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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 02.08.2015

Angst ist ein schlechter Ratgeber
Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Wolfgang Schmidt

Liebe Gemeinde,

Angst ist ein schlechter Ratgeber! Mit der ihm eigenen Kraft seiner Gleichniserzählungen gibt Jesus uns aus dem heutigen Predigttext diesen Satz mit auf den Weg. In großer Klarheit und in großer Eindringlichkeit sagt er uns das: Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Es ist eine der letzten Passagen im Matthäusevangelium, bevor der Evangelist zur Passionsgeschichte Jesu übergeht. Sie gehört zu den zwei Kapiteln, in denen er ein schwieriges Thema entfaltet, das wir im Glaubensbekenntnis in die nüchternen Worte fassen: „Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.“ Es geht ums Ende. Es geht um Bestandsaufnahme. Es geht um die Bilanz meines Lebens. Das verhandelt Matthäus in diesen zwei Kapiteln. Und das Thema ist ja durchaus geeignet, uns Angst zu machen. Martin Luther ist doch schier gar verzweifelt an der Frage, wie er zu einem Gott kommt, der ihm gnädig ist im Gericht. Und in der religiösen Erziehung haben Menschen zu allen Zeiten darunter gelitten, dass andere die Angst vor dem jüngsten Gericht schürten, um sie auf den vermeintlich rechten Weg zu bringen.

Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber, wie uns Jesus in seinem Gleichnis belehrt. Vom Vermögen ist da die Rede, das einer seinen Knechten anvertraut, auf dass sie etwas daraus machen. Ein wunderbares Wort ist das: Vermögen - beschreibt es doch in umfassender Weise die vielfältigen Möglichkeiten, die einer bekommt, sich in die Welt hinein zu verausgaben. Vermögen und Möglichkeiten sind Wortgeschwister. „Ich vermag“ heißt „Ich kann“. Es ist mir möglich. Ich bin dazu in der Lage. Ich habe das geistige Vermögen dazu. Ich habe das psychische Vermögen. Ich habe das physische Vermögen. Und das bis hin ins materielle: ich besitze ein Vermögen, ein kleines, ein großes, ein durchschnittliches. 83.000 Euro war das durchschnittliche Vermögen eines jeden, einer jeden Deutschen in 2014. Höchst ungleich verteilt natürlich. Frauen, junge Menschen und Eltern haben weniger Vermögen. Erwachsene in Westdeutschland verfügen im Schnitt über 94.000 Euro, im Osten hingegen nur etwas mehr als 41.000 Euro. Ganz wie in unserer Geschichte. Fünf Zentner Silber, zwei Zentner Silber oder nur einen. Es geht uns wie den Knechten.

Wir alle haben in der ein oder anderen Weise das Vermögen, uns in die Welt hinein zu verausgaben. Es ist wie das Spielgeld bei Monopoly, das uns erlaubt mitzuspielen, dabei zu sein, zu kaufen und zu verkaufen, mal über Los zu ziehen und mal ins Gefängnis zu kommen und den Weg auszuwürfeln, den ich im nächsten Zug gehen werde. Mein Vermögen im materiellen wie im übertragenen Sinne ist der Einsatz, der mir erlaubt, das Spiel des Lebens mitzuspielen.

Jesus richtet unseren Blick nun auf einen, der sich scheut, das Spiel des Lebes mitzuspielen, einer, der Angst hat, sein Vermögen zu verausgaben. Er fürchtet, dass er der Sache nicht genügt. Ja, er fürchtet eigentlich den Ausgang der Sache. Er fürchtet das harte Urteil, der Verlierer zu sein. Ein „looser“. Und damit er wenigstens den Einsatz am Ende noch in Händen hält, vergräbt er ihn. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als mir mein Vater das Skatspiel beibrachte. In den ersten Runden, wenn es mir einmal gelang, das Spiel an mich zu bringen, drückte ich regelmäßig zwei Asse in den Skat – nur einfach um auf Nummer Sicher zu gehen. Nur einfach um sie keinesfalls zu verlieren. Nur einfach um am Ende, wenn gezählt wurde, zumindest diese 22 Punkte noch sicher in der Tasche zu haben. Kein Gedanke daran, dass ich damit doch gute Stiche machen konnte! Kein Gedanke daran, dass jedes Ass, das ich ausspielen würde, mir noch viele weitere Punkte dazu einbringen könnte! Nein! Aus Angst hielt ich meine 22 Punkte zurück. Aus Angst, sie zu verlieren.

 

Ja, die Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und im Falle unseres Gleichnisses veranlasst sie den dritten Knecht, einen Zentner Silbergeld einzugraben. Sicher ist sicher! Vergraben gilt nach rabbinischem Recht als der sicherste Schutz vor Dieben: Wer ein Pfand oder Depositum gleich nach Empfang vergrub, war von der Haftpflicht befreit. Wer sein Vermögen vergräbt, entlastet sich von der Verantwortung -zumindest scheinbar. Doch wenn dann am Ende die Punkte zusammengezählt werden, hat er nichts vorzuweisen. Das einzige Gut, das Frucht trägt, wenn man es vergräbt, ist Saatgut. Alles andere will verausgabt werden, um Frucht zu bringen. Da tut es einem regelrecht weh, wie der Mann im Gleichnis, seine Möglichkeiten, sein Vermögen im umfassenden Sinne unter die Erde bringt. Wie er sein Leben begräbt. Sein Potenzial reduziert. Und das Ganze nur aus Angst. Angst vor dem Scheitern, Angst, dass er am Ende bei der Bilanz nicht genug vorzuweisen hat.

