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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2015

Gültige Globalisierung?
Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Reinhard Schmidt-Rost

Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen:

Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Liebe Gemeinde!

Am 15. September 2015soll dem Ratsvorsitzenden der EKD, Bedford-Strohm, eine zum Reformationsjubiläum durchgesehene Fassung der Bibelübersetzung Martin Luthers überreicht werden. Ich bin gespannt, wie dann die letzten Verse des Matthäus-Evangeliums in dieser „Durchsicht der Revision“ von 1984 lauten werden.

Die Revision der Lutherbibel von 1984 jedenfalls ist bei dieser Bibelstelle nach meinem Sprachgefühl keine Übersetzung, auch keine Übertragung, sondern eine tragische Überwältigung, ich wehre mich gegen diese Verfälschung des christlichen Glaubens – und zwar an drei Punkten:

1.) Mir ist gegeben alle „Gewalt“ im Himmel und auf Erden …

Die Übersetzer schwanken zwischen authority und power, zwischen Autorität, Macht und Gewalt, für mich gibt es nur eins: Autorität, Vollmacht Christi … das erkenne ich an, das glaube ich … denn ich kann die Gründe für die Autorität Christi, wie sie uns aus dem NT entgegenkommt, und uns alle heute wieder zusammengeführt hat, gut erklären. Dazu muss ich auf den zweiten Punkt zu sprechen kommen:

2.) Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker –

Ich habe im Konfirmanden-Unterricht (vor den Revisionen von 1975 und 1984) auswendig gelernt: „gehet hin und lehret“ … nicht „macht zu Jüngern“ ... denn für heutige Ohren klingt das „macht sie zu Jüngern“ wie: Zwingt sie in unsere Gemeinschaft, steigert die Mitgliederzahlen und den Gottesdienstbesuch … davon konnte aber damals keine Rede sein, welche Gemeinschaft hätte das denn sein sollen? Viel sinnvoller ist doch: vermittelt ihnen meine Gedanken, lehrt sie, wie ich euch, meine Jünger belehrt habe. Wenn man das griechische Wort „matheteusate“ näher betrachtet, dann muss man übersetzen: „lehrt sie wie man Schüler oder Jünger belehrt“, nicht: „Macht sie zu Jüngern – oder gar zu Anhängern oder Fans“. Die Grundform des Verbs matheteuesthai ist medial - matheteuesthai: sich wie ein Schüler belehren lassen … also kann das Aktiv nicht heißen: Macht sie zu Jüngern, sondern: Belehrt sie so einleuchtend, wie man Schüler belehrt, didaktisch kompetent – würde man heute sagen. Geistliche Bildung ist gerade nichts Aktives, sondern eben etwas Mediales: Man wird gebildet, indem man sich bildet, sich dem Heiligen Geist aussetzt.

3.) Und dieser Bildungsvorgang geschieht so, dass man sich den Worten, den Vorstellungen und Bildern aussetzt, die das Evangelium vermittelt: … und lehret sie zu bewahren alles, was ich euch aufgetragen habe … es geht nicht darum, Gebote zu befolgen, sondern Worte, Einsichten zu bewahren, die Bilder der Botschaft auf sich wirken zu lassen, die Bilder, die allen Menschen gut tun …das Bild vom Salz und vom Licht, das Bild vom entgegenkommenden Vater und – schon längst im Alten Testament die Bilder von Gott als Mutter, die ihr Kind tröstet, wie einen seine Mutter tröstet, oder von den Adlerflügel, die sicher führen …

Meine Übersetzung würde also so lauten:

Mir ist gegeben alle Autorität im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie zu bewahren alle Gedanken, die ich euch zu bewahren aufgetragen habe. Und siehe, ich bin bei Euch bis an das Ende dieser Weltzeit.

Diese Sätze am Ende des Matthäus-Evangeliums sind eine Antwort auf die Frage: Wie ist das Evangelium in der Welt zur Wirkung gekommen, wie hat es sich ausgebreitet?

