Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 09.08.2015

Schalom
Predigt zu Lukas 19:41-48, verfasst von Anders Kjærsig

Schalom

Das folgende ist eine Meditation über einen einzigen Satz aus dem Text. Er lautet:

Wusstest auch du nur an diesem Tag, was dient zu deinem Frieden!

Eine Meditation bedeutet, dass jedes wesentliche Wort in dem Satz entfaltet wird und in einen neuen Zusammenhang gesetzt wird. Das erste Wort in dem Satz ist Wusstest oder Wissen, das letzte Wort ist Frieden. Setzen wir die Worte zusammen, bedeutet sie etwa: Etwas wissen, wie man Frieden bekommt. Das könnte vielleicht die Überschrift sein für die Meditation: Etwas wissen, wie man Frieden bekommt. Wir beginnen von vorn.

Wusstest …

Wissen ist nicht dasselbe wir glauben. Wir unterscheiden in der Regel zwischen Glauben und Wissen.

Die Naturwissenschaften sagen uns, wie die Welt zusammenhängt, indem sie sie misst und wiegt auf alle möglichen denkbaren Weisen. Wir messen uns in Geld, dem Gesetz der Schwerkraft, materiellem Ballast. Wir messen uns in der Einrichtung der Welt, in Lebensqualität und den Sorgen des Alltags. Hier gehört die Welt uns – unsere messbare Welt.

Die Kirche und die Theologie sagen uns aber, wie wir uns zu dieser Welt verhalten sollen, welchen Standort wir haben und wie wir einander betrachten sollen. In kirchlicher Perspektive messen wir uns nicht mit dieser Welt, weil wir wissen, dass Liebe, Barmherzigkeit und Freude nicht von uns selbst oder der Welt als solcher kommen. Liebe wird uns geschenkt, und das ist mehr als man messen und wiegen kann.

Die Naturwissenschaft und die Theologie sind also auf den ersten Blick zwei verschiedene Sprachen und zwei verschiedene Betrachtungen der Wirklichkeit und der Welt: Wissen und Glauben.

Aber bei näherer Betrachtung ist diese Unterscheidung unhaltbar. Viele Hypothesen, auf denen die Wissenschaft beruht, erweisen sich nämlich als unhaltbar – sie glaubten, dass ihr Wissen wahr und richtig ist, aber bei näherer Betrachtung erwies es sich als unhaltbar, und sie müssen, wie man sagt, umdenken bzw. um-glauben, wie man in Dänemark sagt. Die Wissenschaft baut ihr Wissen mit anderen Worten ihr Wissen auf Glauben. Man frage nur die Meteorologen. Die Wettervorhersagen sind ein herrliches Gemisch von Glaube und Wissen. Wissen enthält Glauben.

Dagegen enthält der Glaube auch ein Wissen. Wir wissen aus Studien aus der Bibel und der Kirchengeschichte, wie der christliche Glaube aussieht und was für einen Gottesbegriff er enthält. Das haben wir studiert in den Ritualen der Kirche, der Bibel und den Bekenntnissen. Wir kennen nicht Gott, aber wir wissen etwas von Gott, weil wir die Schriften lesen können. In dieser Weise weiß man also etwas über den Begriff Glaube. Der Glaube hängt nicht unreflektiert in der Luft.

Glauben und Wissen hängen also zusammen wie zwei Seiten ein und derselben Münze. Wir glauben an unser Wissen, und wir wissen etwas über unseren Glauben. So wendet sich Jesus an uns: Du bekommst etwas zu wissen über mich, so dass du etwas hast, woran du glauben kannst.

Wusstest auch du nur …

Der Satz bedient sich der zweiten Person Einzahl. Er wendet sich an den einzelnen Menschen, auch wenn er von Jerusalem handelt. Die evangelischen Erzählungen sind oft als persönliche Anreden formuliert. Da wird entweder Petrus oder Johannes oder der Verbrecher am Kreuz angesprochen. Da wird die Frau angesprochen, die der Hurerei überführt ist. Da wird Judas angesprochen, der Verräter. Da wird zu einem Du gesprochen, zu dir und mir als einzelne Individuen. Das christliche Gottesverhältnis ist ein persönliches Verhältnis, das keine dritte oder vierte Instanz erfordert. Deshalb wendet sich der Segen an ein Du: Der Herr segne dich und behüte dich. Und das brauchen wir!

