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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag des Kirchenjahres - Ewigkeitssonntag, 25.11.2007

Predigt zu Matthäus 22:23-33, verfasst von Helmut Dopffel

Liebe Gemeinde,

einmal über die Grenze schauen können, über den Jordan, über die Grenze des Grabes! Hinüber ins Jenseits dieser Welt, in die himmlische Stadt, in den Garten, in den funkelnden Festsaal. Ich vermute, ich bin nicht der Einzige hier in diesem Raum, der ab und zu diese Sehnsucht kennt. Sie hat viele Väter. Einer ist die Neugier. Wie ist das denn nun? Kann dieses Leben hier schon alles gewesen sein? Gibt es das, Leben jenseits der Grenze? Und wie könnte dieses Leben aussehen, jenseits des Todes? Neugier ist eine gute Sache, beinahe das halbe Leben. Was wäre ein Mensch ohne Neugier? Was wäre ein Kind ohne Neugier?

Aber es ist nicht nur Neugier. Oft ist es der Schmerz, der fragen und zugleich verstummen lässt. Heute ist Gedenktag der Entschlafenen, süddeutsch klar: Totensonntag. Viele gehen an Gräber. Der Tag führt uns Gesichter vor Augen, ruft sie in Erinnerung, Menschen, die wir vermissen, Eltern, Freunde, Ehefrauen, Ehemänner, Partner und Partnerinnen, Menschen, die einstmals eng an unserer Seite waren, vielleicht sogar die Kinder. Vielleicht ist die Trennung, ist der Schmerz noch ganz frisch; vielleicht nur ein Nachhall längst vergangener Zeiten. Manche spüren eine reißende Sehnsucht, andere ein Gefühl der Schuld, oder der Leere, oder dass sie lebenswichtiges unwiederbringlich versäumt haben. Der Tod trennt die Liebenden und auch die, die sich nicht lieben konnten. Mit diesem Tod und mit diesen Toten müssen wir leben. Wir werden nachher im Fürbittgebet solcher Menschen gedenken. An diesem Tag lässt sich das nicht vermeiden. Wir fragen vielleicht: Wo sind sie denn? Wir fragen: Werden wir sie wieder sehen? Wir fragen: Werden wir diese Liebe noch einmal spüren? Wir fragen: Können wir wieder gut machen was nicht gut war? Im Traumleben begegnet uns all dies manchmal ganz realistisch. Außerhalb des Traumes stehen wir an der Grenze. Die Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte und Erinnerungen sind noch da oder kehren wieder. Aber der Blick und die Sprache und das Verstehen kommen an ihr Ende. Der Tod macht sprachlos, die hilflosen Versuche der Traueranzeigen demonstrieren es täglich.

Auch an den eigenen Tod erinnert dieser Tag. Manche denken vielleicht oft daran, andere versuchen, den Gedanken eher wegzudrängen. Auch wenn wir's vielleicht ganz tief in uns nicht glauben können, so wissen wir's wenigstens in unserem Kopf: Wir alle, die wir heute Morgen in diesem Gottesdienst sitzen, wir alle werden einmal sterben. Wir alle werden einmal über diese Grenze gehen, diese Grenze, an der wir nun endgültig alle gleich werden, wie es die Totentänze von Riga bis Basel zeigen. Nicht unbarmherzig, aber ganz genau. Der Tod kommt zu allen. Vom Papst bis zum Bettler. Und vielleicht ist jenseits der Grenze gar kein Garten, keine himmlische Stadt, kein funkelnder Festsaal? Was geschieht an dieser Grenze?

Ich habe vorher eine Geschichte verlesen. In der Geschichte wird Jesus eine Frage zu Tod und  Auferstehung gestellt, er sagt etwas, es ist wenig, aber es ist wohl das Entscheidende. Es ist ja ein seltsam rationales, anscheinend vernünftiges Gespräch, das hier eingeleitet wird, anhand eines konstruierten Falles: eine Frau verliert ihren Mann, wird vom Bruder geheiratet, wie es das alttestamentliche Gesetz, vorsieht, und so geht es fort, siebenmal. Die Sadduzäer, die diese Frage stellen, wollen damit zeigen: Wenn diese Regelung aus dem Gesetz gilt - und das ist für sie unstreitig -, dann ist eine Auferstehung undenkbar, weil sonst ja im Himmel geradezu chaotische Zustände herrschen müssten. Aber warum eigentlich nicht? Wer sagt denn, dass im Himmel alles ordentlich und aufgeräumt ist?

