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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 26.07.2015

„Amazing Grace“
Predigt zu Matthäus 5:13-16, verfasst von Hans-Otto Gade

 

Liebe Gemeinde,

eine Woche nach dem Massaker an neun Afroamerikanern während einer Bibelstunde in einer Methodisten-Kirche hält Präsident Obama eine Traueransprache, die eigentlich eine Predigt ist. „Wie ein Pastor, der sein Land wachrütteln will, zählt er die Lehren der grausamen Bluttat auf, die nun gezogen werden müssen. Dabei beruft sich "Reverend Obama", wie eine amerikanische Zeitung ihn nennt, immer wieder auf Gott. "Er hat uns erlaubt zu sehen, wo wir blind waren", ruft er unter dem Jubel der Gemeinde.

Am Schluss seiner Predigt-Ansprache stimmt der US-Präsident das Kirchenlied "Amazing Grace" an. Den Text verfasste vor mehr als 200 Jahren John Newton, ein britischer Seemann, der sich vom Sklavenhändler in einen Gegner der Sklaverei wandelte.

Als Obama anfing die erste Strophe dieses Liedes zu singen, stimmten Tausende mit ein und sangen diese Hymne der Sklaven mit: Amazing Grace – Erstaunliche Gnade.“ (Aus: DIE WELT ONLINE v. 26.06.2015)

Die erste Strophe lautet in deutscher Übersetzung:

Erstaunliche Gnade ! Wie süß dieser Klang Dies rettete mich kleines Wesen ! Einst war ich verloren, aber jetzt bin ich gefunden War blind, aber jetzt kann ich sehen

„Der von Hass geblendete, mutmaßliche Mörder konnte die Gnade nicht sehen, die Pfarrer Pinckney und diesen Bibelkreis umgab", rief der Präsident den über 5000 Trauergästen zu. Der Attentäter Roof habe nicht damit gerechnet, dass die Hinterbliebenen der Opfer mit Vergebung reagieren.

Die Trauernden zeigten in dieser Andacht, dass sie dem Bösen nicht die Kontrolle über ihr Leben geben wollen. Sie singen und lachen, sie klatschen im Takt zu Gospel-Liedern und tanzen. Auf einem großen Schild an der Bühne steht. "Falsche Kirche! Falsche Leute! Falscher Tag!" Ein Bischof meint: "Jemand hätte dem jungen Mann sagen sollen, dass er an den falschen Ort gekommen ist, um einen Rassenkrieg auszulösen." (Aus: DIE WELT ONLINE v. 26.06.2015)

Diese Gemeinde in dieser Kirche mit diesem Prediger Obama, das ist genau die Christengemeinde, die der Evangelist Matthäus in der Bergpredigt Jesu idealisierend vor Augen hat. Die Gemeinde, die Salz der Erde und Licht der Welt ist:

Jesus spricht: Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz seine Schärfe verliert, womit soll es salzig gemacht werden? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass es hinausgeworfen und von den Leuten zertreten wird.

Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter; dann leuchtet es allen, die im Hause sind. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen.

Für den Präsidenten der USA und die Christen in Charleston war dieses Attentat der traurige, entsetzliche Anlass, der USA und der Welt zu zeigen, was es heißt, Christ zu sein. Was es heißt, „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu sein. Was es heißt, das Dunkel der Gewalt und des Hasses mit dem Licht der Vergebung und der Gnade Gottes zu erhellen.

Dieses Verhalten, dieses Handeln, dieses Reden ist unsere christliche Aufgabe. Warum? Weil Jesus Christus selbst uns diese Aufgabe gestellt hat. Weil er selbst uns gesagt hat, „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu sein. Weil er selbst uns in das Dunkel der Zeit sendet, um es hell zu machen mit der Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen. Weil Jesus Christus immer wieder die „Amazing Grace“, die „Erstaunliche Gnade“ Gottes verkündet hat. Diese Gnade, aus der wir leben, diese Gnade, aus der heraus wir reden und handeln – als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“!

Das bedeutet: Wir erheben dort Einspruch, wo das Ebenbild Gottes, wo der Mensch unterdrückt und bedrängt wird. Wir erheben dort die Stimme, die Hand und das Herz, wo menschenverachtend mit Menschen umgegangen wird.

Jesus spricht: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Das bedeutet: Durch uns Christen wird die Welt erst genießbar. Durch uns Christen wird die Welt erst lebens- und liebenswert! Weil wir Christen die Aufgabe haben, das Leben in dieser Welt so zu gestalten, wie Gott es will: voller Gottvertrauen dem Nächsten zugewandt in Freude und Erfüllung!

Das Thema Flüchtlinge bewegt unsere Zeit. Jeden Tag hören und lesen wir von den Auseinandersetzungen am Rande von Flüchtlingslagern; immer wieder erfahren wir, dass Anwohner sich gegen die zunehmende Zahl der Flüchtlinge stemmen.

Immer wieder erleben wir aber auch, dass Flüchtlinge in herzlicher Weise von ihren neuen Nachbarn und Unterstützern begrüßt, betreut und versorgt werden.

Was bedeutet es für uns in diesem Zusammenhang, „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“ zu sein? Ein diesem Wort entsprechendes Verhalten ist nicht so ganz einfach und eindeutig zu beschreiben, Ich will es einmal so versuchen:

„Licht der Welt“ bedeutet: Den Flüchtlingen ein Licht der Hoffnung und Sicherheit geben. Den Flüchtlingen zu zeigen, dass sie in diesem unseren Lande in Ruhe und Geborgenheit leben können. Dieser Gedanke entspricht den vielen Aufrufen der Regierenden und der Kirchen.

