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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 12.07.2015

Predigt zu Matthäus 5:20-26 (Dänische Perikopenordnung), verfasst von Michael Wagner Brautsch

Bevor man eine unserer Kirchen in Dänemark betritt, kommt man durch den Vorraum, das sogenannte „Waffenhaus“. Es heißt Waffenhaus, weil man früher hier seine Waffenablegen musste, Gottes Haus ist heilig, deshalb soll hier Frieden herrschen, und deshalb darf man keine Waffen, Messer oder Werkzeug mit in die Kirche nehmen.

Heu benutzen wir das Waffenhaus, um eben die Haare zu ordnen, so dass wir anständig und fein aussehen, ehe wir in die Kirche gehen, und wir denken nicht an das Waffenhaus als einem Ort, wo wir etwas ablegen müssen. Wir haben ja auch keine sichtbaren, physischen Waffen, die wir ablegen müssen, aber es könnte eine Überlegung wert sein, was wir im Waffenhaus ablegen sollten: All das Unsichtbare, besondere Charakterzüge oder Gefühle wie Zorn, Eifersucht, Neid, Begierde, Hass und Kleinlichkeit, damit gehen wir mehr oder weniger alle herum, aber das sollten wir ablegen, ehe wir in die Kirche gehen.

Aber nicht nur das, was von uns kommt, auch all das, was die anderen gegen uns haben könnten: Dinge, die nicht in Ordnung sind – Dinge die schief gelaufen sind zwischen uns, auch wenn wir vielleicht meinen, wir hätten alles Recht und alle Billigkeit auf unserer Seite.

Was Jesus in dem Text zu diesem Sonntag sagt, könnte darauf hindeuten, dass er etwas in dieser Richtung meint. Jedenfalls sagt er: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und alsdann komm und opfere deine Gabe.“

Die Gabe, die wir bringen, sind ja wir selbst, unsere Aufmerksamkeit, unser Lobgesang, unser Dank und unsere Offenheit für die Liebe Gottes, das Wort und die Sakramente und seinen Segen. Wie die Münze die Symbole der Staatsmacht trägt und deshalb dem Staat zurückgegeben werden muss für Steuern und Abgaben und die Notdurft des Tages, so tragen wir das Bild Gottes, und deshalb sollen wir uns selbst geben – das ist unsere Gabe für Gott: wir selbst.

Aber ich fürchte, wenn wir den Worten Jesu im heutigen Evangelium so folgten, dass wir nur in die Kirche kommen, wenn wir Frieden mit anderen haben und die anderen mit uns, dann würde der Gottesdienst oft ausfallen. Nein, Gefühle kann man ja nicht man eben ablegen. Die Gefühle sind da, und je mehr ich sie zu unterdrücken versuche, desto stärker werden sie in den Regel. Das ist also nicht so einfach.

Man sagt ja, dass wir die Sonne nicht untergehen lassen sollen über unserem Zorn. Aber was tue ich, wenn die Sonne sich bedenklich dem Horizont nähert und ich noch immer böse bin, bitter, enttäuscht, beleidigt und sauer? Ich kann so zornig sein, dass es leichter zu sein scheint, die Sonne aufzuhalten als seine Wut loszuwerden. Ja, man kann so zornig sein, dass einem so scheint, als könne der Zorn die Sonne in ihrem Untergang bremsen.

So kann das Leben manchmal sein. Dass wir zornig sind, auch wenn die Sonne untergegangen ist. Und den Zorn, den kann man nur schwer ablegen wie eine andere Waffe im Waffenhaus. Nichtsdestoweniger sagt Jesus: Du sollst. Du sollst vergeben. Do sollt nicht zornig sein. Ja, wenn du nur zu deinem Bruder, deiner Schwester, deinem Nachbarn, Kollegen oder wem du zufällig im Verkehr begegnest sagst: Du Narr, dann bist du des höllischen Feuers schuldig.

Die Befehle Jesu sind nicht leicht zu befolgen. Mit ihm wird man nicht so schnell fertig und hat seine Ruhe. Niemand kann den Befehlen Jesu ganz folgen. Wären wir noch so fromm und hätten noch so große Intentionen und Ideale, wir könnten nie die Forderungen der Bergpredigt erfüllen.

