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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 05.07.2015

„Boots“wechsel.
Predigt zu Lukas 5:1-11, verfasst von Stefan Knobloch

Lk 5,1-11 ist ein feingesponnener Text voller Symbole. Es kann sogar sein, dass er im strengen Sinn keine reale Szene wiedergibt, sondern einen Stoff verarbeitet, der auf einzelne wirkliche Realszenen zwischen Jesus und Simon, Jakobus und Johannes und den anderen Fischern zurückgreift. Einen realen Hintergrund liefert dabei die Tatsache, dass Jesus ohne Frage in Galiläa und am See von Galiläa aufgetreten ist und dort den Menschen in ihr Leben hinein sein Bild Gottes näherbrachte, vom Reich Gottes sprach. Er traf die Menschen ins Herz. Sie fanden an ihm etwas, das ihn abhob von der Art, in der die Schriftgelehrten und Pharisäer die Welt Gottes darboten.

 

Jesus ist, umgeben von vielen Menschen, am Ufer des Sees. Er sieht zwei Fischerboote, die im leichten Wellenschlag dahindümpeln. Die Fischer haben die Boote verlassen und waschen ihre Netze. In beidem kann man eine stille Vorausnahme der folgenden Entwicklung sehen. Es ist zwar normal, dass Fischer nach ihren Ausfahrten ihre Boote verlassen und ihre Netze waschen. Warum aber tun sie das in diesem Fall nach einer Nacht, in der nichts ins Netz gegangen war? Man könnte das Waschen der Netze in diesem Fall bereits hier deuten als eine Netzreinigung für länger. Für immer gar?

 

Jesus steigt in das von Simon verlassene Boot ein, zusammen mit Simon und seinen Leuten, mit Jakobus und Johannes. Nach ein paar Ruderschlägen lässt er anhalten. Vom Boot aus wendet sich Jesus an die Menschen am Ufer. Er verkündet das „Wort Gottes“, wie es bei Lukas in einer Stereotype heißt, vom Boot aus. In ihm sitzen auch Simon und die anderen. Allein diese Szene, die Fischer im Boot zusammen mit dem verkündenden Jesus, macht aus ihnen szenisch mehr und etwas anderes, als sie eben noch waren. Sie hören nicht nur Jesus aus allernächster Nähe, sie spüren seinen Atem. Nein, sie bilden in diesem Boot sitzend einen Resonanzkörper der Worte Jesu an die Leute.

 

Dann endet Jesus, und er fordert Simon auf hinauszufahren und zu fischen. Das ist sinnlos, denkt sich Simon, nach der vergangenen Nacht. Aber die Aufforderung an ihn kommt von diesem Jesus, den er mit den anderen im Boot eben in dieser Eindrücklichkeit erlebt hat, die ihm und den anderen noch nachgeht. Simon lässt sich darauf ein. Dabei weiß er in seiner Antwort gar nicht recht, wie er Jesus ansprechen soll. Er nennt ihn Rabbi, weil ihm das nach seiner Rede wohl als das Angemessenste erscheint. Sie rudern hinaus – mit Jesus im Boot – und erleben einen Fischfang, dass ihr Netz auseinander zu reißen beginnt. Sie winken einem zweiten Boot, sie füllen beide Boote, so dass sie beide zu sinken beginnen.    

 

Als Simon, der Fischer, erahnt, wessen er hier innewird, fühlt er sich des vertrauten Verkehrs mit Jesus nicht würdig. Nicht Simon hatte ja die Nähe zu Jesus gesucht, sondern Jesus seinerseits war in Simons Boot gestiegen und hatte sich hinausfahren lassen. Jetzt sinkt Simon im Boot vor Jesus auf die Knie und sagt: Bitte, bitte, geh weg! Du bist nicht meine Welt. Das ist das eine, was hier mitschwingt. Noch stärker aber schwingt etwas anderes mit, was das weit Wichtigere ist: Simon spricht nach dem Lukasevangelium Jesus in diesem Moment nicht mehr mit Rabbi an, wie vorhin, sondern mit Herr, griechisch mit Kyrios. Darin schwingt das Bekenntnis zu Jesus als dem von Gott Gesandten mit. Ein Bekenntnis, zu dem freilich Simon in der Phase und Situation seines Lebens noch nicht in der Lage war. Das Lukasevangelium macht aus der Szene mehr, es übermalt sie mit einer tieferen Bedeutung. Das deutet sich nicht zuletzt darin an, dass in dieser Szene Simon unvermittelt Simon Petrus genannt wird. Ein Name, den Simon durch Jesus erst in der späteren Wahl der Zwölf erhalten wird (Lk 6,14)..

