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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 02.08.2015

Gut und gerecht
Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Matthias Wolfes

 

Gleichwie ein Mensch, der über Land zog, rief seine Knechte und tat ihnen seine Güter aus; und einem gab er fünf Zentner, dem andern zwei, dem dritten einen, einem jedem nach seinem Vermögen, und zog bald hinweg. Da ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann andere fünf Zentner. Desgleichen, der zwei Zentner empfangen hatte, gewann auch zwei andere. Der aber einen empfangen hatte, ging hin und machte eine Grube in die Erde und verbarg seines Herrn Geld.

Über eine lange Zeit kam der Herr dieser Knechte und hielt Rechenschaft mit ihnen. Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte andere fünf Zentner dar und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner ausgetan; siehe da, ich habe damit andere fünf Zentner gewonnen. Da sprach sein Herr zu ihm: Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der zwei Zentner erhalten hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner gegeben; siehe da, ich habe mit ihnen zwei andere gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wußte, dass du ein harter Mann bist: du schneidest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht gestreut hast; und fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in die Erde. Siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du Schalk und fauler Knecht! wußtest du, dass ich schneide, da ich nicht gesät habe, und sammle, da ich nicht gestreut habe? So solltest du mein Geld zu den Wechslern getan haben, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine zu mir genommen mit Zinsen. Darum nehmt von ihm den Zentner und gebt es dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ (Jubiläumsbibel 1912)

 

Liebe Gemeinde,

Herr, ich wußte, dass du ein harter Mann bist: du schneidest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht gestreut hast.“ Dies ist es, was der sogenannte „unnütze Knecht“ erklärt und womit er seine Handlungsweise rechtfertigen will. Uns beunruhigen seine Worte, wissen wir doch, dass es sich bei der ganzen Erzählung um eine Parabel handelt, deren eigentlicher, wesentlicher Gegenstand Gott ist. Das „Himmelreich“, das „Reich Gottes“, um das es der Sache nach geht, bedarf offensichtlich der umschreibenden Rede. Jesus greift hier, wie auch sonst immer wieder, zum Gleichnis, weil dies der Weg – vielleicht sogar der einzige Weg – ist, von Dingen zu sprechen, die sich dem unmittelbaren Ausdruck entziehen. Die Worte des „Knechts“ beziehen sich also auf Gott, und dass er wie ein harter Mann vorzustellen sei, will uns nicht gefallen.

Was aber dann noch mehr beunruhigen kann, ist die Unerbittlichkeit, mit der das anscheinend ungebührliche Verhalten geahndet wird. Die zornige Reaktion des Herrn stößt uns vor den Kopf. „Wer nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.“

Es fällt schwer, diese Aussagen mit bestimmten Vorstellungen zu verbinden, die vielen von uns den Begriff „Gott“ überhaupt erst sinnvoll machen. Was man erwartet, wäre etwa, dass der Schwache, der Ängstliche gestärkt wird, dass ihm Mut zugesprochen wird und zumindest seine Aufrichtigkeit Anerkennung findet. Das Gegenteil aber geschieht. Wie sollen wir uns also zu dieser Geschichte stellen? Was können wir ihr entnehmen? Worin liegt ihr Sinn?

 

I.

Zunächst einmal möchte ich auf den Umstand hinweisen, dass überhaupt in Gleichnisform gesprochen wird. Der Ausdruck „Reich Gottes“ ist so beschaffen, dass eine direkte Erklärung dessen, worauf er geht, nicht gelingen kann. Nicht nur die Sprache reicht dafür nicht hin, sondern auch die Sache selbst entzieht sich solcher Direktheit. Damit klar werden kann, was gemeint ist, bedarf es der Umschreibung. Es muß eine Anschauung geschaffen werden, und das genau ist die Aufgabe des Gleichnisses.

In unserem Glaubensleben spielen viele Begriffe eine Rolle, die von dieser Art sind. Auch der Begriff „Gott“ selbst, gehört dazu. Ein großer Teil unserer religiösen Biographie besteht darin, dass wir einen Weg finden, mit dieser Schwierigkeit klarzukommen. Religiöse Erziehung, ob bei Kindern und Jugendlichen oder später Dazugekommenen, ist im wesentlichen ein Prozeß der Einwohnung in die Sprache des Glaubens. Zu seinem Glauben gekommen ist man, wenn man von ihm sprechen kann. Diese „Einwohnung“ ist ein Vorgang. Man bildet sich selbst hinein in die Dinge des Glaubens, seine Formen, sein Vokabular und seine Inhalte. Dies bedeutet aber, dass man sie sich zueignet. Man bildet sich das, was man vorfindet – was einem überliefert wird –, ein und eignet es sich zu. Einwohnung heißt, der Glaube wird zu einem heimischen, guten Ort.

Aber, so unerläßlich dieser Prozeß der Ein- und Gewöhnung, des Sich-Eintastens, in die Glaubenswelt und ihre Sprache auch ist, der Weg geht denn doch noch ein Stück weiter. Es wird eine Grundlage geschaffen; Zugehörigkeit wird hergestellt, aber sie findet noch nicht wirklich statt. Man ist dabei, aber noch nicht mitten inne. Es ist eine äußerliche Zugehörigkeit, die erst in dem Moment zu einer wirklichen Teilhabe wird, in dem man beginnt, eigene Schritte zu tun. Gewöhnung ist wichtig, aber gewöhnen kann man sich an alles, auch an das Verrückte.

