meinem Vater haben es besser als ich hier!“Und diese Enttäuschung führt ihn zur Wahrheit: „Ich habe gesündigt. Ich bin vom richtigen Weg abgekommen. Vor Gott und meinem Vater habe ich einen großen Fehler gemacht.“ Das ist ein großer Moment, dieser Moment der Wahrheit. Denn nun beginnt eine Veränderung in dem jungen Mann: „Ich werde zu meinem Vater sagen: Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Ich will als einfacher Arbeiter bei dir sein.“ Und so geht er nach Hause, aus dem Dreck macht er sich auf. Ent-täuscht, arm an Geld, aber reich an der bitteren Erkenntnis: „Aus meinen tollen Träumen ist nichts geworden.“

 

Nun beeindruckt mich der junge Mann. Er geht den Weg zurück. Und ich kann mir gut denken, wie schwer ihm dieser Weg wird. Seid ihr schon einmal so einen Weg gegangen, den Weg zurück nach einer enttäuschenden Selbstniederlage? Die Scham brennt. Die Selbstvorwürfe laufen immerzu im Kopf herum. Es ist der Weg der Wahrheit. Aber die Wahrheit ist nicht immer leicht zu tragen. Der Sohn aber trägt sie nun wirklich bis zu seinem Vater. Als der kommt, sagt er, was er die ganze Zeit in sich trägt: „Ich habe gesündigt. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich nenne dich Vater, aber dein Sohn kann ich nicht mehr genannt werden“. Das ist der tiefe Moment der Wahrheit. Und zugleich wieder ein Moment der Enttäuschung. Ent-täuschung heißt ja auch: eine Täuschung geht zu Ende. Die Täuschung über mich, über andere, die mich nicht so unterstützten wie ich es gedacht hatte. Hier täuscht sich nun der jüngere Sohn über seinen Vater. Er hatte es sich in seinem Kopf und in seinem Herzen ausgemalt, dass er damit die Schmach wieder gut machen könnte. Er meinte, seinen Vater ausrechnen zu können. Doch sein Vater ent-täuscht ihn – im besten Sinne! Denn der hat auf seine Sohn gewartet. Er hat nach ihm Ausschau gehalten. Er hat gehofft, er würde wieder zurückkommen. Und als er ihn endlich sieht, läuft er ihm entgegen, fällt ihm um den Hals, umarmt und küsst ihn. „Endlich bist du wieder da, mein Sohn! Nun soll gefeiert werde. Nun lass uns zusammen am Tisch sitzen und der ganzen Welt zeigen: Wir gehören zusammen: Du, der Sünder, und ich, dein Vater.“

Jesus erzählt dies Gleichnis ja den Pharisäern und Schriftgelehrten. Die werden bei diesen Worten ordentlich gezuckt haben. „Dieser Jesus nimmt die Sünder an und isst mit ihnen!“, so hatten sie sich doch beklagt. Ja, sagt Jesus, genau das tue ich. Weil es dieser barmherzige Vater auch tut. Aus Freude darüber, dass dieser verlorene Sohn, dass die Zöllner und Sünder, dass die verlorenen Menschen zurückkommen. Und nun fragt Jesus: Wie ist es denn mit dir? Freust du dich auch? Oder fängst du an aufzubrechen, was der andere alles verkehrt gemacht hat? Wir meinen schnell, die Pharisäer und Schriftgelehrten seien Gruppen innerhalb des Judentums damals. Doch Jesus beschreibt mit ihnen doch das Denken, das auch in uns oft tief verwurzelt ist. Du meinst, du weißt genau Bescheid, was richtig und was falsch ist. Du achtest immer haargenau auf die Fehler beim anderen und sagst es ihm sofort ins Gesicht, was er schon wieder falsch gemacht hat. So denken und fühlen auch die Pharisäer und Schriftgelehrten. Und so denkt und fühlt auch der ältere Sohn. Denn der ist draußen auf dem Feld. Der arbeitet – natürlich arbeitet er, denn er macht ja immer alles richtig. Er arbeitet, so wie er immer gearbeitet hat, auch als sein Bruder mit dem Geld den Hof verlassen hatte. Er macht alles richtig, schon seit so vielen Jahren. Und darum ist er stinksauer, als er mitbekommt: „Dein jüngerer Bruder ist wieder da. Ihm zu Ehren gibt dein Vater ein Fest.“ Das kann doch nicht richtig sein! Er hatte doch immer alles so genau im Kopf berechnet. Er wird viel tun, darum wird sein Vater ihn viel lieben. Und nun kommt dieser Taugenichts, der nichts, aber auch gar nichts richtig gemacht hat, und sein Vater schmeißt eine Riesenparty! Jetzt ist der Ältere sauer – und er ist enttäuscht. Noch eine Enttäuschung! Denn mit einem Mal erkennt er: Sein ganzes Lebenskonzept war falsch. Alles richtig machen, immer die Klassenbeste zu sein, immer auf die Fehler der anderen achten – mit all dem wird niemand die Liebe des Vaters erkaufen können. Nun steht er draußen vor der Tür mit seiner Enttäuschung, mit seiner Wut, mit seinem verlorenen Leben. Noch ein verlorener Sohn! Doch der Vater will nicht, dass er verloren bleibt. Er geht zu ihm, so wie er seinem anderen Sohn entgegen gegangen ist. Ihr Gespräch am Ende des Gleichnisses zeigt ihm und uns, worum es wirklich geht. Es geht um die Liebe, die sich bedingungslos freut, wenn ein Verlorener zurückkommt. Diese Liebe nennt die Bibel Barmherzigkeit.

Wenn Jesus ein Gleichnis erzählt, dann erzählt er uns von Gott, unserem himmlischen Vater. Er erzählt uns von Gottes tiefer Liebe zu uns. Diese Liebe wird uns ent-täuschen – Gott sei Dank tut sie das! Sie nimmt uns die Täuschung, wir könnten Gott für uns einnehmen, indem wir immer arbeiten, immer alles richtig machen, alle Fehler bei den anderen sehen. Für Gottes Liebe kann ich keine Bedingungen stellen: der Ältere kann das nicht, indem er so fleißig arbeitet. Aber auch der jüngere kann das nicht. Auch er wird ent-täuscht. Ich kann doch Gottes Liebe keine Bedingungen stellen. „Vater, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen.“ Nix da! Wir können Gott doch keine Bedingungen stellen. Gott liebt uns, weil er es will, nicht weil wir ihn dazu gezwungen haben. Wir können Gott nicht berechnen. Größer als unser Scheitern, größer auch als unsere berechnende Liebe ist Gottes Liebe zu uns. Und sie lädt uns ein, das Leben zu feiern, wenn ein Verlorener zu Gottes Barmherzigkeit zurückkommt. So kommen die Sünder und Zöllner zu Jesus. So kommen die Verlorenen aller Zeiten zu ihm. Und auch wir dürfen kommen. Eingeladen sind wir alle. Die Tür steht offen – auch für uns. Amen

 



Pastor Peter Schuchardt
Bredstedt
E-Mail: pw-schuchardt@versanet.de

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