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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2015

Im Vertrauen Leben
Predigt zu Matthäus 28:16-20, verfasst von Marion Werner

 

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

wer ist frei von Zweifeln? Und wer vertraut sich bedingungslos einem anderen an? Zweifel gehört zu unserem Leben dazu ebenso wie Vertrauen. Der Zweifel ist meistens zuerst da. Ist das wirklich so? Kann man das wirklich schaffen? Sollte Gott das wirklich gesagt haben? – fragt die Schlange im Paradies. Zweifel ist so alt wie die Menschheit. Aber er ist nicht immer etwas Schlechtes. Er kann aus Menschen auch bessere Menschen machen. Wenn man nämlich glaubt, man sei fantastisch, dann entwickelt man sich nicht wirklich weiter. Wer zweifelt, will lernen und sich verbessern.

Und wie steht es um das Vertrauen? Vertrauen will gelernt sein. Wir vertrauen meistens nicht sofort jemandem. Und in den seltensten Fällten blind. Wir sind zuerst eher zurückhaltend. Wir schauen uns den Menschen genau an. „Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser“ heisst es ja. Wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben, wem wir unser Vertrauen schenken. Deswegen ist es so unendlich wichtig, dass neugeborene Kinder gute Eltern haben, gute Bezugspersonen mit denen sie das Urvertrauen lernen. Das Urvertrauen, das sie später im Leben dann dazu befähigt, verschiedenen Menschen und Lebenssituationen Vertrauen zu schenken. Kinder, die solches Urvertrauen nicht aufbauen konnten haben es erfahrungsgemäss später im Leben viel schwerer jemandem zu vertrauen.

Um Zweifel und Vertrauen geht es in unserem Predigttext von heute. Er bildet den Schluss des Evangeliums nach Matthäus. Ein bekannter Text, den wir immer dann lesen, wenn ein Kind getauft wird. Ein Text, der die trinitarische Taufformel enthält, mit der seit Jahrhunderten Christinnen und Christen getauft worden sind.

 

Wir hören Matthäus 28,16-20

Liebe Gemeinde, obwohl ich diesen Text als Pfarrerin sehr gut kenne und oft benutze – man könnte daher meinen, es gibt für mich nichts mehr Neues zu entdecken, blieb ich dieses Mal an einem Nebensatz hängen, den ich so genau noch nicht wahrgenommen hatte. Da steht im V 17 – „Und als die Jünger ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten“. Einige Zweifelten. Da war also Jesus auferstanden. Bei Matthäus wird das sehr spektakulär berichtet: Erdbeben, Engelserscheinungen, Jesus als der Auferstandene begegnet Maria Magdalena und der anderen Maria, und dann erscheint er seinen Jüngern. Und was tun diese, die Männer, die ihm am nahsten standen, seine Vertrauten? Sie fallen vor ihm nieder, beten ihn als den auferstanden Sohn Gottes an und zweifeln! Ja, sie zweifeln. Sie hatten ihn doch sterben sehen und nun war er wieder da? Was war das für ein Ding mit der Auferstehung? Und wohin ging er nun? Was war das alles?

Am Ende des Evangeliums, das ja sozusagen den Höhepunkt bildet, weil es von Jesus, dem Auferstandenen erzählt, von seinem Auftrag an die Jünger und seinem grossen Versprechen – also seinen letzten Willen festhält. Am Ende stehen die Vertrauten da und zweifeln.

Und was macht Jesus? Er stellt sich ihnen noch einmal vor. Er, den sie begleitet hatten, der arme Wanderprediger, den sie Meister genannt hatten, er ist nun der Auferstandene. Und noch mehr als das „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ sagt Jesus. Er stellt sich als der vor, der er wirklich ist. Er ist der Erlöser, der mit der Macht des Schöpfergottes spricht, dem die Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. Und als solcher beauftragt er seine Jünger hinzugehen zu allen Völkern: Menschen zu taufen und sie zu lehren all das zu halten, was Jesus ihnen befohlen hatte.

Es ist nicht so, dass Jesus die Zweifel der Jünger nicht sieht. Das würde nicht zu ihm passen. Jedoch ist ihm klar, Zweifel und Vertrauen, Zweifel und Glauben, den der Glaube ist ja nichts anderes als ein Vertrauen auf Gott, beides gehört zu unserem Leben. Beides ist Teil unseres Lebens. Und trotz des Zweifels, oder vielleicht gerade wegen des Zweifels, schickt Jesus sie los. „Der Zweifel erst macht den Theologen“ sagte Luther. Und meinte damit, dass der Zweifel ein Ansporn ist zum weiteren Forschen.

Jesus schickt seine Jünger los mit all ihrem Vertrauen und all ihrem Zweifel. Er wartet nicht darauf, bis sie frei von jedem Zweifel sind um loszugehen. Jesus weiss, dass wir ein Leben lang daran sind Glauben, Vertrauen, Nachfolge einzuüben. Aber das ist auch unsere Chance. Das ist die Chance andere Menschen für Gott zu gewinnen. Perfekte Superchristen schrecken ab. Solche die erkennen lassen, dass sie selber noch am Lernen sind, finden leichter Menschen die mitgehen. Das Zeugnis des eigenen Lebens macht wahrhaftig.