Wie gesagt, eine seltsam rationale Argumentation angesichts des Themas, angesichts aller Erfahrungen und Gefühle, die sich für Menschen mit dem Tod verbinden. Allerdings: Solch rationale Argumentation findet sich bis heute, auf der Seite der Skeptiker ebenso wie auf der Seite der Jenseitsgläubigen. Es gibt heute eine Jenseitsforschung, die ihre Ergebnisse nicht als Bilder, als Hoffnungen oder als Glaubenwahrheiten präsentiert, sondern als gesichertes Erfahrungswissen über die Geistige Welt jenseits des Todes. Man kann nicht bestreiten, dass dieser Jenseitsforschung das Verdienst zukommt, Sterben, Tod und Jenseits wieder zu öffentlich verhandelten Themen gemacht zu haben. Das hat auch der Kirche gut getan. Aber es beschleicht mich doch ein großes Unbehagen, wenn sogar Sterben und Tod und Transzendenz in wissenschaftlicher Sprache daher kommen und in der Sprache der Tatsachen verhandelt werden. Zurückhaltung, Skepsis, ja Sprachlosigkeit - ist das nicht oft die angemessenere, menschlichere Haltung angesichts des Todes, angesichts dieser Grenze? Ist das Verstummen nicht unserer Erfahrung und unserer Seele näher als viele kluge Worte? Da tut es gut, zu schweigen und im Schweigen beieinander zu sein. Und wenn Sprache hilfreich ist, dann doch noch am ehesten die Sprache der Musik, die unsere Gefühle berührt und trägt und bewegt und damit alles sagt und doch nichts erklärt.

Wir sind in der Kirche vielleicht sehr schnell dazu geneigt, solche Zurückhaltung und Skepsis als Unglaube zu werten. Aber damit würden wir vielen Menschen heute und auch den Sadduzäern damals unrecht tun. Die Sadduzäer hielten daran fest, dass nur die Tora, also nur die fünf Bücher Mose gültiges Gesetz Gottes und Weisung seien. Sie waren sozusagen zu Jesu Zeiten die streng bibeltreuen Gruppen. Und sie haben sich in ihrer Skepsis gegenüber der Auferstehung durchaus zu Recht auf das Gesetz berufen können, denn dieses kennt keine Auferstehung, kein eigentliches Leben nach dem Tod. Israel hat wohl viele Jahrhunderte so gelebt und geglaubt: Die Toten loben Gott nicht. Das hat mir immer wieder zu denken gegeben, dass es das offenbar gibt, an Gott zu glauben, Gott zu vertrauen, Gott zu lieben und zu ehren, ohne ein Weiterleben nach dem Tod zu kennen.

Erst im Laufe der Jahrhunderte hat sich dies verändert.

Und dennoch: Vernünftige Argumente für oder gegen treffen die Sache irgendwie nicht und helfen auch nicht. Sie lassen uns nicht über die Grenze schauen.

Jesus antwortet - so heißt es ganz betont; aber er lässt sich nicht auf diese vernünftigen Argumente ein: „Ihr irrt".

Er antwortet, denn Menschen brauchen manchmal doch mehr als Schweigen und Musik, sie brauchen manchmal eine Antwort angesichts von Sterben und Tod, angesichts ihrer Angst, ihrer Sehnsucht, ihrer Fragen oder auch ihrer Neugier. Jesus lässt sich aber auf diese vernünftige Gesprächsebene nicht ein, denn sie führt in die Irre.

Seine Antwort hat deshalb eine negative und eine positive Seite.

Ich beginne mit der negativen: „In der Auferstehung werden sie weder heiraten noch geheiratet werden". Die Auferstehung ist also keine Verlängerung irdischer Verhältnisses, kein Fortschreiten jenseits der Grenze, wo wir noch Dinge nachholen oder nachbessern können. Deshalb eben fehlt uns die Sprache oder sie fällt uns jedenfalls schwer. Deshalb geht vernünftige Argumentation hier leicht in die Irre.

Aber Jesus sagt auch etwas Positives: „Sie werden sein wie die Engel im Himmel." Ein Bild in Worten. Und auch wenn uns dazu Flügel und Harfen und vielleicht kleine niedliche Putten einfallen, führt Jesu Bild über alle Bilder hinaus. Wie die Engel sein, also ganz anders als jetzt leben, nicht mehr unter der Last und den Gesetzen der Natur und Geschichte, in Raum und Zeit, in Leid und Tod, sondern im Offenen leben, leicht, hell und heiter, in Glanz und Licht, in Gemeinschaft und Liebe und Staunen vor Gottes Größe und Güte, ihn und uns schauen von Angesicht zu Angesicht. Wie die Engel im Himmel.

Doch woher weiß Jesus, was er sagt?

Gott ist Leben. Gott ist Kraft. Gott ist Energie. Gott ist Liebe. Gott spricht: „Ich bin. Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs." Jesus greift also nicht zurück auf Erfahrungen, die Menschen im Sterben gemacht haben und auch nicht auf besondere Offenbarungen aus dem Jenseits. Er bezieht sich auch nicht darauf, dass im Zentrum der menschlichen Person ein unvergänglicher Kern sei, er knüpft nicht an an menschliche Hoffnungen oder an die Notwendigkeit, dass Gerechtigkeit werde. Sondern er spricht von Gott. Nicht unser Mangel ist der Grund, sondern Gottes Überfluss. Gott ist ein Gott des Lebens, von Anfang bis Ende. Gott ist ein Gott der Lebenden. Deshalb leben die Toten

Aber sie sind doch tot, Abraham, Isaak und Jakob, Sarah und Rebekka, Lea, Rahel und all die anderen, die wir kennen oder nicht kennen!

