Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 16.08.2015

Predigt zu Lukas 18:9-14, verfasst von Thomas Reinholdt Rasmussen

Ich habe einmal jemanden von der Zeit erzählen hören, als er in der Innenstadt von Kopenhagen wohnte. Da geschah es oft an Wochenenden, dass die Leute sehr gut gelaunt waren, und mitten in der Nacht konnte er einen nach dem andern durch die Straße schlendern hören und singen: „Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin etwas für mich selbst“.

Wir lassen das dahingestellt, aber das das Merkwürdige war ja gerade, dass der Singende mit seinem Einzigsein nicht allein war. Alle de andre sangen ja auch, dass sie nicht sind wie die anderen, sondern etwas ganz für sich.

Mas macht ja eigentlich keinen Sinn.

Es macht eigentlich keinen Sinn, dass wir jeder für sich uns als Individuen sehen, die nicht so wind wie die anderen. Wir messen uns aneinander, und das Entscheidende ist, dass wir nicht sind wie die anderen.

Wir leben wohl in einer Zeit, wo wir eigentlich gleichen wie nie zuvor. Wir trinken dasselbe. Wir kleiden uns fast gleich. Wir hören dieselbe Musik und sehen dieselben Programme im Fernsehen. Eigentlich gleichen wir uns mehr als je zuvor. Und wenn wir versuchen, verschieden zu sein, so tun wir dies alle auf die gleiche Weise. Das Lied: „Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin etwas für mich selbst“ wird deshalb zu einem fast desperaten Ruf und keiner nüchternen Feststellung.

Neulich hörte ich einen unserer Spitzenpolitiker erzählen, dass er begonnen habe, Jogging zu betreiben. Das ist ja in jeder Hinsicht lobenswert, aber sein Argument für sein neues Hobby war nicht so schmeichelhaft. Er sagte, er habe mit dem Laufen begonnen, weil er an den ihn umgebenden Menschen sehen konnte, wenn sie keinen Sport betrieben, dann fielen sie zusammen und wurden zu nichts. Seine Motivation war also, nicht so zu sein wie die anderen, und die Motivation lag gerade nicht darin, selbst etwas zu sein.

Die Motivation, etwas zu tun, ist offenbar die, nicht so zu sein wie die anderen. Hier finden wir nahezu einen desparaten Versuch. Ein verzweifelter Ruf, nicht so zu sein wie die anderen, wir sind etwas für uns selbst.

Und die Frage ist, ob es nicht in Wirklichkeit eine Grundsünde im Menschenleben ist, sich immer von einander distanzieren und nicht im selben Boot sitzen zu wollen.

Dies jedenfalls geschieht zwischen dem Pharisäer und dem Zöllner im Evangelium dieses Sonntags. Der Pharisäer ist aufrichtig froh darüber, dass er nicht ist wie der Zöllner, sondern alles im Griff hat. Er vergleicht sich und findet sich besser als der andere. Die Frage aber ist, ob das wahr ist, dass das Leben so sein soll. Die Frage ist, ob es nicht eine Grundtatsache ist, dass wir alle im selben Boot sitzen. Wir sind alle in eine Welt geboren und müssen alle sterben. Wir teilen die gleichen Gefühle, Freud und Leid. Jeder in seiner Weise – gewiss – aber die Grundbedingungen sind dieselben.

Besonders deutlich wird dies je gerade in der Erzählung des Christentums von Jesus am Kreuz. Hier sind ja nicht zwei Gruppen. Die, die für Jesus und, und die anderen. Vor dem Kreuz werden alle eins. Jesus hängt da ganz allein, und kei9ner teilt sein Kreuz, trägt seinen Schmerz und seine Last.

Wenn jemand hier anfinge zu sagen: „Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin etwas für mich selbst“, dann wäre das nur eine verrückte Parodie. Vor dem Kreuz ist niemand etwas für sich. Hier sind wir alle gleich. Hier sind wir alle schuldig.

Das Problem mit diesem ewigen Vergleichen mit einander ist, dass wir einander vergessen. Wir benutzen einander als Sprungbrett, nicht mehr. Der Pharisäer hat seine Freude darin, nicht zu sein wie der Zöllner, aber er hat seine Freude nicht daran, so zu sein, wie er nun ist. Der Zöller stellt sich vor Gott. Und vor Gott werden wir alle gleich, trotz aller kleinen Unterschiede.

Und das Entscheidende ist: Wo Gott uns auf eine Stufe stellt, das haben wir einander nichts zu sagen, als dass wir schuldig sind, einander zu lieben. Wenn Gott uns gleichstellt – trotz all unserer Verschiedenheit in Herkunft, Ausbildung, Gesinnung und Kultur – da werden wir grundlegend eins in der Gemeinschaft, die darin besteht, ein Mensch auf Erden zu sein – oder noch deutlicher: ein Geschöpf Gottes zu sein, das die Liebe Gottes wiederspiegeln soll. Wir werden zu dem, wie es in einem Lied heißt: „als deines Herzens Spiegel“.[1] Wir werden zu einem Spiegel der Liebe Gottes im Kleinen, die eben nicht davon leben, anders zu sein als der Nächste, sondern die davon leben, mit seinem Nächsten zusammen zu sein – allen Unterschieden zum Trotz.

Der Spiegel Gottes auf Erden. Das ist die schönste Definition dessen, was es heißt ein Mensch zu sein.

Und das erfüllt der Zöllner mit seinen Worten. Der Pharisäer vergleicht sich mit dem Zöllner und kann deshalb beruhigt sagen, dass er nicht ist wie die anderen, der Zöllner aber vergleicht sich mit Gott! Deshalb kann er nur ein Sünder sein, was denn auch bedeutet, dass er nichts über den Pharisäer sagt. Er ist nur mit ihm zusammen. Gemeinsam sind sie Menschen in diesem schwierigen Leben. Gemeinsam sind sie Menschen unter diesem Himmel. Gemeinsam stehen sie unter der Gnade Gottes, auf die wir allein vertrauen können – gemeinsam! Amen.

 

[1] Lied von NFS Grundtvig: Gud Herren så til jorden ned, Dänisches Gesangbuch 493, V 5, dt.: Als der Gott der Herr zur Erde sah, Salmer på dansk og tysk Nr. 434, V. 5:

 

So wundervoll du schufst mein Herz,

o Gott in deinem Tiegel!

O, richte es nun himmelwärts

als deines Herzens Spiegel!

Durch deine Liebe lern ich dann

viel mehr als selbst ich sehen kann,

vom Reichtum deiner Gnade.



Pastor Thomas Reinholdt Rasmussen
DK-9800 Hjørring
E-Mail: trr(at)km.dk

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