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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 21.11.2007

Predigt zu Lukas 13:22-28, verfasst von Reinhold Mokrosch

Draußen vor der Tür

Liebe Gemeinde, liebe Christen heute am Buß- und Bettag!

I.
Eine Mutter aus einer lutherischen Gemeinde in Sibirien, heute Aussiedlerin in Osnabrück, erzählte vom Buß- und Bettag in ihrem Holzhaus in Sibirien: „Unsere Familie mit den drei Kindern saß am Frühstückstisch. Plötzlich polterte es draußen auf der Holztreppe. Ein Stöhnen und Ächzen wurde vernehmbar. Die Kinder zuckten zusammen. Gleich würde Großvater wieder raufkommen und sich über irgendeine Kleinigkeit beschweren. Es klopfte an der morschen Tür. Mein Mann und ich öffneten nicht sogleich. Es polterte wiederholt. Ich öffnete vorsichtig. Da stand Großvater, - draußen vor der Tür. Stumm. Schließlich stammelte er: „Äh, verzeiht, ja, hm, verzeiht - mir!" „Is all`ns god, Großvadder" sagte ich, „is schon god!" Großvater drehte sich um, murmelte und schlurfte wieder die Treppe hinunter."
„So ist der Buß- und Bettag bei uns in Sibirien immer  verlaufen", versicherte die Aussiedlerin. „Jedes Jahr!" Und sie fügte hinzu: „Eigenartig, hier in Deutschland bittet am Buß- und Bettag niemand um Verzeihung!"

Liebe Gemeinde, gut 100 Jahre, von ca. 1880 bis 1994 war der Buß- und Bettag bei uns gesetzlicher Feiertag. Dann wurde er als solcher gestrichen und in einen privaten Buß- und Bettag umgemünzt. Deshalb sind wir heute zu unserem Gottesdienst zusammen gekommen, - ohne gesetzlichen Feiertag, ja, dem gesetzlichen Feiertag zum Trotz.

Können wir von dem sibirischen Ritus etwas einfangen, lernen und übernehmen? „Draußen vor der Tür" steht der Großvater und bittet um Verzeihung. Auch in unserem Predigttext stehen „draußen vor der Tür" viele Menschen. Sie bitten aber nicht um Verzeihung,  sondern sie fordern Einlass durch die Tür zum Reich Gottes, - ohne jegliches Schuldbewusstsein.

II.
Ich lese unseren Predigttext aus Lk 13, 22-28. (............)
Sind diese Bilder nicht plastisch und drastisch? Ich stelle sie uns nochmals vor Augen: Jesus wandert nach Jerusalem. Da tritt ihm jemand in den Weg und stellt die Frage, die damals viele bewegte: Wer wird selig? Wer kommt in Gottes Reich? Nur wenige? Gehöre ich dazu? Eigenartig: Jesus antwortet nicht direkt, sondern nur indirekt. Er möchte nicht über das Jüngste Gericht apokalyptisch spekulieren, sondern er nimmt die Sorge des Fragers auf, die hinter dessen Frage steht und antwortet: Es ist ungeheuer schwer, durch die enge Pforte ins Reich Gottes zu gelangen. Viele versuchen es, aber es gelingt ihnen nicht.  (V24: „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht. Denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hinein kommen, aber sie werden es nicht schaffen.") Mit diesen Sätzen malt er ein Bild von Massen, die sich vor der engen Pforte drängen, um in Gottes Reich hineinzukommen.

