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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 21.11.2007

Predigt zu Lukas 13:22-30, verfasst von Eberhard Schwarz

22 Jesus ging durch Städte und Dörfer und lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem. 23 Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen: 24 Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können. 25 Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? 26 Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken und auf unsern Straßen hast du gelehrt. 27 Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter!
28 Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen. 29 Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. 30 Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.

Liebe Gemeinde,

‚Die Menschen, wenn sie dich um Rat fragen, sind gewöhnlich längst entschlossen das zu tun, was ihnen selbst gefällt'. Das hat der kluge Herr von Knigge schon vor zweihundert Jahren in seinen Gedanken ‚Über den Umgang mit Menschen' festgestellt.
Auch für uns, am Buß- und Bettag 2007, ist es kein Schaden, diese Einsicht im Gepäck zu haben im Blick auf den Predigttext. Damit erklärt sich nämlich schnell, warum Jesus dem Unbekannten zwischen Galiläa und Jerusalem und seiner feinen Frage mit diesen harten Worten über die enge Pforte in die Parade fährt.

Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Der Mensch, der Jesus  zwischen den Dörfern und Städten von der Seite her anspricht, will genau genommen gar nichts wissen. Seine Frage ist so verdrechselt, dass man weiß: er hat die Antwort schon. Es interessiert ihn nicht. Und wenn, dann müsste er sich selber offenbaren, dann wüssten wir vielleicht sogar seinen Namen, den das Lukasevangelium im Dunkeln lässt.

Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?
Wie ein Wurm windet sich die Frage herum um das, was eigentlich ihr Thema ist.

Der alte Johann Albrecht Bengel hat das sehr genau gesehen. Quaestio theroetica initio vertitur ad praxin - hat er dazu in seinem Kirchenlatein geschrieben. Und das heißt übersetzt: Solch eine theoretische Frage wende gleich zu Anfang in die Praxis. Mit anderen Worten: Wende es auf dich selber an.

Und das macht Jesus mit seinem Bild vom Hausherrn und der Tür, die irgendwann verschlossen wird, in aller Schärfe im Blick auf die, die ihn hören.

Liebe Gemeinde,
es geht an einem Tag wie diesem nicht um irgendeine theoretische Reflexion darüber, wie wenige am Ende gerettet oder verloren sind, wie gerecht oder hart oder gnädig Gott im Blick auf die Welt und auf die Menschheit ist. Es geht um uns selbst: Wenn du so fragst, dann bleiben wir doch gleich bei Dir! Die Frage, die Du stellst, muss heißen: Was soll aus dir selber werden? Aus dir Mensch, der du Tag für Tag darum ringen musst, dass du dich nicht verrennst in deinen Aufgaben, in deinen Beziehungen und in deinen Entscheidungen.

Und dann kommt jenes harte Wort, das unsere Urgroßeltern vielleicht noch gefasst in ein Ölbild über ihren Betten hängen hatten - evangelischer Wandschmuck des 19. Jahrhunderts - den man heute vor allem auf Flohmärkten wieder findet: der breite und der schmale Weg und an deren Ende eine kleine Tür, durch die es in das Himmelreich geht und auf der anderen Seite vielleicht eine große, hinter der die Hölle brennt.

In kindlicher Schlichtheit pointieren die beiden Wege die alte, immer wieder neue Orientierungsfrage unseres Lebens. Sie heißt nicht: Wo steht die Gesellschaft oder wie steht es mit der Welt? Sondern: Wo stehe ich? Was soll aus mir werden? Es geht um mich! Das ist das Buß- und Bettagsthema.

Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden suchen, wie sie hineinkommen, und sie werden's nicht können.

Im Existenziellen sind wir ebenso unvertretbar wie im Glauben. Das ist - ohne moralischen Zeigefinger gesprochen  - ‘die Enge Pforte' und das Thema dieses Jesuswortes. Man kann im Blick auf das eigene Leben nicht im Allgemeinen bleiben.

Wo stehe ich und was soll aus mir werden? An einem Tag wie diesem, der einlädt, vor Gott nachzudenken über die Grundlagen unseres persönlichen und sozialen Lebens, wird uns gesagt, dass wir unvertretbar sind. Wir alle müssen handeln und entscheiden. Wenn in diesen Wochen öffentlich an Claus Schenk Graf von Stauffenberg erinnert wird, dann wird an seinem Schicksal mehr als plastisch, was „Sich-Entscheiden" heißen kann. Aber nicht nur in den Erschütterungen der  Weltgeschichte gibt es die Momente, in denen es gilt, ja oder nein zu sagen: etwa bei der Frage, ob und wie Soldatinnen und Soldaten aus unserem Land in anderen Ländern zum Einsatz kommen. In unserem Alltag stehen wir viel zu oft an Schwellen, an denen wir uns nicht drücken können um ein Ja oder um ein Nein: in unseren Beziehungen, an unseren Arbeitsplätzen oder wo auch immer.

Dort wird uns nicht die Allgemeinheit helfen, nicht der Mainstream, nicht die ‚öffentliche Meinung' oder was auch immer. Wir selber müssen durch die Pforte. Viele haben es beschrieben, in welche Krise Entscheidungssituationen Menschen führen können. Kafka vielleicht am Anschaulichsten in seiner berühmten Parabel vor dem Gesetz. Dort ist der Mann vom Lande geradezu gelähmt vor Angst, Ungewissheit und unausgesprochenen Schuldgefühlen und kommt nicht durch die Tür, die nur für ihn geöffnet ist und dann geschlossen wird. Er stirbt vor der Tür.

