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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 19.07.2015

Predigt zu Johannes 6:1-15 , verfasst von Elisabeth Tobaben

 

Liebe Gemeinde!

Es war damals nur eine kurze Meldung in der Zeitung; von einem englischen Journalisten wurde berichtet, der einen aufschlussreichen Versuch unternommen hatte:
Er ging bei, und kaufte in verschiedenen Städten der Welt ein Brot, stellte sich damit an belebte Straße, und forderte Passanten auf, für dieses Brot eine Stunde lang zu arbeiten.

Es liegt auf der Hand: die Reaktionen waren ein bisschen unterschiedlich:

So verschieden das Verhältnis der Menschen zum Brot ist, so verschieden wird mit Sicherheit auch die Erzählung von der wunderbaren Brotvermehrung aufgenommen.
Für jemanden, der im Überfluss lebt, klingt die Geschichte natürlich anders als für den, der morgens nicht weiß, wie er den Tag über seine Kinder satt kriegen soll.

Ich finde einfach erstmal schön, wie Johannes diese Geschichte erzählt!
Mir gefällt vor allem, wie vorsichtig er die großen Erwartungen Sehnsüchte und der Menschen beschreibt!
Der Text hat eine
hoffnungsvolle Grundfarbe. (Wie bei einem Ölgemälde, wo man auch zuerst mit ein bisschen Farbe und Terpentin eine Grundlage aufträgt)
Die Erwartungen sind groß.
"Zeichen" hätten die Leute miterlebt, sagt Johannes,
Zeichen? Natürlich - rein äußerlich hatten sie "nur" gesehen, dass Kranke gesund wurden,
hatten einen besonders Heilkundigen beobachtet.

Und dabei hatte sich offenbar eine gewisse Ahnung bei ihnen eingestellt, das Gefühl: Es könnte ja sein, dass hier noch mehr passiert als "nur" diese eine Heilung, eine Ahnung davon,
dass dieser Mann doch noch mehr ist als ein besonderer Heilpraktiker mit unglaublichen Fähigkeiten...
Und hatten natürlich - zumindest die Gebildeten unter ihnen - ihren Propheten Jesaja im Kopf:
Sie wussten, dass er gesagt hatte:

"Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden, die Lahmen springen wie ein Hirsch und die Stummen frohlocken..."
Das hatten sie schließlich gelernt, dass es so geschehen sollte, wenn Gottes Heil anbricht, wenn der Messias käme...
Und - ganz klar: was mache ich denn, wenn jetzt plötzlich tatsächlich jener auftritt, der diese unglaubliche Fähigkeit wirklich hat, der Stummen zum Sprechen bringt,
Blinden das Augenlicht zurückgibt,
und Menschen, die ihr Leben lang bewegungslos ausharren mussten wieder aufrichten kann?

Natürlich werde ich mich sofort fragen: sollte er es sein?
Sollte tatsächlich der angekündigte Retter gekommen sein?
Dass sich auf ihn ganz schnell alle Hoffnungen und Sehnsüchte und Ahnungen richten, ganz ungefiltert, spontan und auch ein bisschen vereinnahmend, 
finde ich nur zu verständlich!

Ich vermute mal, dass viele so hingerissen waren, dass sie einfach völlig überstürzt aufgebrochen sind, einfach nur los!

Dass sie dabei so überflüssige Rand-Fragen wie die nach Proviant schlichtweg vergessen haben, das kann ich gut nachvollziehen.
So sieht also die Grundierung aus, auf der Johannes sein Bild zu malen beginnt.
Ein buntes und bewegtes Bild!
Ein paar Pinselstriche, und vor uns erscheinen die strömenden Massen.
5000 Männer werden gezählt – es werden also insgesamt gut und gerne
15 – 20 000 Menschen gewesen sein!
-wie bei einem mittleren Open Air Konzert.

Sie verfolgten Jesus bis an den See Genezareth, bis in die Gegend von Tiberias.
Er hat keine Chance, dem Passah-Festtrubel zu entgehen, sie können ihn nicht in Ruhe lassen!
Er gerät von einer Menschenmenge in die nächste.
Dort, wo sich auch heute noch aus Touristenbussen die Menschenmengen über die kleine Kirche in Tabgha ergießen,
da, wo die wunderbare Brotvermehrung vielleicht ungefähr gewesen sein könnte.

