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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 21.06.2015

Der Vater: laufend
Predigt zu Lukas 15:11-32, verfasst von Wolfgang Petrak

Liebe Gemeinde,

 

Es ist so, wie auch immer: Wenn wir diese Geschichte hören, spüren wir die Bewegung. Wir spüren die Freude des Vaters, riechen den Festtagsbraten und hören die Musik, deren griechisches Wort einen feinen orchestralen Zusammenklang beschreibt, in der Bibel aber nur einmal Anwendung findet, nämlich hier. So einmalig also die Freude und das Fest. So ein Tag, so wunderschön wie heute. So ein Tag: wir spüren den Zorn des älteren Bruders, vermeinen seine schmallippig geäußerten Informationen über den Bruder, vom Hörensagen her, längst zu kennen, und teilen seine Argumente, die nichts weiter als eine endlich hervor gepresste Klage gegen das Unrecht von Benachteiligung und Bevorzugung sind, weil unsere Tage auch so verlaufen. Was für ein Riss, was für eine Spannung. Nichts ist mit der Symphonie und der Ode an die Freude zu Beginn der erzählten Zeit.

 

Es war ein Mensch. Also einer wie Du und ich. Damit es menschlich zugehe. Es war ein Mensch, der hatte zwei Söhne. Sofort baut sich die Spannung auf. Denn es wird nur von einem erzählt. Wie es so läuft. Und das bedeutet: Es kann ganz schnell laufen. Es kann so oder so laufen. Man kann sich verlaufen. Laufend machen wir, was zu tun ist. Es kann gut laufen, es kann daneben laufen. Es kann ganz normal laufen.

 

Es war ein Mensch, der hatte zwei Söhne, und es läuft so, wie es üblich ist, gut geregelt. Der Älteste übernimmt den Hof und bekommt zwei Drittel des zu vererbenden Vermögens, damit das Anwesen im Familienbesitz verbleibt. Der Jüngere bekommt ein Drittel, damit er eine Versorgungsgrundlage hat, wenn er seiner eigenen Wege gehen muss und will. So braucht er keine Bitte um eine Gabe zu äußern, sondern kann sich knapp einlassen mit der Aufforderung, das ihm Zustehende zu geben.

 

Es liegt ein Schweigen darüber, mit welchen Gefühlsregungen die fällige Verteilung vorgenommen wird. Was zum Beispiel wird der Ältere in dieser Situation gedacht haben: endlich? Wir Männer reden ja im Allgemeinen wenig, wenn es um die unbewusste Befolgung jener Spieltheorie geht, demzufolge derjenige als Unterlegene erweisen wird, dessen Absichten als Bewegung zu erkennen sind.

 

Es nimmt dann alles seinen Lauf. Und zwar rasend schnell. Wenn wir in diesem Zusammenhang „Es“ sagen, dann weil wir wissen, dass die einzufordernde und zu behauptende Autonomie in übergreifende Zusammenhänge eingeordnet wird, deren Ziele sich dem eigenen Vermögen entziehen, sodass wir wie ein berühmter Fußballer zu sagen pflegen: „Das Spiel läuft, wie es läuft“. Der Sohn setzt sein Vermögen binnen kürzester Zeit in Bargeld um. Denn Geld ist abstrakt und nicht der Wert an sich. Wie ein Zeichen, wie ein Wort kann es überall mit hingenommen werden, so dass es scheinbar die Freiheit und Unabhängigkeit repräsentiert. Bargeldloser Zahlungsverkehr ist übrigens noch abstrakter, noch schneller, noch unabhängiger. Lässt sich elektronisch steuern und im Bruchteil von Sekunden automatisch nach Vorteilssuche rund um die Welt schicken und diese einfordern. In eine unbekannte Welt geht der Jüngere. Wenn man nun meint, ihn „Hänschenklein“ pfeifen zu hören, gibt das nicht unbedingt seine Lebensmelodie wieder. Das ihm zugesprochene griechische Verb umschreibt zwar auch das Reisen, nun nicht aber das gemächliche Wandern in einträglichen Gegenden oder erholsam - traulichen Welten, sondern meint das Sich- Entfernen ins Unbekannte, Unwirtliche, letztlich, so deuten Erzähler des fremden Griechenlands dieses Wort, als Weg in die Sphäre des Todes.

