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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

8. Sonntag nach Trinitatis, 26.07.2015

Brilliant
Predigt zu Matthäus 5:13-16, verfasst von Güntzel Schmidt

 

Jesus spricht:

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn aber das Salz fade wird, womit sollman salzen? Es nützt nichts mehr, außer dass es nach draußen geworfen wird, um von den Menschen zertreten zu werden

Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt kann nicht verborgen werden, wenn sie auf einem Berg liegt. Auch brennt man nicht ein Licht an und stellt es unter ein Scheffelmaß, sondern auf den Leuchter, und es leuchtet allen, die im Haus sind. So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, so dass sie eure guten Taten sehen und euren Vater im Himmel preisen werden.

(Eigene Übersetzung)

 

Liebe Schwestern und Brüder,

haben Sie schon einmal von einer brillanten Idee gehört, oder hatten Sie selbst eine?

Beim ersten Hören denkt man, es müsse mindestens etwas nobelpreisverdächtiges sein, das man als "brillant" bezeichnen könnte; etwas, das andere in Staunen und Bewunderung versetzt. Früher ging man mit diesem Adjektiv freigiebiger um. Da war es bereits ein brillanter Einfall, ins Schwimmbad oder ins Kino zu gehen - sehen Sie sich nur mal die alten Filme aus den 50er, 60er Jahren an …

"Brillant" - dieses Eigenschaftswort ist aus der Mode gekommen; kaum jemals sagt man, eine Idee sei "brillant". Bestenfalls ist sie "gut": eine gute Idee. Wenn man jünger ist, findet man sie vielleicht noch "cool" oder "geil". Mit zunehmendem Alter jedoch wird man mit dem Lob geiziger, würzt damit ebenso sparsam, wie man das Essen salzt. Dabei kostet ein Lob noch weniger als eine Prise Salz, und anders als beim Salz kann man niemals etwas "verloben" - im Gegenteil! Wie gut ein Lob tut, hat jede und jeder schon empfunden, und man kann davon eigentlich gar nicht genug bekommen.

So geizig wir oft mit dem Loben sind, und so sehr wir Superlative wie "brillant" scheuen, etwas kommt wohl niemals aus der Mode: Der Stein, von dem das Wort "Brillant" sich herleitet.

        "Men grow cold

        As girls grow old,

        And we all lose our charms in the end.

        But square-cut or pear-shaped,

        These rocks don't lose their shape.

        Diamonds are a girl's best friend",

singt Marilyn Monroe, zu deutsch:

        "Männer werden kühler,

        je älter Frauen werden,

        und am Ende verlieren wir alle unsere Reize.

        Doch Quadrat oder Tropfen,

        diese Steine geraten nie außer Form.

        Diamanten sind der beste Freund einer Frau."

       

I

Jesus lobt uns. Er nennt uns "Salz der Erde" und "Licht der Welt". Das sind ebensolche Superlative wie das Wort "brillant". Wir sind nicht nur Salz für unsere Partnerin oder unseren Partner, nicht nur Salz für unsere Familie oder, was schon unglaublich viel wäre, für diese Gemeinde. Nein, der ganzen Erde geben wir Würze! Ebenso verhält es sich mit dem Licht. Wir leuchten nicht nur für uns, nicht nur in unserer Stube, sondern wir sind das Licht der Welt. Dabei sind wir nicht nur irgendein Licht, wie Sonne oder Mond, sondern das Licht schlechthin!

Hätten Sie das von sich gedacht? Haben Sie jemals so von sich gedacht? Wir Christenmenschen tun uns schwer mit Superlativen. Bescheidenheit, das ist unser Metier. "Ich bin doch nur ein kleines Licht!" - dieser Satz liegt uns viel näher als der, dass wir das Licht der Welt sind.

Man sucht auch unwillkürlich nach dem Haken in diesen beiden Sätzen, mit denen Jesus uns lobt; man sucht nach dem kleinen Wörtchen "wenn": Ihr seid das Salz der Erde, wenn … ihr immer brav seid, wenn … ihr dies und jenes tut … Aber da steht kein "wenn". Da steht ein Punkt. Ihr seid das Salz der Erde. Punkt. Ihr seid das Licht der Welt. Punkt.

Wir aber können das so nicht stehen lassen. So kann das doch nicht stimmen. Schließlich schmecken wir nicht salzig, außer wenn wir schwitzen. Und leuchten tut bei uns höchstens das Gesicht, wenn wir einen anderen Menschen anlächeln. Damit machen wir es für diesen einen Menschen sogar hell, wir schenken ihr oder ihm einen ganz besonderen Augenblick, retten ihr vielleicht sogar den Tag. Aber auf die ganze Welt hat unser kleines Leuchten keinen Einfluss.

