Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2015

Sendung und Zweifel
Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Siegfried Krückeberg

 

16Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. 18Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Matthäus 28,16-20)

Liebe Gemeinde!

Welche Religion ist die einzig wahre? Christentum, Islam oder Judentum? Diese spannende Frage haben sich vor Kurzem Schüler aus Hanau gestellt. Und zwar aus der Tümpelgartenschule. Auf diese Schule gehen sehr viele Kinder aus Migrantenfamilien. Die stammen aus den verschiedensten Ländern, und die Schüler gehören unterschiedlichen Religionen und Konfessionen an. Aber durch das Projekt „Trialog der Religionen“ haben sie gelernt, sich gegenseitig wahrzunehmen, besser zu verstehen und zu respektieren. Sie sind zu einer Gemeinschaft geworden, in der einer dem anderen hilft.

Zusammen mit ihrem Religionslehrer haben sie miteinander Kirchen, Moscheen und Synagogen besucht, und sie haben recherchiert, was Christentum, Judentum und Islam in ihrer langen Geschichte gegen Armut und Ungerechtigkeit getan haben und tun oder wie religiöse Konflikte entstehen. Ihre Ergebnisse haben sie in einem Film zusammengefasst. Und zwar zu Lessings berühmter Ringparabel. Da will ein Vater von drei Söhnen dem, den er am meisten liebt, einen Ring schenken. Aber er kann sich nicht entscheiden. Also lässt er zwei weitere Ringe machen und gibt jedem Sohn einen Ring. Die gehen zu einem Richter, aber der sagt: „Findet selber heraus, welcher der richtige Ring ist, und zwar durch gute Taten!“ In der Parabel stehen die Ringe für die drei Weltreligionen. Es geht also darum, wer die meisten guten Taten zu Stande gebracht hat, sagen die Schüler. In ihrem Film wird das in Form einer Gerichtverhandlung untersucht und beurteilt. Und dabei kommt so einiges zu Tage: zum Beispiel dass im Namen des angeblich christlichen Abendlands Menschen anderen Glaubens diffamiert und ausgegrenzt wurden und noch werden. Dass es Kriege im Namen Gottes gibt, und wir als Christen oft versagen angesichts von Flüchtlingselend und Ausbeutung. Aber die Schüler bringen auch die andere Seite zur Sprache und auf die Frage, was sie denn durch ihre Untersuchungen gelernt haben, sagen sie im Originalton: „Es gibt immer noch Kriege, Konflikte und Hass, es gibt immer noch Ungerechtigkeiten - dass trotzdem auch manche Religionen sich bemühen, aber es nicht so richtig hilft - dass fast alle Religionen gleich sind, und man sollte nicht unterscheiden, welche Religion die bessere oder die schlechtere ist.“

Dass die Schülerinnen und Schüler zu dieser Einsicht gekommen sind, hat mich sehr beeindruckt. Aber wie passt sie zusammen mit dem Aufforderung Jesu, wenn er sagt: „Gehet hin und macht zu Jüngern alle Völker“? Auf jeden Fall sollen wir anderen Menschen unseren Glauben nicht aufdrängen, weder mit Gewalt noch wirtschaftlichem Druck, wie das in der Geschichte des Christentums leider so oft geschehen ist. Und auch nicht, indem wir anderen ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie nicht so glauben wie wir. Aber wir können versuchen, von unserem Glauben zu erzählen, wie er uns in schwierigen Situationen geholfen hat, aber auch von unseren Zweifeln.

Ich selbst erlebe das in einem Chor, in dem ich singe. Er wird von einer christlichen Kantorin und einem jüdischen Vorsänger geleitet. Wir, die Mitglieder, sind Christen, Juden, Muslime und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften. In jedem unserer Konzerte steht ein bestimmter Psalm im Mittelpunkt, zuletzt Psalm 90. In unseren Proben und Konzerten singen wir nicht nur, sondern wir sprechen auch darüber, wann und wo der jeweilige Psalm ursprünglich angestimmt wurde, und wie unterschiedlich er von Juden und Christen interpretiert wird. Und auch nach den Proben stehen wir oft noch zusammen und unterhalten uns. Das sind manchmal sehr persönliche Gespräche. Wir stellen uns auch kritische Fragen zu unserem jeweiligen Glauben, erzählen von Phasen in ihrem Leben, in denen er uns geholfen hat oder in denen wir ins Zweifeln gekommen sind.