Dem gegenüber will ich das Wort vom „Salz der Erde“ etwas anders definieren:

„Salz der Erde“ bedeutet für mich: Die Bedenken der Anwohner von Flüchtlingsunterkünften nicht einfach als ausländerfeindlich abtun, sondern auch deren Sorgen und Ängste wahrnehmen und ernst nehmen. „Salz der Erde“ bedeutet für mich, die Anwohner in ihrer Besorgnis, in ihrer Angst, in ihrem Misstrauen anzunehmen und sie zu begleiten.

Ich nehme ein Beispiel aus der Nähe meines Wohnortes: Buxtehude liegt sozusagen am Stadtrand von Hamburg. Durch die Berichterstattung der Medien ist Hamburg-Jenfeld bekannt geworden. Auf der Wiese des Jenfelder Moorparks ist innerhalb eines Tages eine Flüchtlingsunterkunft mit 50 Zelten für 800 Menschen entstanden.

„Die Wellen des Widerstands sind hoch. Die Anwohner blockierten die Zufahrt zur Wiese. Schnell wurde Jenfeld ein Synonym für Ablehnung und Fremdenfeindlichkeit. Ein Bild, das die Menschen nicht akzeptieren wollen. Die Anwohner erklären, warum man die Flüchtlinge hier nicht mit offenen Armen empfangen hat. "Wir wurden überrumpelt", sagen die Anwohner der Jenfelder Straße. Erst als ein Gitterzaun um die etwa zwei Fußballfelder große Wiese gezogen wurde, habe man auf Nachfrage erfahren, was hier passiert. Der Hamburger Senat hat versagt, sagen die Nachbarn der neuen Zeltstadt. Zum einen bemängeln die Anwohner, dass diese Zeltstadt keine menschenwürdige Unterbringung gewährleiste. Zum anderen haben die Nachbarn der Zeltstadt Ängste und Fragen. Werden die Flüchtlinge eine irgendwie geartete Bedrohung sein? Warum sind es so viele? Und überhaupt, können die nicht woanders wohnen? 250 Meter weiter steht eine riesige Kaserne leer. Warum nutzt die Stadt nicht diese Einrichtung?, so sagen und fragen einige Anwohner.“ (Aus: HAMBURGER ABENDBLATT v. 16.07.2015)

Verschließen wir nicht die Augen! Es ist schon eine Belastung für die Anwohner in Hamburg-Jenfeld und vieler anderer Nachbarn von neu eingerichteten Flüchtlingsunterkünften. Und wenn diese Belastung bei vielen einfach „nur“ die diffuse Furcht ist, es könne eine Bedrohung von den Flüchtlingen ausgehen.

Wenn wir als Christen, wenn wir als Kirchengemeinden „Licht der Welt“ und „Salz der Erde“ sein wollen, dann müssen wir uns um beide Gruppen sorgen und kümmern: Um die Flüchtlinge UND um die Anwohner!

Bisher habe ich noch nichts davon gehört, dass die Hamburger Kirchengemeinden das Gespräch mit den Anwohnern in Hamburg-Jenfeld gesucht hätten und deren Sorgen und Ängste aufgefangen hätten. Ich hoffe, dass diese christliche Fürsorge schon geschehen ist und noch geschieht! Denn es reicht einfach nicht aus, als Kirche Jesu Christi den Flüchtlingen zugewandt zu sein und die „andere Seite“ als fremdenfeindlich abzustempeln! Wir Christen sind in der aktuellen Diskussion an beide Gruppen gewiesen: An Flüchtlinge und an die Anwohner!

Wenn wir als Kirche an dieser Stelle versagen, dann geht es uns so, wie Jesus in unserem Predigttext aus der Bergpredigt sagt:

Wenn aber das Salz seine Schärfe verliert, womit soll es salzig gemacht werden? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass es hinausgeworfen und von den Leuten zertreten wird.

Völlig klar und jedem Christen einleuchtend: Wir können und dürfen uns nicht dem Leid der Flüchtlinge aus dem Kriegs- und Terrorgebieten dieser Welt verschließen. Denen müssen wir „Licht der Welt“ sein. Aber wir müssen als „Salz der Erde“ auch dafür Sorge tragen, dass ein gemeinsames Leben in gegenseitiger Achtung und gegenseitigem Respekt im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte möglich wird. Das ist ein deutlich schwererer Weg, als einfach nur auf einer Welle der Humanität und Hilfsbereitschaft mit zu schwimmen und „die andere Seite“ zu verteufeln. Also: Augen auf! Ohren auf! Herz auf! Hände auf!

Wem anders soll es denn gelingen, einen gerechten und tragfähigen Ausgleich zwischen den Alteingesessenen und den Neuhinzugekommenen zu schaffen, wenn nicht uns Christen? Dieses Bestreben, diese für viele neue Sicht der Dinge in der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge und deren Umfeld bringt sicherlich eine unbekannte Schärfe in die Flüchtlings-Diskussion. Aber genau diese Schärfe des „Salz der Erde“ ist erforderlich, um mit offenen Ohren und offenem Herzen nach beiden Seiten hin einen Ausgleich, ein von Gott gewolltes echtes Miteinander zu schaffen.

Politiker haben an dieser Stelle versagt. Wir werden hier nicht versagen, denn wir sind „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ – getragen von der „Amazing Grace“ getragen von der „Erstaunlichen Gnade“ Gottes.

Amazing Grace! How sweet the sound
That saved a wretch like me
I once was lost, but now am found
Was blind but now I see

Erstaunliche Gnade ! Wie süß dieser Klang
Dies rettete mich kleines Wesen !
Einst war ich verloren, aber jetzt bin ich gefunden
War blind, aber jetzt kann ich sehen

Amen.

 



Pastor i. R. Hans-Otto Gade
21614 Buxtehude
E-Mail: hans-otto.gade@ewetel.net

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