 

II

Das Salz ist in die Literatur eingegangen. Das sollte nicht verwundern bei einem Stoff, der ebenso lebensnotwendig wie wichtig für den guten Geschmack ist. Schon die Griechen übertrugen das Salz bildlich auf die Rede. Wenn sie davon sprachen, dass eine Rede "gesalzen" sein solle, dann drängten sie den Redner, geistreich zu sein, humorvoll, lebensfroh - mit einem Wort: brillant.

Auch in zwischenmenschlichen Beziehungen darf die Würze nicht fehlen. Mindestens ebenso wichtig wie die äußerliche Schönheit ist, ob jemand gut unterhalten kann. Ob er oder sie geistreich ist, humorvoll, lebensfroh - mit einem Wort: brillant. Dieser Reiz bleibt, wenn die äußeren Reize dem Alter weichen mussten.

Meint Jesus also, wir sollten brillante: geistreiche, humorvolle, lebensfrohe Menschen sein und damit unsere Umwelt würzen bzw. erhellen? - Wenn man an die vielen verbitterten Menschen denkt, die sich von der Gesellschaft benachteiligt und verraten fühlen, die neidisch sind auf die Hilfen, die Menschen zukommen, denen es viel schlechter geht als ihnen, und die sich von der AfD und der PEGIDA-Bewegung vertreten fühlen, dann möchte man jedem von ihnen einen brillanten Menschen an die Seite wünschen, der ihnen zeigt, wie gut sie es haben und wie wenig Anlass, auf die Armen neidisch zu sein.

Auch der Kirche tut es gut, wenn brillante Menschen in ihr anders denken, als bisher gedacht wurde; wenn in der Gemeinde brillante Menschen neue Ideen entwickeln oder einfach ihre Fröhlichkeit und ihren Optimismus in den Gottesdienst oder in eine Gemeindegruppe tragen. Das hat dann in der Tat Auswirkungen, die über den kleinen Kreis hinausgehen - wenn man diese Menschen nur lässt. Vielleicht kann man ganz allgemein sagen, dass brillante Menschen in unserer Gesellschaft leuchten und ihr Strahlen es für uns alle etwas heller macht - nicht umsonst nennen wir solche Menschen "Stars", zu deutsch: Sterne.

 

III

Wenn es sich so verhalten sollte; wenn Jesus mit seinem Wort vom Salz und Licht diese besonderen, brillanten Menschen meinen sollte, denen man so selten begegnet - dann kann er uns doch nicht meinen mit seinem Lob. Dann gilt es eben doch nur den wenigen Diamanten unter so vielen Halbedelsteinen und Kieseln.

Aber Jesus besteht darauf, dass wir, um im Bild zu bleiben, alle Diamanten sind. Wir sind Diamanten, weil wir das Potenzial dazu haben, brillant zu sein. Doch wir leben oft unter unseren Möglichkeiten. Wir wissen oft gar nicht, dass wir sie besitzen. Wir möchten unbedingt das können, was ein anderer kann, und schätzen unsere eigenen Fähigkeiten gering. Oder meinen, Brillanz wäre etwas ganz anderes als das, was wir haben und können.

Jesus erinnert uns mit seinem Lob daran, dass auch wir etwas können, dass auch wir jemand sind. Und zwar nicht erst irgendwann, wenn wir eine bestimmte Fähigkeit erlernt, unseren Glauben vertieft, unser Leben geändert haben. Sondern hier, heute und jetzt sind wir Salz und Licht. So, wie wir sind. Mit dem Wenigen, was wir zu bieten haben und zu können meinen.

Wir werden von Jesus nicht deshalb gelobt, weil wir so eindrucksvolle Dinge taten, weil wir so fromm, so fleißig oder fürsorglich waren. Salz der Erde und Licht der Welt sind wir nicht aus eigenem Verdienst. Sondern wir sind es, weil wir Gottes Kinder sind, Geschwister unseres Herrn und Bruders Jesus, von dem es im Johannesevangelium heißt: "In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. … Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet" (Johannes 1,4.9). Im Johannesevangelium sagt Jesus von sich, dass er das Wasser des Lebens sei, das Brot des Lebens, die Tür, das Licht der Welt. Zuerst und eigentlich ist Jesus das Salz der Erde und das Licht der Welt. Weil er es ist und weil wir zu ihm gehören, deshalb sind auch wir es. Wie gesagt: Nicht wegen unserer Fähigkeiten oder unserer Taten sind wir Salz und Licht, sondern einzig und allein, weil wir zu Jesus gehören!