Der Tod gehört zu dieser Welt. Zur unerlösten Welt. Vor Gott aber gibt es keinen Tod. Und wenn Gott und der Tod sich begegnen, dann wird der Tod verschlungen. Dann beginnt Leben. Wenn Gott spricht, dann wird es Licht. Wenn Gottes Fuß die Erde berührt, dann grünt es. Wenn sein Hauch einen Menschen berührt, dann lebt er. Und zu wem Gott redet, der ist unsterblich. Nicht, weil der Tod das Tor zum Jenseits ist leben wir, sondern weil Gott unser Jenseits ist.

Und Abraham, Isaak, Jakob, Sarah, Rebekka, Lea und Rahel und all die anderen: Das waren, nein das sind Menschen, die zu Gott gehören. Mit denen Gott einen Bund geschlossen hat, eine Beziehung aufgenommen hat, Gemeinschaft gepflegt hat. Deshalb leben sie mit ihm und vor ihm. Da heißt es nicht: Bis dass der Tod euch scheidet, sondern: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Auch der Tod nicht. Und deshalb konnte Paulus dasselbe wie Jesus ganz anders formulieren wenn er sagt: Christus ist der Herr über Lebende und Tote. Auch die Toten gehören zu Gott. Alle die, die vergessen sind und auch die, die nicht vergessen sind. Sie feiern mit uns himmlische Gottesdienste.

Deshalb werden hier, genau betrachtet, eigentlich die Grenzen verschoben. Der Tod, das Grab, diese Grenze ist vom Evangelium her gesehen, nicht mehr entscheidend. Das Entscheidende ist vorverlegt worden, nämlich an den Punkt, an dem die Gemeinschaft Gottes mit einem Menschen beginnt. Wenn wir die Taufe als diesen Punkt verstehen, dann ist sie eine Erfahrung zugleich des Todes und der Auferstehung. Das wahre Leben, die wahre Liebe, die wahre Freiheit beginnen hier. Der Name Gottes wird ausgesprochen über einen Menschen, ein Mensch wird beim Namen gerufen und das gilt für alle Ewigkeit. Aber vielleicht ist auch das noch zu klein gedacht. Wenn ein Mensch die Stimme Gottes hört, sich den Zuspruch Gottes gefallen lässt, im Gottesdienst, in der Heiligen Schrift oder in den Verwirrungen des Lebens: Dann ist die entscheidende Grenze überschritten. Wenn ein Mensch sich den Zuspruch Gottes gefallen lässt, wenn er oder sie hört, dass ihm vergeben ist, oder wenn er oder sie hört: Fürchte Dich nicht; oder: Gehe hin und tue desgleichen. Oder: Gott ist ein Gott der Lebenden. Wer darauf vertraut, der lebt. Und auch das ist wohl immer noch zu klein gedacht. Der Saum seines Mantels ist weiter als wir uns vorstellen können. Wer weiß schon, wie weit der Hauch seines Geistes und die Macht seiner Stimme reichen?

Gott ist ein Gott der Lebenden und das Leben vor Gott ist volles Leben. Wenn nicht da, wann dann? Das ewige Leben ist ja wohl nicht weniger, sondern viel mehr als irdisches Glück. Auch das Dunkel wird vor ihm verwandelt und die zerstörerischen Seiten und Zeiten unseres Lebens enden vor ihm und nichts bedarf mehr der Erklärung.

„Sie sind wie die Engel im Himmel." Engel aber sind nicht Gott. In der Auferstehung leben wir mit Gott. Das heißt auch immer: vor Gott. Wir werden also nicht verschlungen, wir verschwinden nicht in einem großen göttlichen Ozean, im Einen und Ganzen, sondern auch in Ewigkeit sind wir unterschieden: Gott und die Welt, Gott und wir. Und gerade, weil in der Ewigkeit nicht alles eins wird, sondern wir und ER, und dann auch ich und du, gerade deshalb gibt es dort Liebe und Gemeinschaft und Staunen und Lachen und Loben, untereinander und miteinander und mit Gott. Gott lässt uns Raum - auch in der Ewigkeit der Ewigkeiten.

Mehr sagt Jesus nicht zu dieser Frage nach der Grenze und nach dem Jenseits der Grenze. Er entfaltet keine Geheimlehre, er breitet keine Jenseitsforschung vor uns aus, er lässt sich diese Gelegenheit, das Leben jenseits des Grabes zu beschreiben, entgehen. Er wiederholt nur, was Gott sagt: Ich bin der Herr, Dein Gott. Im Leben wie im Tod.

A m e n .



KR Helmut Dopffel
Stuttgart
E-Mail: Helmut.Dopffel@elk-wue.de

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