Es ist doch im Grunde nicht zu verstehen, dass es dazu gekommen ist: Da geht ein junger Lehrer, weitab von der Reichs- und Welthauptstadt Rom durchs Land, Schulen gibt es für die Landbevölkerung praktisch noch nicht, lesen kann hier kaum jemand, er spricht zu den Leuten, die er so trifft, Fischer, Hausfrauen, Bauern, Winzer, er ist selbst Sohn eines Zimmermanns, wer weiß, wer ihn auf die Idee gebracht, sich als Lehrer auf Wanderschaft zu begeben. Und dann ärgert seine Lehre die Autoritäten im Land und sie lassen ihn von der Besatzungsmacht hinrichten.

Und 40 oder 50 Jahre später schreibt ein einigermaßen gebildeter Mensch ( - denn er kann schreiben, was sonst nur wenige können -), er schreibt stolze Worte auf, die von diesem Zimmermannssohn gesprochen worden sein sollen:

„Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden!“

Wie soll man begreifen, dass dieser Lehrer, Jesus aus Galiläa, eine derart große Wirkung entfaltete, dass seine Lehre und diese Worte noch heute eine Rolle in unserer Gesellschaft spielen, nach fast 2000 Jahren? Denn sie wirken ja weiter und geben zu immer neuen Überlegungen und Auslegungen Anlass.  

Was bedeutet dieses: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“? Was hat Jesus gemeint, was hat der Evangelist gehört?

Ging es um militärische, physische Macht, also um Gewalt, wie es im Luther-Text 1984 heißt, um power, wie es in der englischen King James Bible heißt oder um geistigen Einfluss, um die Autorität eines Denkers, eines Gedankens, um authority, wie neuere englische Übersetzungen lesen?

Es ist eigentlich völlig einleuchtend, - und ich habe es hier schon so oft gesagt, dass ich es fast nicht zu wiederholen wage, aber ich muss es wiederholen: Die Kraft, die Leben spendet, entfaltet, pflegt, bewahrt, ist die schonende Kraft der Güte, des Pflegens die Kraft des Entgegenkommens, der Einfühlung, der Begleitung. Wir können diese Kraft überall erleben, wo Menschen Hilfe zum Leben brauchen und erhalten, Kinder und Kranke, Fremde und Vertriebene, Alternde und Abgeschobene; wir können diese Kraft aber auch aneinander erleben: Wie Sie alle mir seit vielen Jahren freundlich begegnen, mit milder Erwartung, so wächst mir und meinen Kolleginnen und Kollegen die Kraft zu, gegen die durchaus wirksame, aber eben zerstörende Macht der Gewalt und für die Kraft der Güte Zeugnis abzulegen, auch gegen die Gewalt des Wettbewerbs, der Kompetenz und Konkurrenz.

Wenn es doch aber klar – und auch gut nachvollziehbar ist, welche Kraft der Lehrer vom Lande gemeint hat, nämlich die, die den Menschen zum Leben hilft, die Kraft auch der Menschenbildung und Menschenfreundlichkeit, warum muss immer noch darüber geredet werden? Warum müssen auch noch die Zeichen der Taufe und des Abendmahls, des reinigenden und stärkenden Wassers und der Stärkung mit den Grundstoffen des Lebens und des Geistes zur Bekräftigung hinzukommen?

Die Macht, mit der Christus die Welt regiert, hat eine Eigenart, die wir alle kennen – und doch gerne ändern würden: Diese Kraft ist flüchtig, wie Worte flüchtig sind, man muss jeden Tag neu darum bitten, man muss sie jeden Tag neu bekommen, die Worte, die zur Güte lenken! Denn diese Kraft ist völlig verständlich, gut erfahrbar und zugleich alles andere als selbstverständlich unter uns gegenwärtig wirksam. Sie gilt nichts in der Welt der Kriege und Konflikte, aber sie wird auch in der Welt der Kompetenzen und Konkurrenzen schnell übergangen, und die Wissenden und Weisen fürchten ihre Flüchtigkeit, ihre geringe Stabilität, nicht von ungefähr, und viele achten sie deshalb auch gering.

Liebe Gemeinde!                                                                                       „Missionsbefehl“ überschreibt die Lutherbibel diese vier Verse am Ende des Matthäus-Evangeliums. Ob das auch in der neuen Durchsicht für 2017 so bleiben wird? Ich hoffe nicht!