 

IV

Marilyn Monroe singt von den edlen Steinen, die der beste Freund einer Frau sind. Aber wenn man sich diesen fröhlich-frivolen Song genauer anhört, entdeckt man, dass er eigentlich sehr traurig ist. Denn Marilyn besingt die Diamanten nicht, weil die so wunderschön sind. Sondern weil sie einer Frau Sicherheit geben, wenn ihr Mann sie wegen einer anderen verlässt, wenn sie ihren Job verliert, wenn sie alt wird und nicht mehr attraktiv genug für andere Männer ist. Dann sind Diamanten ihr bester Freund, denn sie helfen ihr, die Miete zu bezahlen.

Die Brillanz, die wir als Christen haben, besteht nicht darin, dass wir so aussehen oder so sind wie Marilyn Monroe. Sie besteht darin, dass die Frau, die sich den Künstlernamen Marilyn Monroe gab, unter uns, in unserer Gemeinde, Norma Jeane Baker sein könnte, wie ihr Taufname lautete. Wenn Jesus uns Salz der Erde und Licht der Welt nennt, weil er uns Brillanz zutraut, dann meint er damit unsere Fähigkeit, die Menschen so sein zu lassen, wie sie sind. Sie nicht zu quälen durch überzogene Erwartungen, denn wir erwarten nicht alles von ihnen, sondern alles von Gott. Sie nicht festzulegen auf ihre Vergangenheit, denn Gott legt uns auch nicht auf unsere Vergangenheit fest. Nicht ihre Fehler und Makel zu sehen, sondern ihre Liebenswürdigkeit, ihre Fähigkeiten und ihre Schönheit, denn Gott sieht uns genau so an.

Norma Jeane Baker war unglücklich, weil sie immer Marilyn Monroe sein musste und nicht einfach mal ein Mensch sein konnte wie jeder andere auch. Wir sind nicht so berühmt wie Marilyn Monroe, aber auch wir werden auf eine Rolle festgelegt oder legen uns selbst fest, und dürfen nicht einfach die oder der sein, der wir sind. Indem Jesus uns Salz der Erde und Licht der Welt nennt, gibt er uns die Freiheit, diese Rollenfestlegungen aufzugeben - unsere, und die der anderen. Weil wir unendlich wertvoll sind - Salz der Erde, Licht der Welt, echte Brillanten, eben - brauchen wir nicht nach anderen Werten zu streben, die gar keine echten Werte darstellen. Wir brauchen keine Stars zu werden oder zu sein, denn wir strahlen ja bereits, heller als die Sonne.

 

V

Wir - Sie und ich - sind brillant. Wie geschliffene Diamanten leuchten wir, wie Salzkristalle bringen wir Würze ins Leben. Nicht durch nobelpreisverdächtige Ideen, nicht durch übermenschliche Anstrengungen oder unermüdlichen Einsatz. Sondern einfach nur, weil wir Menschen sind und andere Mensch sein lassen. Darin besteht unsere Brillanz: Wir versuchen nicht, wie Gott zu sein oder Gott zu spielen. Wir maßen uns nicht an, über andere zu urteilen; wir enthalten anderen nicht die Vergebung vor; wir bestimmen nicht, wer und was schön ist, oder gut; wer ein Recht auf Leben hat und wer nicht; wer in unserem Land bleiben darf und wer nicht. Wir überlassen das alles Gott und beschränken uns darauf, Menschen zu sein. So können wir auch andere Menschen Mensch sein lassen.

Vielleicht sind Sie jetzt enttäuscht. Das soll Brillanz sein? Das klingt so einfach, so gering. Aber versuchen Sie es einmal: Sie werden schnell merken, es ist das schwerste, das es gibt! Wenn wir tatsächlich Menschen sein wollen und nicht mehr sein wollen, als Menschen zu sein; wenn wir andere Mensch sein lassen und ihnen ihr Menschsein lassen wollen; wenn wir andere nicht deklassieren als "Ausländer", als "Wirtschaftsflüchtlinge", "Arbeitsscheue" oder ihnen ihr Menschsein nehmen, indem wir sie "Untermensch", "Spasti" oder "Asozialer" nennen - dann wird das die Welt tatsächlich heller machen, als es Sonne und Mond zusammen können.

 

"Diamonds are a girls best friend", singt Marilyn Monroe. Wie wäre es, wenn wir für die Norma Jeane Bakers unter uns zu besten Freunden würden, damit sie die Menschen sein können, die sie wirklich sind? Dann könnten sie andere Lieder anstimmen als das von den Diamanten, die der beste Freund einer Frau sind - Lieder, die Gott loben, wie das, was wir jetzt singen:

 

EG 272 Ich lobe meinen Gott



Pfarrer Güntzel Schmidt
Meiningen
E-Mail: guentzel.schmidt@gmx.de

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