 

Bitte, geh weg! Geh weg von mir, äußert Simon. Staunen, Entsetzen hatte alle im Boot erfasst. Jesus geht nicht weg. Wohin auch in diesem Boot? Sie sitzen gewissermaßen schon alle „in einem Boot“. Jesus wendet sich Jesus zu. Hab keine Angst, Simon. Du brauchst jetzt kein Boot mehr, keine Netze, keinen See von Genesaret. Ab jetzt wirst du es mit Menschen zu tun haben, nicht um sie wie zappelnde Fische in Netzen zu fangen, ja, überhaupt nicht um sie zu fangen, sondern um sie zu einem wahren Leben vor Gott zu führen. Zu einem Leben, das du aus meinen Worten an die Leute in Ansätzen schon vernommen hast.

 

Und sie ziehen die Boote an Land, ein Bild der Endgültigkeit, dass jetzt etwas Neues beginnt. Sie folgen Jesus, sie wechseln „ins Boot der Nachfolge Jesu“.

 

Die feingesponnene Geschichte erweist sich über das Bisherige hinaus auch darin als feingesponnen, dass sie eine Kontinuität herstellt zwischen dem Fischerberuf des Simon, des Jakobus und des Johannes und ihrer neuen Berufung in der Nachfolge Jesu. Diese Kontinuität nimmt beides in ihre neue Lebensorientierung mit, sowohl die schönen Seiten ihres Berufes als Fischer, ihr Glücksgefühl und ihre Dankbarkeit über reiche Fischzüge als auch die oft vergebliche Mühe draußen auf dem nächtlichen See. Mitgenommen aber haben sie auch, zusammen mit Petrus, das Gefühl, des Verkehrs mit Jesus nicht wert zu sein. Nicht mithalten zu können mit ihm, mit seinem Tempo, mit seinem Engagement für die Menschen. Nur staunen zu können, wie selbständig er dachte und auftrat, wie er sich über Vieles, was den Menschen, zumal den Schriftgelehrten und Pharisäern als heilig galt, hinwegsetzte. Mitunter konnten sie, ihren alten Denkschablonen verhaftet, ins Grübeln darüber kommen, ob es Jesus nicht beinahe mehr um die Menschen als um Gott gehe. Bis sie an seinem Handeln erkannten, dass es Gott ja in der Tat um das Wohlergehen der Menschen ging, zumal der Zurückgebliebenen, der gesellschaftlich ins Abseits geratenen, womöglich der gerade aus religiösen Motiven Abgeschriebenen. Und dann erlebten sie Jesus als Beter, wie er die Nähe seines Vaters suchte. Das zog die Jünger in Bann nahm. Bitte, lehre uns auch so zu beten!

 

Vieles war es, was die Jünger an Jesus mitriss. Manchmal freilich drohten sie darüber die Realität ihres Lebens aus den Augen zu verlieren. Zum Beispiel, wenn sie sich in ihrer schwärmerischen Begeisterung selbstverständlich bereit erklärten, mit Jesus in den Tod zu gehen, wenn es denn zum Äußersten kommen sollte. Und was sonst noch an Großphantasien in ihren Köpfen war. Mit der Hinrichtung Jesu aber riss ihr Faden zu ihm ganz. Die einen verschanzten sich hinter verschlossenen Türen in Jerusalem, andere suchten das Weite auf dem Land. Dann aber erfasste sie die Präsenz ihres Herrn als Auferstandener und die Gewissheit: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!

 

Was hat das alles mit uns zu tun? Hat es überhaupt mit uns zu tun? Wenn wir unser Leben im Licht der Botschaft Jesu zu sehen versuchen, dann könnten wir im Bilde des Evangeliums sagen, dass der Auferstandene auch in unser Lebensboot eingestiegen ist, wie bei Simon. Der Auferstandene will ihm eine Richtung geben, in der sich unsere Lebensnetze füllen. Denn er ist es doch, der von sich sagte, er sei gekommen, damit wir das Leben haben, und es in Fülle haben. Das ist wahrscheinlich eine Fülle, die er uns in unsere leeren Hände hinein schenkt.  



Prof. em. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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