Ändern wir nun unsere Perspektive vom Mensch hin zu Gott. Auch in diesem Text begegnet uns Gottes bereits bekannte Handlungsweise: Jesus stellt sich zuerst vor als der, dem man vertrauen kann, und gibt dann seinen Willen kund. In seinem Auftrag finden wir das gleiche Paar: Zuerst Taufe, als Gottes gnädige Zuwendung, und dann Lehre dessen, was zu befolgen ist. Blicken wir auf den Anfang der Bibel, die Mosesgeschichten: Da stellt sich Gott auch zuerst vor, rettet sein Volk auf wunderbare Weise aus Ägypten, und dann erst gibt er die Gebote als Richtlinien für ein Leben in Freiheit. So handelt Gott: er verlangt nicht erst Gehorsam und Perfektion bevor er seine Güte schenkt, sondern er ist es, der zuerst an uns handelt, so dass wir verstehen, er meint es gut. Ihm können wir vertrauen. Und dann erst kommt die Lehre, kommen die Inhalte, das was Gott von uns Menschen will. Forderungen an unser Leben, die jedoch wiederum, ebenso wie Gott selbst, für unser Leben und das Leben unserer Mitmenschen hilfreich sind und gut.

Blicken wir auf die Taufe, so ist sie das Versprechen Gottes, sich ganz persönlich jedem Menschen zuzuwenden. Gott hat uns in der Taufe, einem jeden und einer jeden von uns gesagt „du bist mein“. Besonders während der Taufe im Kindesalter wird klar: Gottes liebt und schätzt uns, er kommt zu uns Menschenkinder, verbindet sich in der Taufe mit uns, macht uns zu seinen Kindern – und das alles ohne jede Leistung. Denn was kann ein Kind als Leistung schon vorweisen. Gott kommt ihm entgegen, bevor es noch von Gott weiss. Gott begleitet das Kind lange bevor es überhaupt fähig ist seinen Willen kennen zu lernen und zu erfüllen. Die Taufe ist die sichtbarste Darstellung der Erfahrung, die das ganze Christenleben erfüllt: „Er hat uns zuerst geliebt“. Die Taufe geschieht ganz im Vertrauen auf den dreieinigen Gott.

Wer ist frei von Zweifeln? Und wer vertraut sich bedingungslos einem anderen an? – diese Fragen stellte ich am Anfang. In Bezug auf Gott und uns Menschen, so glaube ich, erwartet Gott keinen zweifelsfreien Glauben von uns, wohl aber erwartet er, dass die Menschen ihm Vertrauen entgegen bringen. Dass wir, als Getaufte, ihm in unserem Leben vertrauen, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist.

Ich habe dazu eine Geschichte gefunden, die von diesem Vertrauen erzählt: Hoch über dem Marktplatz einer kleinen Stadt hatte ein Seiltänzer sein Seil gespannt, und machte dort oben unter den staunenden Blicken vieler Zuschauer seine Kunststücke. Erst balancierte er mit einer Stange über das Seil. Als nächstes machte er dasselbe, aber diesmal ging er rückwärts! Dann blieb er in der Mitte des Seils stehen und löste langsam ein Fuß vom Seil, sodass er auf einem Bein auf dem Seil schwankte. Gegen Ende der Vorstellung holte er eine Schubkarre hervor und rief den Zuschauern zu: "Sagen Sie, trauen Sie mir zu, dass ich die Karre über das Seil schiebe?"

"Aber gewiss", schrie das Publikum zurück. Und die Menschen klatschten und johlten.

"Nun denn!", schrie der Seiltänzer zurück. "Wer von den geschätzten Damen und Herren hat so viel Vertrauen zu mir, hochzuklettern, sich in die Karre zu setzen und sich von mir über das Seil fahren zu lassen?"

Da verstummten die Zuschauer und ihre Mienen wurden ängstlich. Nein, dazu hatten sie keinen Mut! Nein, das trauten sie sich und ihm nicht zu.

Plötzlich meldete sich ein Junge. "Ich setze mich in die Karre", rief er, kletterte hinauf, und unter dem atemlosen Schweigen der Menge schob der Mann das Kind über das Seil. Als er am anderen Ende ankam, klatschten alle begeistert Beifall. Einer fragte später den Jungen: "Sag, hattest du keine Angst da oben?"

"Oh nein", lachte der, "der mich über das Seil schob, ist ja mein Vater!"

Die Zuschauer haben dem Artisten zugetraut, dass er den Karren rüber bringt. Das eigene Leben hat jedoch nur der Sohn dem Vater anvertraut. Er wusste, sein Vater wird für ihn sorgen.

Liebe Gemeinde, ich glaube das ist es, was Jesus uns sagen will: Ihr könnt Gott vertrauen. Ihr könnt Gott euer Leben anvertrauen. Und der Gott des Himmels und der Erde, der in Jesus unser Bruder geworden ist und uns durch seinen Heiligen Geist berührt und begeistert, wird euch begleiten täglich – wohin immer das Leben euch auch führen mag.

Amen

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus unserem Herrn.

Amen

 

 



Pfarrerin Marion Werner
8006 Zürich, Schweiz
E-Mail: pfarrerin@luther-zuerich.ch

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