Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 02.08.2015

Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Jochen Riepe

Der Patient erzählte, er sei nach der Operation auf sein Zimmer gebracht worden , noch ganz benommen von der Narkose. Er habe dann bemerkt , wie der Arzt hinein kam , an seinem Bett stand und – ihm über den Kopf strich. Der Patient sprach unter Tränen : Er habe im Krankenhaus wieder ‚glauben‘ gelernt und dann wörtlich : ‚Die Ärzte sollen sich mehr getrauen‘.

                                                                         II

Die Botschaft des Predigttextes am heutigen Sonntag scheint eindeutig zu sein. Es gibt Versager und es gibt Gewinner. Die Gewinner gehen ein zum Freudenfest , die Versager bleiben draußen vor. Die Macht der Unterscheidung. Die Macht der Scheidung. Fluch und Segen. Am Ende steht die Weisheit , und der Leser und Hörer weiß nicht , ob er lachen oder weinen soll : ‚Denn jedem, der hat , wird gegeben werden. Dem aber, der nicht hat , wird auch das genommen werden, was er hat‘. Wie wahr. Wie trostlos.

                                                                       III

‚Der aber das eine empfangen hatte, ging hin, machte eine Grube und verbarg das Geld seines Herrn.‘ Vielleicht ergeht es Ihnen , liebe Gemeinde, ähnlich : Man muß um den Sinn dieses Gleichnisses kämpfen. Wir wissen : Nur auf den ersten Blick , sozusagen auf der Bild- oder Erzählebene , geht es um das liebe Geld. Die Münzen , das Silber sind für den Erzähler Beispiele, Chiffren für jene Gaben , die Gott dir anvertraut hat und deren Einsatz , Gebrauch und Vermehrung er von dir verantwortet wissen will. Nicht wahr , das Bild ist gewagt : Wie das Geld nicht ruhen mag , daß es mehr und mehr werde, wje es gierig Anlage- nach Anlagemöglichkeit sucht , so soll es auch mit meinem Gut und Gaben stehen ? Hat die Sprache des Kapitals, der Verwertung und des Profits denn in Glaubensdingen etwas zu           sagen ?

                                                                         IV

Mich hat die Gestalt des dritten Knechtes beschäftigt . Der Versager , der Faule , der schließlich Verfluchte – in der Regel will ja keiner in dieser arbeitsamen , gestreßten Gesellschaft , in der jeder sehen muß, daß er auf dem Markt besteht, etwas mit ihm zu tun haben. Ich habe zwei Möglichkeiten entdeckt , diesen Knecht – gleichsam wie in einem Suchbild versteckt- zu erkennen. Die erste Antwort folgt der Logik des Geldes und nach dieser Logik gibt es nie – genug. Bei den anderen nicht. Bei mir selbst nicht. ‚Habe ich genug getan? Nein , es reicht nicht . Es reicht nie‘. Wir sind Kainiten , Nachfahren Kains , ‚unstet und ruhelos‘ , wir rennen und rennen und denken immer noch , wir seien faul, unnütz und wertlos. Zu dieser Logik gehört darum die selbstquälerische Frage : Wie lange werde ich noch mithalten können ? Wie lange werde ich noch funktionieren als brauchbare , kapitalisierbare Münze ? Wir alle zeigen , was wir können , aber ist es nicht eine Frage der Zeit , bis du der unnütze und faule Knecht bist ? Suchbild I.