 

Es soll also eine Reise ohne Wiederkehr sein, zu der er sein Barvermögen zusammengerafft hat, ein bewusster Bruch mit dem, was ihn zuvor getragen hat: die Familie, die Kultur und ihre Werte, von denen man spricht, also auch die Religion (oder was man dafür hält), die Arbeit. Das Geld wird von der Arbeit getrennt. Das Kapital wirtschaftet für sich. Er gibt aus, kauft, genießt, könnte auch Verträge eingegangen sein, um durch Verschuldung zu erwerben, etwa so, stelle ich mir vor, wie junge Leute mit elterlicher Genehmigung Smartphone - Verträge eingehen, dann Interneteinkäufe tätigen, sich verschulden, über den SCHUFA - Eintrag erfahren, wie Schulden Abhängigkeiten vom Schuldner aufbauen (wenn man übrigens SCHUFA - Eintrag anklickt, erhält man einen link für Blitzkredite). Wie ist das eigentlich mit Kapitaleignern, die mit Schulden handeln, sie verkaufen und sich bereichern? Wie ist das mit Ländern, die über ihre Staatsverschuldung in Abhängigkeiten von Banken geraten sind? Wie ist das mit Griechenland, warum wird in diesen Tagen nicht um einen Schuldenschnitt verhandelt? Wird überhaupt verhandelt und: welches Interesse besteht an der Abhängigkeit? Ich merke, dass die Fragen in dieser Zeit sich verlaufen, weil die Entwicklungen unbekannt unabsehbar und gefährlich sind wie ferne und unbekannte Welten - indessen ist das Gleichnis vom verloren genannten Sohn keine Allegorie, in die Wirrnisse unserer Zeit Satz für Satz eingetragen werden könnten, um den Lauf der Welt und ihrer Zeit zu deuten, sondern:

 

Es geht um den Menschen, der zwei Söhne hatte. Und der eine macht sich davon, wird zum Opfer seines eigenen Handelns und der Verhältnisse, in denen er leben will. Als eine Hungersnot über diesem Ende der Welt hereinbricht, hat er nichts, was ihn sichern könnte. Um zu überleben, muss er vollends mit allem brechen, was ihn geprägt hat. Muss sich, wie sein Bruder sagen würde, an einen Ungläubigen heranmachen, der nicht nur Schweine besitzt und mit ihnen handelt, sondern sogar davon isst. Um existieren zu können, muss er sich erniedrigen. Um Arbeit betteln. Schweine: die darf er hüten. Schweine: die kann er beneiden. Um ihr Futter. Was für ein Schwein man werden kann. So tief zu sinken.

 

Es läuft gar nichts mehr. Die Bewegung verharrt und erstarrt. Äußerlich. Wenn außen nichts mehr geht, dann…Schweinefutter. Johannisbrot. Man sagte im hebräischen Volk: „Wenn die Israeliten Johannisbrot essen müssen, dann tun sie Buße“. Die Erfahrung der Tiefe lässt einen Grund finden, der einen Weg in die Umkehr weist. Der ist zu durchlaufen. Er geht, wie es heißt und wie man sagt, in sich. „Was hoch ist, soll niedrig werden, und was niedrig ist, soll erhöht werden“, heißt es beim Propheten (Hes. 21,3). Später wird es ein anderer sagen, von einem Kind und seinen Bedürfnissen (Mt. 18,4), von sich selbst und überhaupt vom Menschen (Mt. 23,12). Sodass der immer wieder als verloren bezeichnete Sohn genau die Züge dessen trägt, der dem Tod die Macht genommen hat.