Der Vorteil ist, dass ich solche modernen Israelreisenden fragen kann nach ihrer Motivation .
Da ist natürlich einmal das Interesse an den touristischen - kulturellen Attraktionen, an den Mosaiken auf dem Boden der Kirche von Tabgha etwa, die auch wirklich einfach wunderschön sind.

Manchmal auch ein eher unklares und diffuses religiöses Bedürfnis:
'Es ist eben doch ein ganz besonderes Land.', sagte mir ein älterer Herr, ein Niederländer wie sich rausstellte.
Ich möchte einfach etwas von der Atmosphäre mitnehmen, ' sagte er, ''vielleicht kann ich mir nach der Reise manches besser vorstellen.'
Oft gibt es in Reise-Gruppen im Vorfeld schon lange Gespräche über die Bedeutung solcher "Biblischer Stätten":
'Vielleicht finde ich hier ja doch noch mehr als bloß 'heilige Steine.'

Eine Fülle unterschiedlicher Erwartungen, Hoffnungen und Träume, damals wie heute.
Ich denke unter der Menge damals werden auch sehr viele gewesen sein,
die einfach so arm waren, dass sie gar nichts überher hatten,
was sie als Proviant hätten einpacken
können.
Auch das gehört zur Grundierung des johanneischen Bildes!
Gerade in der ländlichen Bevölkerung Palästinas war ja die Armut damals einfach sehr groß.
Für sie ging es schließlich ums Überleben.

Und ich könnte mir gut vorstellen, dass diese Menschen deshalb ihre Hoffnungen und Sehnsüchte noch in ganz anderer Tiefe und Intensität empfunden haben.
Da ist jemand, der gibt mir wieder das Gefühl, ich bin was wert!
Er spricht mit mir...
Gewährt mir das größte, was es im orientalischen Raum überhaupt gibt: Gastfreundschaft!
Ich kann aufatmen, weil ich erlebe, dass die Zwangsläufigkeit des Ablaufs zwischen Schuld und Armut und zwischen Schuld und Krankheit unterbrochen wird.

Ich kann wieder Mensch sein.
Einfach weil jemand zu mir sagt: Du bist Gottes geliebtes Kind,
auch wenn dir alles unter den Händen zerbricht, wenn sich alle Welt von dir abwendet,
auch wenn du selbst alle Orientierung verloren hast und überhaupt nicht mehr weißt, wie es weitergehen soll...
Und übrigens auch im grandiosesten Erfolg!

Versuchen wir doch einen Augenblick, uns diese riesige Menschenmenge am See vorzustellen -
und die gewaltigen Unterschiede zwischen diesen vielen Menschen:
Die Klugen und Gelehrten, die ihre Theorie überprüfen wollen,
die Bitterarmen, die einfach verzweifelt Hilfe suchen,
und die, die eigentlich nur Ostern in Jerusalem feiern wollten, und sich jetzt plötzlich von der Menge und den Zeichen angezogen am See Genezareth wiederfinden...

Und das, was diese Menge dann erlebt, beginnt so unspektakulär wie nur was!
Jesus übernimmt die Verantwortung für die Lage!
Na gut, um die Jünger zu testen, sagt Johannes, aber immerhin.
Er sagt: „Wo können
wir Brot kaufen, damit die alle was zu Essen kriegen?“

Warum geht er zu diesem Zeitpunkt noch nicht davon aus, dass die schon für sich selber sorgen können?
Und er sagt auch nicht: „Wo können wir sie hinschicken, dass sie sich was besorgen?“
Und dann die etwas die hilflosen Lösungsvorschläge der Jünger, Philippus fängt erstmal an zu rechnen und stellt schnell fest:
es reicht sowieso nicht.

Selbst wenn wir das riesen Vermögen von 200 Silbergroschen hätten - keine Chance!
1 Silbergroschen war ungefähr der Tageslohn eines Arbeiters, für 200 Silbergr. hätte er also mehr als ein halbes Jahr arbeiten müssen!
Und auch die Entdeckung von 5 Broten und 2 Fischen bei dem Jungen hilft zunächst natürlich nicht weiter.
Ganz abgesehen davon, dass man dort natürlich keine Dreipfund-Kastenbrote isst, sondern flache Fladen von höchstens 30 cm Durchmesser, die eigentlich vor jedem Essen frisch gebacken werden.