Wer zweifelt, ist ja nicht gleich ein Ungläubiger. Nein, er ist vielmehr hin und her gerissen: vielleicht lässt er sich in den Bann ziehen von den biblischen Geschichten oder der Poesie der Psalmen, ist überwältigt von der Atmosphäre einer schönen Kirche, ergriffen von Gesängen und Gebeten, von Musik und Kerzenschein im Gottesdienst. Und auf der anderen Seite sind da diese Fragen, die Sie sich vielleicht auch stellen: Begegnet mir in unseren Gottesdiensten wirklich der Jesus, den die Bibel den Sohn Gottes nennt, oder ist das alles nur eine Projektion, eine Wunschvorstellung, ein Ideal ohne Realität?

Und genau von solchen Zweifeln ist auch im Matthäusevangelium die Rede. „Sie zweifelten“ heißt es da von den Jüngern. Vielleicht waren es nur einige, vielleicht sogar alle. Das wird im griechischen Originaltext nicht ganz deutlich. Auf jeden Fall werden die Zweifel der Jünger nicht verschwiegen. Und das macht diesen Abschnitt für mich so sympathisch. Auch die Jünger waren sich nicht sicher, ob sie ihren Augen und Erinnerungen trauen können. Und sie wussten oft nicht, wie sich das Reich Gottes, von dem Jesus gesprochen hatte, Wirklichkeit wird.

Solche Unsicherheiten und Zweifel entstehen oft in der Krise. Gerade auch beim Verlust eines lieben Menschen. Da hilft die Erinnerung an die Zeit, wie es miteinander angefangen hat. Die erste Begegnung, das erste gemeinsame Erlebnis, das erste intensive Gespräch, der erste Kuss. Vielleicht kehren die Jünger deshalb nach Galiläa zurück. Denn dort hat Jesus sie angesprochen und verwandelt, zu Menschen, die ihm nachgefolgt sind. Hier schließt sich der Kreis, hier gibt es einen Neuanfang.

Und dann gehen sie los und geben ihren Glauben an alle Völker dieser Erde weiter. Mit nichts in der Hand! Wie ist das zu erklären? Weil sie immer wieder eine Kraft gespürt haben, die sie getragen und begleitete hat. Es ist eine Kraft, die uns Dinge tun lässt, über die wir uns später wundern. Zum Beispiel wenn wir spontan helfen, ohne groß nachzudenken, welche Folgen das haben könnte. Wenn wir Menschen aufnehmen und mit ihnen teilen, auch wenn wir und vielleicht auch die Familie sich dadurch einschränken muss. Wenn wir andere unterstützen, ohne zu fragen, ob uns das Geld morgen vielleicht nicht fehlen wird. Oder wenn wir Menschen schützen, die ausgegrenzt und angefeindet werden, auch wenn das vielleicht Konsequenzen für unser eigenes Ansehen hat.

Dass wir dazu die Kraft bekommen, ist für mich Hinweis auf eine Wirklichkeit, die mehr umfasst als das, was wir mit unseren fünf Sinnen erfassen können. „Himmel und Erde“ sagt die Bibel dazu. In dieser Wirklichkeit können wir leben, wenn wir in allem, was wir tun, nicht nur uns selbst, sondern auch andere im Blick haben und ihnen dienen, und das nicht nur im Rahmen unserer Familie, unserem Freundeskreis, unserem Stadtviertel, unserem Land, sondern über alle Grenzen hinweg.

Zugegeben, dabei geht einem manchmal die Puste aus, die Beine werden schwer, man zweifelt. So wie die Jünger. Aber dann kommt Jesus auf sie zu, tritt näher und sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“ An diese Zusage können wir uns erinnern, wenn es schwierig wird. Und es hilft, wenn wir das nicht nur für uns alleine tun, sondern mit anderen zusammen, im Gespräch, im gemeinsamen Singen und Beten.

Amen.



Pfarrer, Prof. Dr. Siegfried Krückeberg
Frankfurt/Main
E-Mail: medio.ffm@ekkw.de

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