Dabei liegt in diesem Gleichnis selbst eigentlich ein sehr ermutigendes Paradox. Der Herr, als er zurückkehrt, wirkt zwar wirklich hartherzig und streng, so dass man ihn fürchten müsste. Aber wenn man ihn nicht fürchtet, dann braucht man ihn auch nicht zu fürchten, wie das Beispiel der beiden Knechte mit ihren fünf und zwei Zentnern Silbermünzen zeigt. Wenn man sein Urteil nicht fürchtet, braucht man ihn am Ende tatsächlich nicht fürchten. Was der Herr belohnt, ist sich zu verausgaben, sich ohne Furcht vor Verlusten zu riskieren, hinzugeben, den Einsatz zu wagen und bewusst sich ins Leben hinein zu investieren.

In welche Richtung solches Investment gehen kann, zeigt ein kleiner Abschnitt aus dem Slavischen Hennochbuch, eine jüdische apokalyptische Schrift, die wie das Matthäusevangelium im ersten Jahrhundert entstand, und ebenfalls das Bild des vergrabenen Vermögens aufgreift. „Der Waise und der Witwe“ heißt es dort, - „der Waise und der Witwe und dem Fremdling reichet dar eure Hände entsprechend eurer Kraft. Verbergt nicht euer Silber in der Erde. Helft dem Elenden in der Trübsal und nicht wird euch finden Trübsal in euren Schatzkammern und zu der Zeit eurer Mühlsal.“ Der Waise und der Witwe und dem Fremdling! Dass es in diese Richtung geht, zeigt schließlich auch die Platzierung des Gleichnisses direkt vor den bekannten Sätzen über das Weltgericht: „Was ihr einem von meinem geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus dort. Und er zählt die Hungrigen auf, die gespeist wurden, die Durstigen, denen einer zu trinken gab, die Fremden, die Aufnahme fanden, die Nackten, denen einer Kleider gab sowie die Kranken und die Gefangenen, die einer besuchte.

Das sind die Felder, auf die man setzen kann. Das sind die Felder, auf denen man sich verausgaben kann. Da bringt jeder Einsatz Gewinn! Was wir da vermögen, wird Früchte tragen und jeder, der sie am Ende zählt, wird reiche Ernte konstatieren. Gerade diese Tage mit ihren Bildern vom Flüchtlingselend in aller Welt geben dem Gleichnis eine hohe Aktualität. Auch hier im Land mit den vielen afrikanischen Flüchtlingen. Auch in Deutschland, wo Tausende aus Syrien und anderen Krisenherden dieser Welt in diesen Tagen ihre Notunterkünfte beziehen. Angst vor den Fremden? Sollen wir unseren Zentner, den wir haben, in der Erde vergraben um ihn zu retten oder nicht vielmehr uns hingeben mit dem was wir vermögen? Jesus sagt uns, dass Angst kein guter Ratgeber ist und dass der, der die Furcht überwindet, am Ende auch gar keine haben muss. Sich verausgaben ans Leben bringt Segen.

Und so will ich mit einer kleinen Geschichte enden, die der Yalkut erzählt, eine mittelalterliche Sammlung jüdischer Auslegungen zu biblischen Büchern, die einem gewissen Simeon aus Frankfurt zugeschrieben wird. Hier geht es zwar nicht direkt um den Einsatz des Vermögens, sondern um die Liebe zu Gott. Aber die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten sind ja in unserer Religon bekanntlich nur die beiden Seiten ein und der selben Medaille. Folgendes wird also erzählt: „Ein König hatte zwei Minister, von denen einer ihn liebte und der andere ihn fürchtete. Der König entfernte sich auf lange Zeit vom Reiche. In seiner langen Abwesenheit beschäftigte sich der Minister, der ihn liebte immer mit Eifer, ihm die Gärten und den Palast zu besorgen, ihm köstliche Sachen vorzubereiten. Der Minister, der ihn fürchtete, aber nicht liebte, dachte nicht mehr an seinen König. Endlich kehrt der König zurück und lächelt dem ersten Minister freundlich zu wegen der zarten Sorge, die er für seine Sache hatte; und der Minister jubelte über die Freude des Königs. Dieser geht dann drohend auf den zweiten Minister zu, der zittert und erblasst. – Dies ist der Unterschied zu einem, der Gott liebt, und einem, der ihn fürchtet; der Teil dessen, der Gott liebt, ist doppelt.“



Propst Wolfgang Schmidt
Jerusalem
E-Mail: propst@redeemer-jerusalem.com

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