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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 21.11.2007

Predigt zu Lukas 13:22-30, verfasst von Maximilian Heßlein

Titelbild der Frankfurter Rundschau vom 21.9. 2007 wird gezeigt (FR vom 21.9.2007, S. 1).

[Vgl. http://www.fr-online.de/top_news/?em_cnt=1213632&sid=dd6752e171bd248dea9b66e38b66a919   und

http://www.fr-online.de/top_news/?em_cnt=1213632&em_src=308490&em_ivw=fr_topnews ; vgl. auch http://www.welt.de/kultur/article1199238/Das_Fotoalbum_der_Taeter_aus_Auschwitz.html  ]

 

Regen aus heiterem Himmel. So ist dieses Bild unterschrieben, das Sie, liebe Gemeinde, hier sehen können. Ich finde: Es ist ein schönes Bild. Eine unbeschwerte Lebensfreude drückt sich darin aus. Es scheint voller Fröhlichkeit und Ausgelassenheit, voller Energie und Lachen. Tiefer Friede liegt über dieser Szene. Den Menschen geht es ausgesprochen gut. Sie genießen ihre Umgebung.

Dieses Bild ist eines, das mich in den letzten Monaten sehr bewegt und sehr beschäftigt hat. Deswegen muss ich jetzt zum Hintergrund dieses Bildes noch etwas sagen. Das muss man wissen: Diese Unbeschwertheit, dieses Lachen und Ausgelassensein findet auf der Solahütte im Sommer 1944 statt. Die Solahütte war ein Naherholungsgebiet für die Lagermannschaften der SS des Konzentrationslagers Auschwitz im damals besetzten Polen. Dreißig Kilometer von den Orten des Schreckens entfernt.

Dieses Bild entstand wohl am 22.7.1944. Da waren in Auschwitz-Birkenau gerade die jüdischen Menschen Ungarns vernichtet worden. Die hatten bis zum 19. März des Jahres noch vergleichsweise sicher in ihrem Land gelebt. Die ungarische Regierung hatte, obgleich mit Deutschland im Bunde, sich bis dahin - anders als die französischen Kollaborateure in Vichy - nicht an der Verfolgung beteiligt. Dann aber wurde Ungarn von den Deutschen besetzt und innerhalb weniger Wochen wurden die Deportationen ins Konzentrationslager Auschwitz unter der Organisation Adolf Eichmanns vorangetrieben. Zwischen März und Juni sind nach Schätzungen in Auschwitz etwa 440 000 Menschen aus Ungarn vergast worden. Das ist etwa die Einwohnerzahl Heidelbergs und Mannheims zusammengenommen. Alle tot. Alle ermordet. Den Erfinder des Mordens mit Gas, Rudolf Höß, hatte man sich deswegen extra noch einmal zur Hilfe nach Auschwitz geholt. Das Morden freilich hörte auch danach nicht auf.

Zur Entspannung aber zogen die Mannschaften nach vollbrachtem Werk in die Berge und machten sich ein schönes Wochenende, wie Menschen das eben tun, wenn sie eine anstrengende Arbeit verrichtet haben: Singen zum Akkordeon, ein bisschen flirten, Blaubeeren essen, Witze erzählen, sich erholen. Das Leben spüren. Der Ausflug war schlicht eine Belohnung für die gute Arbeit.

Vielleicht haben Sie dieses Bild auch in der Zeitung gesehen. Es gehört zu einer ganzen Serie von Aufnahmen, die seit Mitte September im United States Holocaust Memorial Museum in Washington veröffentlicht sind. Sie stammen von Karl-Friedrich Höcker, dem Adjutanten des damaligen Lagerkommandanten, des SS-Sturmbannführers Richard Baer. Höcker dokumentiert die Freizeit im Alltag der Lagermannschaften. Er dokumentiert nicht das Morden. Es ist stattdessen ein ganz normales, alltägliches Leben, das da zu sehen ist: Da gehen Menschen ihren Aufgaben nach. Sie pflegen die Gesellschaft und Gemeinschaft zu Kolleginnen und Kollegen. Es werden rauschende Feste gefeiert, Tiere gepflegt und Gedanken ausgetauscht.

Es ist eine grauselige und beschämende Vorstellung, dass zu der gleichen Zeit, in der diese Bilder entstanden, das große Sterben in den Vernichtungslagern und auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges einfach weiterging.

Dabei war mir überhaupt nicht so zuwider, dass diese Männer und Frauen sich so ihre Entspannung suchten. Das ist etwas, das sie am Jüngsten Tag vor Gottes Richterstuhl mit ihm werden ausmachen müssen, damit jeder seinen Lohn empfange. Dem gehen wir nämlich alle entgegen.

Was mir deswegen so zuwider war, vielmehr was mich tief erschreckt hat, ist etwas anderes: Diese Frauen und Männer auf den Bildern sehen aus wie Sie und ich. Das sind keine Monster oder blutrünstige Wesen. Das Schreckliche und Grausame sehe ich ihnen nicht an. Sie sind so, wie Gott auch mich geschaffen hat.

Liebe Gemeinde, ich bin der festen Überzeugung: Die Menschen auf diesen Bildern, die Lagermannschaften der Konzentrationslager haben von den ungeheuerlichen Dingen gewusst, die da an Menschen gemacht wurden. Sie haben von dem Töten, Quälen und Morden gewusst. Und sie haben mitgeholfen, das in die Tat umzusetzen. Niemand ist da wirklich schuldlos geblieben.

Ich bin auch der festen Überzeugung: Diese Menschen haben von der Größe ihrer Schuld gewusst. Ein Anzeichen dafür ist mir übrigens, dass viele in der sog. Tätergeneration nicht über diese Zeit gesprochen haben und, wenn sie denn noch leben, bis heute nicht darüber sprechen.