Soviel ist klar: Es kann nicht reichen!!

Und dann das, was Jesus tut, auch das ist im höchsten Grade einfach und ganz 'normal':
Kein vom Himmel fallendes Manna, auch kein esoterisches Hokuspokus und Spektakel.
Nein, Jesus hält sich genau an den Ritus, den jeder jüdische Hausvater Tag für Tag vollzieht: Er spricht das Dankgebet, segnet das Essen und teilt es aus.

Und dann erst geschieht das Unfassbare: es reicht für alle!
Schön, wie Johannes weitermalt an seinem Bild, ganz schlicht:
Überhaupt
keine Spekulationen darüber, wie denn das nun wohl möglich gewesen sein könnte,
keine Versuche einer Erklärung irgendwelcher Art.

Aber ein Bekenntnis!

"Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll!" sagen die , die dabei waren.
Sie haben ein neues Zeichen miterlebt, und jetzt ziehen sie für sich den Schluss:
Ja, er ist es! Er muss der sein, auf den wir so lange gehofft und gewartet haben!

Und Jesus verschwindet!

Er zieht sich zurück, er ent-zieht sich ihnen. (andere Handschrift: er ergreift die Flucht!)
Ich merke, dass meine Sympathie denen gehört, die so alleingelassen zurückbleiben.
Da haben sie endlich die alles entscheidende Begegnung ihres Lebens gehabt - und: Wieder nichts!

Er ist weg, lässt sich nicht zum König machen!

Warum eigentlich lässt er sich diese grandiose Möglichkeit entgehen, an die Macht zu kommen?

Ich glaube er sagt ihnen durch sein Verschwinden: „Ich nehme euch doch nicht die Lösung des Hungerproblems ab! Das könnt ihr nämlich selber!!“
Wir sind heute auch schnell bei der Hand mit unserm Urteil.

Wie, jeden Tag verhungern tausende Menschen? Wie kann Gott das denn zulassen?“
Jesus sagt: „Überlegt erstmal, wie ihr das zulassen könnt! Es ist genug für alle da!“

Ich denke, das Erschreckende an dieser Geschichte besteht darin,
dass das Verschwinden Jesu auch etwas Aufdeckendes hat.
Natürlich haben die Leute etwas Richtiges gemerkt und erkannt.
Aber sie scheinen zu denken: Das ist es jetzt auch, ein für allemal und für alle Zeiten!
Wir haben ihn, wir halten ihn fest, und dann sind alle Fragen endgültig gelöst.

Jesus macht das schon.

Und damit geht’s ihnen ein bisschen so, wie ihren Vorfahren in der Wüste, die versucht hatten, das Manna für den nächsten Tag aufzuheben und ganz entsetzt feststellen mussten: es ist ja vergammelt!
Das könnte einigen in der Menge bewusst geworden sein durch sein Verschwinden, dass es so nicht geht.
Wenige sind es, die nach dem spektakulären Wunder noch bleiben.
Sie fragen ihn: „Sag uns mal: Wenn du
nicht die Macht übernehmen willst und unser König werden, den Hunger beseitigen- das ist doch unser Problem- warum sollen wir denn dann an dich glauben?“
Und sie hören schließlich von Jesus den Satz: „Ich bin das Brot des Lebens.
“ Nicht bloß „Lebensmittel“, das schnell verbraucht ist, sondern „Lebensinhalt“ und „Lebensziel“.

Die Gefahr ist groß, beim Zeichen hängen zu bleiben, bloß das Vordergründige zu sehen.
Johannes wird später sagen: Die Zeichen hab ich beschrieben,
damit ihr glaubt, das Jesus der Christus sei!
Mit ihm im Gespräch zu bleiben, darauf wird es ankommen, ihn zu fragen, was wir tun sollen, und unsere Verantwortung füreinander wahrzunehmen!

Dann wird eines Tages keiner mehr einen Versuch wie den des englischen Journalisten überhaupt noch verstehen!

Amen.

 



Inselpastorin Elisabeth Tobaben
Juist
E-Mail: Tobaben.Juist@t-online.de

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