 

Es war ein Mensch, mit dem die Geschichte begonnen hat. Sie wird zur Geschichte dessen, der Mensch geworden ist und der den Höchsten zum Vater hat, dessen Weg aber im Niedrigsten erkannt sein will. Dieser Weg ist kein Selbstläufer, denn er beginnt mit dem Schmerz der Einsicht in die eigene Sünde vor Gott und die eigene Schuld vor den Menschen. Nur so lässt sich ein neuer Weg finden. Dieses gilt für den Sohn eines Menschen und für die Krisen der Welt und ihrer Zeiten. Der Sohn will aufstehen von den Mächten des Todes und zu seinem Vater gehen. Die Überlegung geht von der Einsicht in die selbst herbeigeführte Trennung von Gott und Mensch hin zu der durchaus rationalen Überlegung, dass die Versorgung der Arbeiter beim Vater gewährleistet ist. Wenn er nun zu ihm hingeht und auf seinen Status verzichtet, dann könnte er sich durch die Arbeit versorgt wissen und in eine neue Zeit einweisen. Der Blick weitet sich. Das bedingungslose Grundeinkommen geht von dem Gedanken aus, dass jeder seinen Beitrag zur menschlichen Beziehung leistet. Es könnte davor bewahren, dass Menschen ganz auf sich selbst zurück geworfen werden. Vielleicht wieder ein Nebengedanke, der aufkommen muss, wenn es darum geht, was dem Menschen in seinen Beziehungen das neue Leben eröffnet. Doch die Bewegung geht nicht von seinen möglichen Anstrengungen aus. Man kann nicht vorlaufen in der Hoffnung, dass allein die eigenen vernünftigen Einsichten und die angefachten sozialen Problemlösungen eine Zukunft eröffnen, die es zu feiern gilt. Das läuft anders.

 

Es ist allein der Vater, der in der Geschichte des Menschen läuft. Und zwar von sich aus. Er sieht den weit entfernten Sohn. Das heißt: eigentlich könnte er wegen des Äußeren, namentlich aber wegen der Entfernung den Sohn nicht sehen, doch es ist der Vater, dessen Name am höchsten ist, der sich niedrig macht, die Entfernung überwindet und der deshalb erkennt. Erkennen heißt ist der Sprache der Schrift: lieben. Also läuft der Vater los, verlässt sein Haus, verlässt seinen Standpunkt, verlässt sogar den Himmel, geht nicht einmal auf die Worte ein, die sein Sohn bekennend und schuldbewusst fast wie im rituellen Vollzug fromm sich vorgenommen hat zu sagen. Sondern er nimmt ihn in den Arm, um nur eines zu zeigen: Sein Erbarmen. Es gilt bedingungslos, obwohl es darauf keinen Anspruch gibt. Es ist da. Er ist da. Ohne dass es einen Anspruch darauf gäbe. Feste soll man feiern, wie sie fallen. So eröffnet er im Leben ein Fest, das eigentlich einer anderen Zeit bestimmt ist.

 

Es war ein Mensch, der hatte zwei Söhne. Und der andere, vom Felde der Arbeit kommend und mitten in der Zeit stehend, hatte seine Einwände und den Schmerz seiner Kränkung. Wiederum verlässt der Vater wiederum sein Haus, seinen Standpunkt, seinen Himmel. Und kommt eilend. Um dieses zu hören. Um dieses zu sagen: „Mein Kind, du bist immer bei mir“. Auch ihm, der so ist und wie auch immer nicht anders kann als auf seinem Rechtsstandpunkt zu beharren, gilt sein Erbarmen.

 

Es ist ein Menschensohn, der gekommen ist, nicht dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene. Durch sein Erbarmen wird der Lauf der Welt und ihrer Zeiten anders werden. Aus dem abstrakten Es kann so ein Wir werden und unser Leben zum Fest. Amen.

 

Lied nach der Predigt: Unser Leben sei ein Fest (Peter Janssens)



Wolfgang Petrak
Göttingen
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Bemerkung:
Benutzte Literatur: Hans Klein, Das Lukasevangelium, KEK 2006;
Georg Lämmlin, GPM 2/1999,S.308 -315



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