                                                                           V

Der Patient war gefragt worden , ob sein Glaube ihm in der Zeit der Krankheit geholfen habe. Und dann erzählte er von dem Arzt, der ihm über den Kopf gestrichen habe. Der Arzt hatte seine professionelle Distanz soz. produktiv gestaltet und ‚sich etwas getraut‘. ‚Das war für mich eine spirituelle Erfahrung‘, sagte der Kranke. ‚Er hatte sich etwas getraut‘ – diese Beschreibung , liebe Gemeinde, brachte mich auf eine zweite Antwort auf der Suche nach dem Sinn unseres Gleichnisses. Der , der seine Talente in der Erde begrub , hat der sich nicht sozusagen gleich mit begraben? Man kann es doch so verstehen , daß der , der das ihm Gegebene dem Austausch und der Begegnung , der seinen Einsatz verweigert, daß der nicht nur etwas von sich, daß er sich selbst, seine Lebendigkeit , schuldig bleibt. Faulheit wäre dann nicht eine Frage der Menge , des Wie-viel, sondern eine Frage des Was und Wie. Was bringst du von dir ein ? Ist dein Herz dabei? Es gibt im Leben viele Gründe , Abstand zu halten und einen kühlen Kopf zu bewahren . Es gibt aber auch wohl Situationen , da unser Herz, Sinne und Verstand , Anteilnahme, unser Glaube , unsere Liebe und unsere Gabe , zu segnen, in besonderer Weise gefordert sind.

                                                                           VII

‚Der eine aber machte eine Grube und verbarg das Vermögen seines Herrn.‘ Suchbild II : Warum wollen wir es allen zeigen und zeigen doch so wenig von unserem ‚inneren Leben‘, dem Guten , das in uns ist ? Warum sind wir so überaus geschäftig und doch am entscheidenden Punkt so träge? Für die Situation in der Kirche hat jemand den bissigen Satz gewagt : ‚Es ist immer etwas los, aber es passiert nichts , keine Berührung, keine Bewegung, kein Segen‘. Haben wir zwischen dem aufdringlichen Gehabe mancher Umarmungszirkel und kühler, spröder Distanz nichts Drittes , was aus dem Wort Jesu , aus dem lebendigen Wort Gottes selbst , uns antriebe ? Wie wohltuend gerade an dieser Stelle das Verhalten des ersten und zweiten Knechtes : Sie nehmen das ihnen Anvertraute an . Sie trauen sich, es offen , freudig , beherzt und unbesorgt einzusetzen , fast wie Kinder , die ein Geschenk begeistert einsetzen und andere dabei mittun lassen. Sie zeigen , daß sie leben , indem sie ihr Leben ‚in Umlauf bringen‘ und werden so als Menschen , als Kinder des lebendigen Gottes , kenntlich. ‚Ja, der war wirklich dabei‘, sagen wir dann. ‚Der war nicht auf Wirkung bedacht , sondern auf Wirklichkeit‘.

                                                                             VIII

Ausdrücklich betont unser Gleichnis , daß dieses nichts mit der Menge des Vermögens oder der Gaben zu tun hat. Qualität statt Quantität. Der Patient – er hatte keine Extras oder Sonderbehandlungen erhalten. Es war ‚nur‘ die einfache Zuwendung , die Geste , die Hand, die über seinen Kopf strich, aber diese ,ja : Segens-Geste stellte Arzt und Patient in eine neue, unerwartete Wirklichkeit. Der Professionelle hatte es gewagt , entgegen den Distanzregeln seines Standes , vielleicht auch gegen die skeptischen Blicke seiner Kollegen , seiner Intuition , seinem ‚Energiefluß‘ zu folgen . Wie wunderbar ist es , wenn Wissen und Heilkunst sich mit dem Herzen zusammentun , und mich wundert es jetzt gar nicht mehr so sehr, daß eben dies für den Patienten eine Glaubenserfahrung war . Gottes unaufdringliche Nähe in der unaufdringlichen , unerwarteten Nähe eines Menschen .

                                                                       IX

Nun mag am Ende mancher fragen : Woher weiß ich denn , was mir gegeben wurde ? Was ist mein Talent, das ich treu verwalten und einsetzen kann ? So vieles stürzt auf mich ein , dahin soll ich rennen und dahin auch noch – was aber ist mein Weg ? Trau dich. Du kannst auf andere zugehen. Du kannst ihnen dein Gruß und dein Lächeln schenken. Du kannst ihren Namen nennen und ihnen deine Hand geben - fest und verbindlich. Du kannst buchstäblich ein ‚Profi‘ sein. Du kannst ihnen sogar über den Kopf streichen und sie segnen, denn du hast die Gabe des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe . Und wenn du die zeigst , dann zeigen sich alle anderen von selbst.



Pfarrer Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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