Was meinte Jesus mit dem Bild der „Engen Pforte"? Sicherlich nicht, dass Dickleibige nicht hindurch kommen. Vielmehr ist die „Enge Pforte" ein Symbol für ungeheuerliche Anstrengungen. In der Bergpredigt, in der Jesus auch dieses Symbol benutzt (Mt 7, 13), beschreibt er diese Anstrengungen: Nur wer barmherzig, geistlich arm, sanftmütig und reinen Herzens ist, nur wer Gerechtigkeit und Frieden ausbreitet, seinen Feind liebt und auf Gewalt verzichtet, nur wer vergibt und um Verzeihung bittet, und nur, wer sich auf Gottes Sorge und Gottes Urteil verlässt und sich nicht selbst zersorgt und andere verurteilt, - nur der kommt in Gottes Reich hinein. Die Bedingungen sind hart. Die Pforte ist eng. Der Weg ist schwer. Wer kann ihn gehen? Ist das Geschehen zwischen Großvater und Schwiegertochter in Sibirien ein Schritt auf diesem Weg? Sind die Bitte um Verzeihung und die Gewährung von Vergebung Schritte zu einer neuen Bußkultur? Ist der Vorgang zwischen Thierse und Kohl, den wir in den letzten Tagen erlebt haben, vorbildhaft?  

Jesus fährt fort: (V25-26 verlesen!)
Jetzt ist die Pforte also verschlossen. Vorher war sie noch geöffnet - zwar eng, aber immerhin: offen. Jetzt ist alles verrammelt. Wenigstens für die, die jetzt draußen stehen und sich auf ihre Bekanntschaft mit Gott (und Jesus?) als Hausherr des Reiches Gottes berufen. „Wir kennen uns doch gut!", rufen sie durch die verschlossene Tür. „Du kennst uns und wir kennen dich. Wir haben deiner Lehre doch gelauscht, - sogar auf der Straße. Nun öffne doch endlich!" Von einer Bitte um Verzeihung (wie beim Großvater in Sibirien) ist keine Rede. Von Schuldbewusstsein keine Spur! Von Buße schon gar nicht! Sie gehen nicht in sich und prüfen sich nicht. Die „draußen vor der Tür" Stehenden berufen sich allein auf ihre Bekanntschaft mit Gott (und Jesus) und meinen: Das wird schon reichen.  Aber Gott weist solche Bekanntschaft zurück. Durch die verschlossene Tür ruft er ihnen zu: „Weicht alle von mir, ihr Übeltäter!" (V27b).

Das sind drastische Jenseitsbilder! Sie gehen weiter: Die „draußen vor der Tür" heulen und knirschen die Zähne vor Wut. Sie verstehen nichts! Und das wird noch schlimmer, als sie Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten im Reich Gottes erspähen, - entweder durch ein Guckfenster in der verschlossenen Tür oder durch einen engen Türspalt. Sie erkennen, dass sie vom Reich Gottes ausgeschlossen sind.

III.
Ihr lieben Mitchristen! Warum hören wir uns eigentlich - heute am Buß- und Bettag - diese brutale Drohrede Jesu an? Sind wir in den Gottesdienst gekommen, um solche Drohung über uns ergehen zu lassen? Denn es stellt sich ja unwillkürlich die Frage: Sind etwa wir mit denen gemeint, die da „draußen vor der Tür des Reiches Gottes" stehen und nicht eingelassen werden? Ich hoffe nicht! Oder doch?  Warum müssen wir uns das anhören?

Wenn wir von „Petrus und der Himmelstür" reden, dann doch meistens in Form von Witzen: z.B. ‚Da steht jemand vor der Himmelstür, klopft an, Petrus öffnet einen kleinen Spalt....usw.' Solche Witze tun gut. Aber nun soll es heute plötzlich bitter ernst werden!? Warum? Wir kennen Jesus Christus doch allein als den liebenden und vergebenden Sohn Gottes, der uns auch Gott allein als liebenden und vergebenden Vater nahe gebracht hat. Wie vereint sich das mit dieser Androhung eines fürchterlichen Endgerichts? Und wenn es auch ein Endgericht geben sollte, so sind wir doch überzeugt, dass Gott uns vergibt, uns annimmt und uns rechtfertigt, - wenn wir auf ihn vertrauen. Wir sind doch überzeugt: Gott wird uns nicht „draußen vor der Tür des Reiches Gottes" stehen lassen, sondern er wird uns herein lassen. Es wird zwar eine enge Pforte sein, aber sie wird nicht für immer verschlossen sein.  Wieso müssen wir uns hier im Text das absolute Gegenteil anhören?