Was sich herstellen muß, ist die Kraft, das Bekenntnis aus eigener Überzeugung heraus zu sprechen. Und das ist nur möglich, wenn man zu ihm in einem Verhältnis steht, das nicht mehr unselbständig ist. Wenn einer weiß, weshalb er es spricht, und es in diesem Bewußtsein auch sprechen will, dann erst ist es sein Glaube.

In diesem Sinne ist die Erzählung von den anvertrauten Zentnern auch ein Bekenntnis. Sie macht den Hörern nicht nur deutlich, als was man sich das „Reich Gottes“ vorstellen kann, sondern sie besagt auch, daß es darum geht, solchen Vorstellungen einen Ausdruck, eine Gestalt zu geben.

Können wir uns aber nun in diesem besonderen Fall diese Gestalt zueigen machen? Entspricht sie dem, was wir, als Bekennende, unsererseits zu sagen haben, wenn es darum geht, der durch nichts mehr bedingten Wirklichkeit Gottes, der Freiheit des Geistes jenseits aller Zeit, Ausdruck zu geben?

 

II.

Zum einen macht die Situation als ganze deutlich, dass wir uns bewußt sein müssen: Wir stehen in der Gefahr, uns Gottes zu bemächtigen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Wenn die wahrhaftige Rede von Gott immer nur die sein kann, die Ausdruck und Zeugnis unseres Glaubens ist, dann kann es leicht geschehen, dass wir unseren Glauben mit der Objektivität des Geglaubten gleichsetzen.

„Gott“ ist dann der, von dem wir als von „Gott“ sprechen. Doch so ist es nicht. Es ist genau umgekehrt. Nicht wir erschaffen Gott, indem wir von ihm sprechen, sondern Gott erschafft uns als solche, die das Zeugnis geben. Wo dieses Bewußtsein fehlt, wo einer seinen Glauben aus sich selbst heraus bezeugen zu können meint, da handelt es sich um einen Akt der Bemächtigung. Da hebt der Glaube die Hand auf gegen Gott.

Dieser Aspekt ist in meinen Augen so wichtig, dass allein deshalb schon das Gleichnis, und zwar in seiner ganzen Anstößigkeit, von besonderer Bedeutung ist. Dennoch aber bleibt das Problem des Gottesbildes bestehen. Auch hierzu müssen wir eine Stellung einnehmen.

Viele Ausleger betonen, es gehe darum, „den Willen Gottes ernst zu nehmen“. Sie sagen, wir sollten uns mutig an den offenen Möglichkeiten seiner Zukunft orientieren und nicht ängstlich auf die bestehende Wirklichkeit der Gegenwart fixiert sein.

Man kann es wohl so sagen. Aber geht nicht diese Interpretation etwas großzügig über die Geschichte selbst hinweg? An und für sich ist es gewiß richtig, alle uns geläufigen Maßstäbe von Richtig, Gut und Gerecht oder eben von Falsch, Nicht gut und Ungerecht beiseite zu lassen, wenn es um Gott geht. Er ist sein eigener Maßstab; er ist das Jenseits zu unseren Beurteilungskriterien. Aber ist er es wirklich grundsätzlich und schlechthin? Sind denn nicht auch jene Maßstäbe Ausdruck unseres Glaubens?

Wenn wir an dem Ideal einer gerechten Gesellschaft festhalten, ohne Ausbeutung, ohne Übervorteilung, ohne verweigerte Anerkennung geleisteter Arbeit, dann sehen wir das doch eben auch im Zusammenhang mit unserem Vertrauen auf Gott. Von ihm erwarten wir doch die Kraft, die uns befähigt, an der Überwindung dieser Mißstände und Unmenschlichkeiten mitzuwirken. Und wenn wir in solchem Wirken begriffen sind, dann meinen wir das in Entsprechung zu unseren religiösen Überzeugungen zu tun.

Es ist im Recht, wer so argumentiert. Dem Gleichnis haftet eine Komponente an, die wir nicht einfach hinwegdeuten können. Reformatorische Theologen haben es als Appell zur Tätigkeit aufgefaßt. Doch das macht die Sache nicht besser, denn ein Handeln, das so motiviert ist, ist Handeln aus Angst. Es ist ja vielleicht erfreulich, wenn die Erzählung dazu geführt hat, dass das Geschäftsleben gleichnisfähig geworden ist. Aber für was? Um welches Handeln geht es; was sind seine Kriterien?

Der Christ handelt, wenn er es aus seinem Glauben heraus tut, aus Freiheit. Nicht um das bloße Tun als solches geht es ihm, sondern um ein bestimmtes, eines, das seinen Überzeugungen entspricht. Das Handeln des Christen ist auf eine bessere, eine gerechtere, eine gute Welt gerichtet. An ihr mitzuwirken ist ihm Sache des Glaubens selbst. Die Frage, ob der Herr nicht vielleicht doch ein „harter Mann“ sei, mag dabei nicht verstummen. Sie überdeckt aber nicht das Vertrauen, das er ihm, allem zum Trotz, entgegenbringt und das der Kern und Stern des Glaubens ist.

Amen.

 



Dr. Dr., Pfarrer Matthias Wolfes
10625 Berlin
E-Mail: wolfes@zedat.fu-berlin.de

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