Denn: erstens sind Jesu Worte Matthäi am letzten kein „Befehl“, sondern eine Ermutigung, seine Worte zu bewahren und weiterzusagen,

zweitens verstehen wir heute unter Mission einen Prozess, der mindestens mit Nachdruck, wenn nicht mit Druck an sein Ziel kommen will. Bringt mehr Leute dazu, wieder in die Kirche einzutreten, oder sich oder ihre Kinder taufen zu lassen.

Und drittens hat mich gerade in dieser Woche ein Kollege aus der katholischen Fakultät darüber aufgeklärt, dass die frühe Christenheit den Begriff „Mission“, so wie wir das Wort heute verstehen, gar nicht kannte. Der christliche Glaube hat sich von Mund zu Mund verbreitet. Selbst der Apostel Paulus war kein „Missionar“, sondern ein Zeuge für die neue Sicht der Welt und der Menschen; gewiss, er ist von dieser Botschaft erfüllt, weit gereist, aber ob er bewusst missionieren wollte, oder nur seinem Gewerbe nachging und dabei verbreitete, was er als Evangelium gehört hatte, darüber werden wohl auch die Historiker kein einheitliches Urteil fällen.

Ich habe es mir immer nach Art der „stillen Post“ vorgestellt, wie sich das Evangelium verbreitet hat, nicht mit gewaltsamen Massentaufen, wie es aus der Zeit Karls des Großen und von anderen schrecklichen Vorkommnissen in der Weltgeschichte berichtet wird, sondern als ein ganz allmähliches Einsickern einer befreienden Botschaft, einer aufklärenden Einsicht …

Da leben Menschen vor zwei- und dreitausend Jahren und spüren, dass alle Versuche scheitern, die Menschen zu einem Leben aus Liebe und Güte zu bewegen … und sehnen sich doch so nach einer friedlichen und freien Lebensweise, die die Gemeinschaft schont und nicht zerstört.

Das Alte Testament ist voll von Geschichten, die diese Tendenz zu fördern versuchen, der Trend, der Gewalt abzuschwören, der Trend zur Kultivierung ist unverkennbar.

Die Geschichte von Kain und Abel ächtet den Mord, die Sintflut-Geschichte ächtet die Gewalt und der Turmbau zu Babel verachtet die gewalttätige Einheitssehnsucht der Menschen, ganz zu schweigen von den Propheten und Psalmen, die Gewalt als Lebensmöglichkeit ablehnen und sich der Güte zuwenden, die sie bei Gott finden.

Und nun Jesus: Seine Geschichten sprudeln über von überraschender Liebe und göttlicher Güte, von Entgegenkommen und Annahme der Ausgestoßenen. Da kommt die andere Macht, die Macht der Güte und Liebe ganz vielfältig und zugleich ganz beeindruckend zur Wirkung …

Und wir hier? Wir kommen immer wieder zusammen, um uns gegenseitig zu bestätigen, dass das Bild vom gütigen Gott kein Trugbild ist, sondern genau die Vorstellung vermittelt, die Welt und Menschheit erhält … bis an das Ende der Weltzeit. Nur aus der Kraft der Güte wird eine Globalisierung möglich sein, die diese Welt nicht vorzeitigt an ihr Ende bringt. Darauf aber können wir nur hoffen und dafür beten.

Ich habe die Lieder für diesen Gottesdienst so ausgewählt, dass wir nach der Bitte um den Heiligen Geist am Anfang (EG 155), ein Jubellied auf Christi Königtum aus der Zeit der Aufklärung (EG 123) gesungen haben, so als wäre der Berg in Galiläa ein Bild von der Thronbesteigung Christi – und dieses Bild, es ist mir etwas zu majestätisch, aber es ist ein frisches Lied – und sein Inhalt gilt ja auch durchaus für unser Leben; über unser Leben herrscht Jesus Christus schon lange als König, aber gerade deshalb sind wir uns auch dessen bewusst, dass diese Welt nicht uns gehört und wir alles, was wir an Gutem empfangen, von Gott erwarten – und so singen wir jetzt zunächst: Die Erde ist des Herrn (EG 677) und dann noch vor dem Abendmahl: Aller Augen warten auf Dich (EG 461).

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 



Prog.Dr. Reinhard Schmidt-Rost
Bonn
E-Mail: rd Schmidt-Rost r.schmidt-rost@uni-bonn.de

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