Ihr lieben Mitchristen! Ich sehe die Bedeutung dieser apokalyptischen Drohrede Jesu nicht in einer Angstmacherei vor einem möglichen Endgericht, sondern vielmehr in Folgendem: Jesus fordert uns auf, in uns zu gehen, nachzudenken und Bilanz zu ziehen: Bin ich jemandem oder mir etwas schuldig geblieben? Oder bin ich gar schuldig geworden? Daraus soll auf keinen Fall eine verkrampfte Schuldsuche werden. Ich soll meine Gedanken nur etwas kritisch schweifen lassen. Ist alles o.k. in meinen Beziehungen, Freundschaften, Nachbarschaften, in meiner Familie und Verwandtschaft? Wo hätte ich anders reagieren können und sollen? Wo und wann habe ich etwas versäumt? Habe ich Gewalt angewandt oder auf Gewalt verzichtet? Bin ich Schritte zur Versöhnung und Entfeindung gegangen? Habe ich mich in meiner Sorge Gott anvertraut oder traue ich Gott nichts mehr zu? Ich könnte an der Bergpredigt weiter entlang gehen.

Der Buß- und Bettag ist eine Gelegenheit,  kritisch uns selbst zu hinterfragen und den Alltag zu unterbrechen. Zwar hat Martin Luther 1517 in seiner ersten der 95 Thesen gefordert: Wir sollen nicht nur an einem Tag im Jahr Buße üben, sondern unser ganzes Leben sollte eine Buße sein.  Aber  das sollte m.E. keine prinzipielle, sondern eine fakultative Forderung sein. Luther wollte kein neues Gesetz aufrichten. Nein, der Buß- und Bettag ist eine gute Möglichkeit, in sich zu gehen. So wie es offenbar auch der Großvater in Sibirien getan hat, bevor er hoch gestiefelt ist und um Verzeihung gebeten hat.

Liebe Gemeinde! Solche Vergebungskultur ist uns fremd geworden. Wir sollten sie zurück gewinnen. Thierse und Kohl haben dafür m.E. ein gutes Zeichen gesetzt. Eine Entschuldigung aussprechen, sie annehmen und vergeben - das ist in unserem Alltag eine Seltenheit geworden.  -  Für uns Christen ist Vergeben deshalb möglich, weil wir Gottes Vergebung im Herzen spüren. Ich bitte Sie, liebe Christen, Gottes Vergebung und Liebe in sich aufzuspüren. Sie können sie erfühlen und empfinden. Manchmal sogar physisch. Und ich bitte Sie: Geben Sie diese Vergebung und Liebe Gottes weiter an Ihre Mitmenschen, - so wie der Großvater in Sibirien.

Ein Wort als Anhang: „Draußen vor der Tür" lautet das bekannte Drama von Wolfgang Borchert aus dem Jahr 1959. „Draußen vor der Tür" steht der zerfetzte Spätheimkehrer  aus Russland (Wolfgang Borchert selbst) und bittet die deutsche Gesellschaft um Einlass. Es wird ihm nicht geöffnet. Aber nun geschieht das Erstaunliche: Er, der ausgeschlossen wird und „draußen vor der Tür" steht, vergibt denen, die drinnen sind, ohne dass diese sich irgendeines Unrechts bewusst wären oder  ihn gar um Vergebung gebeten hätten. Er vergibt ihnen. Fast wie Jesus am Kreuz. Borchert dreht also Jesu apokalyptische Rede um: Drinnen sitzen die Selbstgerechten und draußen stehen die wahrhaft Liebenden.
     
Wo sind heute die zu finden, die in sich gehen, um Verzeihung bitten, vergeben und lieben? Sitzen sie „drinnen" oder stehen sie „draußen vor der Tür"?

Gottes Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
 

Prof. Dr. Reinhold Mokrosch
Institut für Ev. Theologie an der
Universität Osnabrück
Leiter der Forschungsstelle für
Werterziehung in Religion und Gesellschaft
49069 Osnabrück
E-Mail: rmokrosc@uni-osnabrueck.de

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