Wir können vielleicht unsere Waffen im Waffenhaus ablegen, aber den Zorn, die Rachsucht und das Verlangen nach Gerechtigkeit tragen wir alle mit uns in unserem Herzen und in den Raum der Kirche hinein. Ganz einfach, weil wir unsere Gefühle nicht einfach loswerden können.

Die Worte Jesu im heutigen Evangelium stellen uns also in eine paradoxe Situation. Auf der einen Seite ein Befehl, dass ich meinen Mitmenschen nicht böse sein darf. Auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass ich zuweilen faktisch böse bin. Und ich kann meinen Zorn nicht im Waffenhaus ablegen. Meinen Bruder, dem ich böse bin, kann ich auch nicht im Waffenhaus ablegen. Dort gibt es nämlich keine Bänke, die für die reserviert sind, die wir am liebsten loswürden.

Aber das Beste, was man tun kann, ist vielleicht auch, dass ich den, dem ich böse bin, mit in die Kirche nehme, wenn nicht physisch, so in meinem Sinn und meinen Gedanken. Wenn ich den, dem ich böse bin, mit in den Gottesdienst nehme und mich in Gedanken neben ihm oder ihr hinsetze, und mich zum Altar wende, dann kann etwas geschehen mit meinem Zorn und mit mir.

Wenn wir in der Kirche sitzen, sehen wir ein Kreuz vor uns. Ein Kreuz mit zwei Balken. Und der Querbalken, der will mehr umfassen als mich. Der will auch den umfassen, dem ich böse bin. Wenn wir auf den Querbalken sehen, werden wir daran festgehalten, dass Christentum nicht nur von Gott und mir handelt. Es handelt durchaus ebenso viel von den anderen, meinen Mitmenschen. Auch dem, auf den ich böse bin. Der Querbalken am Kreuz reicht hinaus und will alle umfassen. Er will sowohl mich, der ich böse bin, obwohl ich das nicht darf, als auch den, dem i ich böse bin, umfassen.

Und in dem Augenblick, wo ich den Querbalken sehe, geschieht etwas mit meinem Zorn. Es ist nicht sicher, dass der Zorn verschwindet, aber er wird daran erinnert, dass die Vergebung Gottes auch dem gilt, auf den ich böse bin. Wenn wir das Evangelium von der Vergebung der Sünden hören und uns vorstellen, dass der, dem wir nicht vergeben können, neben uns sitzt und dasselbe hört wie wir, dann wirft das ein neues Licht auf unseren Zorn. Denn dann werden wir daran erinnert, dass die Rechtfertigung nicht etwas ist, was wir selbst bewerkstelligen können, wir werden gerechtfertigt aus Gnaden durch Jesus Christus.

Die Gerechtigkeit, das ist Gottes Gabe an uns Menschen, an jeden Menschen. Keine ist gerecht. Aber wir werden gerecht gemacht, aus Gnade! Deshalb glaube ich auch nicht, dass wir irgendetwas im Waffenhaus ablegen sollen, außer dem Regenschirm vielleicht, sondern alles mit in die Kirche nehmen sollen: den Zorn, die Rachgier und was uns sonst noch füllt. Wir sollen es mit in den Gottesdienst nehmen und in die Kirche, wo uns die Gnade und die Wahrheit begegnen, dort wo alles im Lichte Gottes, oder vielleicht können wir sagen: mit Gottes Augen gesehen wird. Augen, die sehen, urteilen und vergeben.

Diese Gnade macht uns frei. Nicht frei zu allem Möglichen. Sondern frei, nach Hause zu gehen und unserem Nächsten zu begegnen, denn wir sollen ihm noch immer begegnen und mit ihm übereinkommen. Vielleicht begegnen wir unserem Mitmenschen noch immer im Zorn, aber wir begegnen ihm als jemandem, der unter derselben Gnade steht wie wir selbst. In der Freude, der Freiheit und der Gemeinschaft in der Vergebung Gottes. Amen.

 

 

 

 



Pastor Michael Wagner Brautsch
DK-2000 Frederiksberg
E-Mail: mwb@km.dk

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