Gott weiß nämlich mehr über mich als ich selbst. So persönlich ist das. Er ist mein Vater, und ich bin sein Kind. Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme. So beten wir. Das ist die Relation: Ich-du und er-ich. Wir beten nicht: Sein reich komme und sein Wille geschehe. Täten wir dies, würden wir die Kirche zu einer Räuberhöhle machen statt einem Bethaus. Wir wenden uns persönlich an Gott wie Jesus sich persönlich an uns wendet.

 

Wusstest auch du nur an diesem Tag

Dabei ist an den heutigen Tag gedacht. Das geschieht oft. Der Augenblick, das Jetzt, der heutige Tag, die Stunde des Jetzt sind alle typischen evangelischen Worte. Das sagt etwas darüber, wie wichtig das Leben ist. Jetzt gilt es. Braucht man nicht die Zeit, solange Zeit ist, dann missbraucht man nicht nur die Zeit, sondern verliert das Leben, verliert es aus den Händen. Die Zeit geht und verzehrt alle Augenblicke. Was geschehen ist, kommt nie zurück. Die verlorenen Sekunden, die vergeblichen Taten, all das, was man nicht getan hat, als es an der Zeit war, und all das, was man getan hat, aber gerne ändern wollte, aber nicht konnte , weil die Zeit vorbei war.

Deshalb wendet sich Jesus persönlich an uns, und tut dies hier und jetzt.

 

Wusstest auch du nur an diesem Tag, was dient …

Ein Diener ist mehr als sein Herr. Dienen ist nämlich, sich selbst zurücknehmen für das Wohl und Wehe des anderen Menschen. Der Diener ist in dieser Weise eine aufopfernde Figur. Wir kennen ihn aus unzähligen Zusammenhängen. Der diskrete und allgegenwärtige Diener, den niemand bemerkt hat, der aber für uns alle sorgt, um uns zu dienen.

Jean-Poul Sartre hasste den Diener und all das, was die Figur des Dieners bedeutete. Ein Diener ist der Inbegriff des Massenmenschen, der anonym in einer entfremdeten Welt lebt.

Im Christentum ist Jesus der Knecht. Der leidende Knecht, der am Kreuz stirbt und am dritten Tage aufersteht, damit der Tod nicht das Letzte in der menschlichen Existenz ist. Gott als Knecht. Das ist starker Tobak. Der allmächtige und große Gott, der sich als der kleine und fleißige Knecht erweist. Das wirkt absurd und widersprüchlich. Aber das ist es nicht. Jesus dient und zeigt uns so, was das Reich Gottes ist: Dass wir einander dienen. Deshalb wendet sich Jesus an uns als Knecht.

 

Wusstest auch du nur an diesem Tag, was dient zu deinem Frieden

Frieden ist ein starkes Wort. Auf Hebräisch heißt es Schalom. Friede sei mit dir, Friede für Leib und Seele, Friede mit deinem Mitmenschen, Friede mit deinem Gott. Das ist der Friede, der uns im Segen geschenkt wird: Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Friede. Friede ist das letzte Wort, das der Pastor im Gottesdienst spricht.

Friede ist das, was wir wünschen für unsere Kinder. Friede wünschen wir für die Sterbenden und die Toten. Friede geben wir einander. Nicht indem wir einander in Ruhe lassen, sondern indem wir einander den Frieden schenken. Friede ist eine Dethronisierung aller Sorgen. Friede ist das abzulegen, was keinen Frieden schenkt. Das ist für einen Augenblick zu leben wie die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels. Friede sehen wir in den Augen des kleinen Kindes. Friede ist den heutigen Tag leben, als ein Geschenk, das uns in jedem Atemzug gegeben wird.

 

Wusstest auch du nur an diesem Tag, was dient zu deinem Frieden

Das einzige, was fehlt, ist ein Amen. Amen bedeutet fertig, Schluss, Punkt. Aber Amen setzt keine Grenzen. Das ist nur eine Erkenntnis dessen, das die Worte Gottes unergründlich sind. Wir müssen einhalten, denn er hält nicht ein. Sein Friede ist mehr als die Sprache erfassen kann. Amen.



Pastor Anders Kjærsig
DK 5792 Årslev
E-Mail: ankj(at)km.dk

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