Liebe Gemeinde,
Jesus war selber einer, an dem sich Menschen zu entscheiden hatten. In seinen Gleichnissen, seinen Bildworten, seinen Gesprächen mit den Zeitgenossen wird immer wieder deutlich, dass es darum geht, eine Gelegenheit zu ergreifen. Das Besondere bei  dieser Entscheidung ist, dass es nicht um  ein moralisches Entweder-Oder geht, sondern um ein neues Sehen unseres Menschseins.

Es geht bei Jesus darum, ob ich den Mut habe, mein Leben im Horizont der Gotteswirklichkeit zu erkennen. Ob ich die Courage habe, mein eigenes Dasein in seiner Begrenztheit, seinen Brechungen und Fragwürdigkeiten vor Gott zu sehen. Ob ich schließlich auch bereit bin, auszuhalten, dass in diesem Horizont meine Entscheidungen nie vollkommen oder makellos oder schuldfrei sein werden.

Vielleicht ist es das, was uns Gutmenschen am Schwersten fällt. Ich denke da an jenen Gottlieb Biedermann, den Max Frisch beschrieben hat. Er bekommt, weil er seinen Mitarbeiter Knechtling entlassen hat, Schuldgefühle. Und er verdrängt sie und will sie nicht zulassen. Sein Selbstbild als unbescholtener Bürger, sein Unschuldswahn nimmt ihn gefangen und gebiert in der Folge Ungeheuer, denen er selbst zum Opfer fällt.

Um sich selber auszuweichen, lädt Biedermann in einer Reihe von Abendmahlsszenen statt - wie er meint - die Mühseligen und Beladenen - aus Versehen Brandstifter an seinen Tisch. Keine schlechten Kerle, im Grunde; nur solche, die Biedermann in seiner Verblendung und Selbstgefälligkeit nicht erkennt. Das Essen, das er als Akt der Selbstrettung anbiedernd auftischt, wird für ihn aber nicht zur Befreiung, sondern zum Gericht. Die beiden Brandstifter nennt er seine Freunde. Und er sieht viel zu spät, wie das eigene Haus brennt.

Klug ist und Herr über manche Gefahr,
Wenn er bedenkt, was er sieht,
der Mensch.
Aufmerkenden Geistes vernimmt er
Zeichen des Unheils
Zeitig genug, wenn er will
...
Der, um zu wissen, was droht,
Zeitungen liest
Täglich zum Frühstück entrüstet
über ein fernes Ereignis,
täglich beliefert mit Deutung,
die ihm das eigene Sinnen erspart,
Täglich erfahrend, was gestern geschah,
schwerlich durchschaut er, was eben geschieht
Unter dem eigenen Dach.

„Schwerlich durchschaut er, was eben geschieht unter dem eigenen Dach." So heißt es in der warnenden Stimme des Chors, die Biedermann ausblendet.

Liebe Gemeinde,
Niemand ist das eigene Sinnen erspart. Der Buß- und Bettag ist eine Einladung zum eigenen Sinnen. Und darin ist er zugleich eine Erlösung von unserem persönlichen  Unschuldswahn. Er ist eine Erinnerung daran, dass wir in unserem Leben nicht nur vor moralischen Entscheidungen stehen, sondern immer wieder auch vor der Frage: wie verstehe ich mich selbst vor den Menschen, vor Gott? Vor welchem Hintergrund lebe ich mein Leben?

Die Menschen, die in Jesu Bildwort vor der Türe stehen, haben die Chance nicht ergriffen, ihren eigenen Horizont zu weiten. Sie bleiben bei sich mit ihren Ideen von der Welt und von der Gerechtigkeit und von der Wahrheit. Sie bleiben draußen in jener biedermännischen Blindheit, die nicht sieht und zu würdigen weiß, welche Chance ihnen in dem Galiläer, der die Mühseligen und Beladenen auf seine Weise an den Tisch ruft, entgangen ist. Sie sehen ihre Entlastung nicht. Sie werden zwar zu dem ‚aufgestandenen' Hausherrn sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken und auf unsern Straßen hast du gelehrt. Aber er wird diesen Menschen zu Recht antworten: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Wie sollte er sie auch kennen, wenn sie sich im Leben nicht zu erkennen geben? Wenn sie leben und handeln nur vor dem Forum ihrer eigenen Ideen und Maßstäbe oder Ängste? 

Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Was soll aus mir werden? Die Antwort gibt uns Jesu Wort auf seine Weise. Wer den Ausbruch wagt aus diesen Maßstäben, wer durch die enge Pforte des neuen Sehens zu gehen riskiert, der gerät nicht nur an den Tisch dieses Herren, er gerät in einen Raum der Barmherzigkeit, in dem sich über alle Zeiten hinweg die Menschen des Vertrauens sammeln: dorthin gehören nicht nur die Erzväter und die Propheten - durchaus keine passförmigen und immer klaren Figuren; dort begegnen wir einem herrlich unheiligen Haufen von Heiligen, deren Hilfe Gott ist: gerechtfertigte Sünder eben, die ihr Leben leben und gestalten im Horizont göttlicher Barmherzigkeit.
Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. 30 Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Pfarrer Eberhard Schwarz
Hospitalkirche Stuttgart
E-Mail: eberhard.schwarz@elk-wue.de

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