Dagegen haben sie den Versuch unternommen, aus diesem mörderischen Alltag auszubrechen. Das war eigentlich nichts anderes, als ein Ringen darum, selig zu werden, die Last abzulegen und sich anderen Dingen zuzuwenden. Der Musik. Dem Leben. Hinweg und fort vom Tod.

Ich habe solche Situationen sofort wieder erkannt und bin darüber sehr nachdenklich geworden. Bei der letzten Posaunenchorfreizeit, bei der ich dabei war, sind genau solche Bilder entstanden. Wir haben gelacht, musiziert, getrunken und uns prächtig unterhalten. Das war ungeheuer entspannend. Wir haben gespielt und die Zeit vollkommen losgelöst von den Dingen des Berufs ruhig verbracht.

Ihr Lieben, beim Anblick dieser Bilder aus Auschwitz habe ich in meinen eigenen Spiegel geschaut. Lassen Sie doch noch einmal dieses Bild auf sich wirken. Kennen Sie solches nicht auch?

Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht.

Nun muss und will ich an diesem Abend des Buß- und Bettages einmal einen Schnitt machen: Kaum hat sich einer unter uns solche Dinge zuschulden kommen lassen wie diese Menschen in Auschwitz. Sie nicht und ich auch nicht. Trotzdem und das ist das Unheimliche an diesen Bildern und besonders an diesem Bild, das Sie vor sich haben, sind diese Menschen mir auf eine unheimliche Weise ähnlich und verwandt.

Es sind Menschen wie Sie und ich. Und sie ringen um ihre Seligkeit. Im Blick aber in diesen Spiegel des Bildes erkenne ich, wie sehr ich selbst um meine Seligkeit ringe, wie sehr ich hilflos versuche, Geschehenes ungeschehen zu machen, mein Leben selbst in den Griff zu bekommen.

In dieser Situation stehe ich direkt, hier und heute, vor Gottes Thron und Richterstuhl, weil nur ihm ein Urteil über mein Leben zukommt. Niemand anderem. Und zugleich fürchte ich, dass ich sein Wort höre: Weicht von mir alle Übeltäter; denn im tiefsten Innern meines Herzens kann ich doch im wahrhaftigen Blick auf mein Leben nur mit seiner verschlossenen Tür rechnen. Das ist meine Furcht im Angesicht Gottes. Keiner nämlich kann mein Leben frei sprechen. Keiner kann mein Leben in der Sicherheit wiegen, alles stehe schon zum Besten. „Du wirst schon vor Gott bestehen."

So ringe ich, ringe mit Gott, ringe mit mir und ringe mit den Menschen meines Lebens um meine Seligkeit und versuche, alles selbst zu richten und meinen Zweifel und meine Angst wegzudrücken.

Irgendwann aber wird mein Ringen zu Ende gehen, weil die Kraft zu Ende geht, weil ich merke, dass ich nichts ausrichten kann mit meinem Tun. Ich erlange keine Sicherheit. Dann hilft mir nichts mehr, als das Urteil Gottes über mein Leben zu akzeptieren und in Demut um Vergebung zu bitten. Vergebung für alles, was ich nicht vollbringe. Vergebung für alles, was ich an anderen falsch und schlecht gemacht habe. Vergebung dafür, dass an vielen Stellen nicht einmal mein Bemühen um eine gute Lösung da war, dass ich leichtfertig über andere hinweggegangen bin. Ich glaube, da kennt jede und jeder von uns seine offenen Stellen und Brüche.

Genau in diesem Augenblick der Erkenntnis aber springt ein anderer in die Bresche und nimmt mir das Ringen um meine Seligkeit. Wenn das Heulen und Zähneklappern groß ist, wenn ich mich in die Gegenwart Gottes begebe, die Klinke der verschlossenen Tür drücke und von drinnen die Stimme höre: „Weiche von mir", dann wird Christus kommen, die Tränen über das Misslingen trocknen und dafür sorgen, dass kommen werden von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.

Das, Ihr Lieben, das kann ich in dieser Welt nicht selber herstellen. Die Tür in den Raum Gottes ist für mich zu eng. Das lerne ich aus dem vergeblichen Bemühen, selig zu werden, das ich in diesen Bildern wiederfinde.

Das zu vollbringen, ist allein Gottes Werk in unserem Erlöser Jesus Christus. Das aber zu erkennen, dem mich selbst zu übergeben, mich ganz und gar hinzugeben und darauf zu vertrauen, das ist die Buße, die ich in diesem Leben zu vollbringen habe.

Einen anderen Zeitzeugen nehme ich mir gerne als Gewährsmann dazu. Jochen Klepper, Dichter, Schriftsteller, Sänger so vieler fantastischer Lieder in unserem Gesangbuch. Er endete unter dem Druck der nationalsozialistischen Verfolgung gegen seine Familie kurz vor seinem Tode sein Tagebuch mit eindringlichen, bewegenden Worten. Er wusste seinen Kampf um die Seligkeit seiner Familie verloren. Er schrieb zuletzt:

„Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott - Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben."

Das, liebe Gemeinde, ist meine einzige und alleinige Hoffnung im Leben und im Sterben. Im Anbetracht des Makels, den mein Leben in dieser Welt hat, weiß ich keine andere Zuflucht und keine andere Hoffnung als das Wirken und Tun meines Erlösers. Und ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Amen.

 

Zu Klepper: vgl.  http://www.heiligenlexikon.de/BiographienJ/Jochen_Klepper.htm

 



Pfarrer Maximilian Heßlein
Heidelberg
E-Mail: m.hesslein@gmx.de

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